© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


Kino: "Arlington Road" von Mark Pellington
Mächtige Netzwerke
Claus- M. Wolfschlag

Gerade unsere immer undurchschaubarer werdende Welt nährt Spekulationen aus dem Reich eines neuen Aberglaubens. Global agierende Großkonzerne, die durch ihre Neonlicht-Symbole allgegenwärtig sind und dennoch ungreifbar erscheinen, Regierungen in fernen Regionen, die über das Wohl der Bürger entscheiden, ein verwirrendes Geflecht verschiedenster Sekten und Organisationen – all das fördert zunehmend den Glauben an sogenannte "Verschwörungen", die ihr "Netzwerk" über die Gesellschaft ausbreiteten.

Verstärkt werden derartige Glaubensvorstellungen noch durch Ängste vor einer direkten Bedrohung, etwa seitens eines anonym agierenden Terrorismus, dem jeder Bürger jederzeit schutzlos ausgesetzt sein kann. Vor allem in den USA kam es in der Vergangenheit zu einigen spektakulären Bombenanschlägen auf öffentliche Einrichtungen, die die Beschäftigung mit terroristischen Verschwörungsnetzwerken gefördert haben.

Der junge Regisseur Mark Pellington, der in der Vergangenheit vor allem durch zahlreiche Musikvideoclips für den Fernsehsender MTV bekannt geworden ist, hat sich nun in "Arlington Road" auf unterhaltsame Weise der Thematik angenommen. Den Protagonisten Michael Faraday (Jeff Bridges) könnte man darin als die intellektuelle Version des Verschwörungsgläubigen ansehen. Faraday lehrt an der Universität in Washington, D.C., über die Geschichte des Terrorismus. Dabei gehört zu den von ihm vertretenen Hauptthesen, daß zahlreiche amerikanische Terrorakte der Neuzeit, die vermeintlichen Einzeltätern zugeschoben werden, in Wirklichkeit von professionell arbeitenden Organisationen ausgingen, die im Hintergrund agieren.

Faraday entwickelt seine These zur fixen Idee. Als die neuen Nachbarn Oliver (Tim Robbins) und Cheryl Lang (Joan Cusack) zu Bekannten werden, glaubt Faraday Widersprüche in deren Lebenslauf zu finden und wittert die beiden als Köpfe einer großangelegten terroristischen Verschwörung. Das erscheint zuerst abstrus, ein Hirngespinst des Wissenschaftlers, der sich zu sehr in seinen Stoff hineingesteigert hat.

Doch die Anzeichen mehren sich zur Überraschung des Zuschauers, die Bedrohung für den neugierigen Nachbarn nimmt zu. Schließlich steuert die allmählich eskalierende Geschichte um den Kampf des kritischen Einzelgängers gegen das beinahe anonyme "Netzwerk" auf einen "Showdown" zu, der durch eine verblüffend einleuchtende Wendung die Lösung des Rätsels beinhaltet.

"Arlington Road" ist somit mehr als ein solide und spannend konzipierter Psychothriller. Es ist in starkem Maße ein Streifen für Anhänger von Verschwörungsideen, die sich vorzugsweise in dem Grusel wiegen, von nur schwer erkennbaren Kräften der Düsternis umgeben zu sein.

Ganz anders als die vor kurzem erschienene deutsche Verfilmung einer vergleichbaren Thematik in "23" nimmt es Mark Pellington sehr ernst mit seinem Anliegen. Daß die Terroristen interessanterweise als "rechtsradikal" dargestellt werden, dürfte hierzulande allerdings verstärkt jenen Gruppen wohlige Bestätigung vermitteln, die schon nach "Rostock-Mölln-Solingen" immer gegen die nachweisbare Tatsache von den Einzeltätern opponierten und statt dessen in ihrer ideologischen Vorstellungswelt ein mächtiges "Netzwerk" geistiger und praktischer "Brandstifter" an der Arbeit wähnten. Der "Täter" kommt demnach "aus der Mitte der Gesellschaft", es ist der Nachbar von nebenan, und nur die ständige Bespitzelung und Überwachung von jedem durch jeden kann in dieser Logik das Schlimmste verhindern.


 
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