© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


Zeitschriftenkritik: "Titanic"
Witz mit Schlagseite
Philip Plickert

Als vergangenen Herbst die "Roten Strolche" die Wahl gewannen und den "Oberförster" nach sechzehn Jahren aus dem Amt drängten, da herrschte große Ratlosigkeit in der Titanic-Redaktion. Mit einem Schlag hatten die Frankfurter Satiriker die Stütze ihres Blattes verloren, schließlich bezogen sich neun von zehn Titelbildern auf den Kanzler: Kohl als Dalai Lama ("droht mit Wiedergeburt"), als Werbeträger für Parfum (Marke: Elmût Côl), als Stadtplan ("Helmut Kohl muß Hauptstadt bleiben"), sogar als giftgaseinsetzender Saddam Hussein ("endlich Ruhe in der Zone") usw.. Auch die Wiedervereinigung erwies sich als "ungültig", da Kohl angeblich "gedopt" war. Nach dem Abgang des Dauerkanzlers stürzte die Truppe um den Verleger Eric Weihönig in eine tiefe Depression; die große Haßliebe fand ein jähes Ende. Zu allem Überfluß kehrte Ende letzten Jahres noch ein "weiterer deutscher Kanzler" der Zeitung den Rücken: Adolf Hitler beschloß, seine Serie "Der Führer privat" einzustellen.

Die Satiriker von der Titanic genießen unumschränkte Narrenfreiheit, und nichts, aber auch gar nichts, ist vor ihrem ätzenden Zynismus sicher. Es finden sich Oszönitäten und Perversitäten, Blasphemie oder politisch höchst inkorrekte Witze auf Kosten von Minderheiten oder Behinderten auf den Seiten des Heftes. Schier unerschöpfliche Themen sind das Lächerlichmachen prominenter Politiker und Parodien auf Stars und Sternchen des Showbusineß. Bevorzugt geraten natürlich Konservative oder Rechte ins Visier des laut Eigenwerbung "endgültigen" Satiremagazins: So wurde letzthin beispielsweise der Katalog der "besonderen Weihnachtsgeschenke" mit "25 x Heimaterde" von den Deutschen Konservativen recht originell kommentiert. Ein großer Teil der Beiträge ist unbestritten lustig, vor Zwerchfellzerrungen sei gewarnt. Andere Einfälle sind an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten, etwa die Darstellung des Gekreuzigten als Verkehrspolizist.

Der Nihilismus der Titanic-Redakteure kennt nur eine Ausnahme: den Glauben an die eigene genialische Witzigkeit. Den mehrheitlich im westdeutschen Studentenmilieu angesiedelten Abonnenten kommt diese Art blödelnde Arroganz sehr entgegen. Dagegen nimmt sich der Hauptkonkurrent der Titanic, der Eulenspiegel, sehr viel bescheidener aus – das Layout eingeschlossen. Die Ostsatiriker aber haben wirklichen Mut bewiesen, als sie die realsozialistische Tristesse parodierten. Derweil überschritten ihre westdeutschen Kollegen die Grenzen der Pressefreiheit und des guten Geschmacks ohne jedes Risiko – und hegten insgeheim noch Sympathien für den "besseren deutschen Staat"! Auf der Titanic, da tanzen sie lustig weiter, doch nicht viel unterscheidet den ewigen Lachkrampf vom krampfhaften Lachen.

 

"Titanic" erscheint monatlich. Einzelpreis 7 DM, Jahresabo Inland 75 DM. Bestellungen: Postfach 66, 12414 Berlin.


 
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