© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Kosovo: Professor Udo Steinbach plädiert für ein Protektorat der Nato
"Es wird einen eigenen Staat geben"
Karl-Peter Gerigk

Herr Prof. Steinbach, auf dem Balkan treffen verschiedene Kulturen und Ethnien aufeinander, vor allem Islam und Christentum. Handelt es sich bei dem Konflikt unterschwellig um einen Glaubenskrieg?

Steinbach: Dieser Konflikt ist überhaupt nicht religiös motiviert. Es ist eine ethnisch-nationale Konfrontation. In gewisser Weise kommt jedoch eine religiöse Komponente hinzu, denn von islamischer Seite wächst das Interesse, sich auf dem Balkan einzumischen. Es wird vorgeschoben, die bedrängten islamischen Brüder unterstützen zu wollen. Auf der anderen Seite stellen wir fest, daß die serbisch-orthodoxe Kirche keinesweg neutral ist, sondern eine "ideologische" Unterfütterung des Konfliktes von religiöser Seite her betreibt, vor allem mit serbisch-nationalem Ziel. In erster Linie ist dies jedoch ein säkularer Konflikt, in viel größerem Maße noch als der Konflikt um Bosnien-Herzegowina, der in der Tat sehr bald eine sichtbare religiöse Dimension annahm. Dies stellen wir mit Blick auf das Kosovo noch nicht fest.

Der serbische Pope in Berlin, Dragan Sekulic, spricht davon, daß die serbische Kirche sich in erster Linie um das serbische Volk kümmern müsse. Ist dies nicht eine Nationalkirche, mit allen negativen und positiven Implikationen? Hatte die Kirche nicht gerade in der postkommunistischen Zeit viel für das Selbstbewußtsein des Volkes getan?

Steinbach: Das ist richtig. Wir stellen in Serbien ein ähnliches Phänomen fest wie auch in Rußland. Die Kirche kommt als gesellschaftliches und politisches Phänomen zurück. Sie ist unter der kommunistischen Herrschaft weit zurückgedrängt worden und konnte nur vermittelnd arbeiten. Doch der Konflikt in Serbien ist nicht durch die Kirche initiiert. Es geht um nationale Ansprüche auf das Kosovo, in dem zwei Millionen Albaner leben und das die Serben aus historischer Dimension für serbisches Kernland halten. Doch die Kirche spielt hier sicherlich eine Rolle, denn sie unterstützt das nationale Moment in der Auseinandersetzung. Sie vermittelt zudem, zu Recht oder zu Unrecht, daß es sich hierbei auch um eine religiös bedeutsame Region handele. Dies ist jedoch lediglich die Untermauerung und nicht die primäre Ebene des Konfliktes. Die Albaner zum Beispiel sind in erster Linie albanische Nationalisten – ob sie jetzt in Albanien oder im Kosovo wohnen. Dies ist ganz anders als in Bosnien, wo die Bosniaken erst über die Religion ihre Identität gefunden haben gegenüber den Serben und den Kroaten. Das haben die Albaner und Kosovo-Albaner überhaupt nicht nötig. Sie sind als Volk, als Nation und als Ethnie etwas vollkommen Genuines und abgrenzbar in ihrem regionalen Umfeld.

Wie ist die religöse Dimension zu bewerten?

Steinbach: Auch hier kommt die religöse Dimension nur auf sehr diffuse Weise hinein – vor allem als historisches Sediment auf Seiten der Türken. Die Türken haben heute jedoch ein durchaus sehr säkulares System unter der Herrschaft der Militärs, aber man erinnert sich daran, daß der Balkan, eben auch Albanien, jahrhundertelang Einflußsphäre Mohammeds gewesen ist und zum osmanischen Herrschaftsgebiet zählte. Der Balkan hat für die Türken einen höheren Stellenwert gehabt als die islamische Welt Arabiens, auch hinsichtlich der Wirtschaft, der Verwaltung u.s.f. Nun werden sie mit ihrer eigenen Geschichte konfrontiert, aber vornehmlich in säkularer Weise. Die andere Seite ist natürlich, daß wir eine Reihe von islamischen Völkern haben – und ich denke da zum Beispiel an den Iran, aber auch die Saudis kommen immer mehr ins Bild –, die eine Chance wittern, den Teil der islamischen Welt in Europa, der weit abgedriftet war von dem Glauben Mohammeds und sehr europäisch geworden ist, wieder richtig einzufärben.

Ist dies nicht gefährlicher Fundamentalismus?

Steinbach: Das ist ein weiterer Aspekt, der punktuell hier und da sichtbar geworden ist in den letzten Jahren. Dies leitet auf die terroristische Dimension über und verdeutlicht eine weitere Brisanz des Konfliktes, wie bei den Afranis, die schon unter kommunistischer Herrschaft in Afghanistan gekämpft haben. Sie sind nicht nur in Bosnien aufgetaucht, sondern auch schon im Kosovo und Albanien. Sie stellen zur Zeit zwar keine unmittelbare Gefahr dar, doch wollen sie hier auch ihr Süppchen kochen, um mit dem Westen und insbesondere mit den USA abzurechnen.

Sie sprechen immer von einem nationalen Konflikt. Von welchen Nationen kann man denn in diesem Konflikt sprechen, abgesehen von den Albanern und den Serben?

Steinbach: Das ist das große Problem auf dem Balkan. Wir haben es gerade in Bosnien wieder gesehen. Es existierte für die Bosnier keine eindeutige Nationalität, wie für die Kroaten und die Serben. Die Bosnier waren durch ihre ethnische Existenz und durch sprachliche Elemente entweder Serben oder Kroaten, Moslems und Christen. Die Bosniaken sind, betrachtet man sie heute, aus den Serben vor allem und aus den Kroaten hervorgegangen. Sie sind im Prinzip islamisierte Serben. Die Bosniaken mußten – und das war eine Schwierigkeit – erst ihre eigene nationale Identität erkennen. Was die Bosniaken heute zu dem macht, was sie sind, ist der Islam. Dies ist jedoch keine ethnisch eingefärbte Identität. Insofern hatte der Konflikt dort eine sehr viel stärkere religiöse Dimension. Die Albaner sind eine komplette Nation, ob Sie die Sprache nehmen, ob Sie die Geschichte nehmen, ob Sie die Ethnie nehmen, ob Sie die Sozialstruktur betrachten – sie unterscheiden sich doch ganz sichtbar von den Serben, von den Griechen oder anderen auf dem Balkan.

Denken Sie, daß eine Rückkehr der Albaner in das Kosovo nach der erfolgten Vertreibung sinnvoll ist? Die Serben werden eine Unabhängigkeit des Kosovo auch nach einer militärischen Niederlage nicht akzeptieren.

Steinbach: Es gibt gar keine Alternative zur Rückkehr der Kosovaren in das Kosovo. Das Kosovo muß als ethnisch-nationale Einheit wiederhergestellt werden, so wie das vor dem Ausbruch des Konfliktes und vor der Vertreibung gewesen ist. Dies wird natürlich einen Dauerkonflikt mit den Serben bringen. Es kommt darauf an, das Kosovo – die kosovarische Identität – so zu stabilisieren, daß sie sich behaupten kann. Das wird die Serben nicht daran hindern, ihren nationalen Anspruch aufrechtzuerhalten. Das bedeutet auch, daß eine militärische Präsenz dort installiert werden muß. Eine Teilung des Kosovo in einen serbischen und einen albanischen Teil halte ich für völlig irreal.

Halten Sie ein Protektorat der Nato für das Kosovo für denkbar?

Steinbach: Das ist nicht nur denkbar, das ist die einzige Lösung. Es ist ganz ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina. Da kann sich die westliche Gemeinschaft auch nicht ohne weiteres zurückziehen. Das ist in noch höherem Maße für das Kosovo der Fall. Es wird so etwas werden wie ein internationales Protektorat. Wobei die Ziele, die man verfolgt, nicht ganz klar sind. Die Frage, ob der Westen ein Kosovo im jugoslawischen Staatsverband erhalten will oder eine Unabhängigkeit der Kosovaren von Belgrad unterstützt, ist hier entscheidend. Die Realitäten sind jedoch im Moment so, daß je länger ein etwaiges Protektorat für das Kosovo dauert, es wahrscheinlicher wird, daß es hier einen unabhängigen kosovo-albanischen Staat geben wird.

Welche geostrategischen Interessen verfolgen denn die USA im ehemaligen Jugoslawien?

Steinbach: Für die Amerikaner ist dies ein Teil ihrer Präsenz im Mittelmeerraum. Es ist ein Teil ihres Anspruchs einer amerikanischens Hegemonie in dieser Region, im Nahen und Mittleren Osten. Das ist ein Anspruch der, expressis verbis, immer formuliert worden ist. Ob dies nun Palästina ist oder die Golfregion: Die USA wollen ihre Führungsrolle in dieser Region nicht aus der Hand geben – und sie manifestieren sie. Dies ist allerdings auch eine Investition hinsichtlich der Rolle der Türkei. Die Amerikaner wollen der Türkei eine stabilisierende Rolle in dieser Sphäre einräumen – bis hin zum Kaukasus. Dazu zählt sicherlich auch der Balkan.

Ist die Befriedung auf dem Balkan nicht eher "unsere Sache", das heißt, die Angelegenheit der Europäer?

Steinbach: Absolut, aber wir sehen ja, daß die Europäer noch nicht in der Lage sind, einmütig und entschlossen zu handeln. Die Herstellung von Stabilität und Sicherheit in diesem Raum ist vor allem eine europäische Aufgabe. Dies geschieht vor unserer Tür, und wir sind von den Konsequenzen, was Vetreibung, Flucht und Asyl betrifft, unmittelbar betroffen.

Welche Rolle sollte Rußland in diesem Konflikt spielen?

Steinbach: Rußland kann keine große Rolle mehr spielen, aber kurzfristig wäre es wichtig, daß Moskau all seinen Einfluß in Belgrad geltend macht und Milosevic dazu bringt, die Vertreibung einzustellen und ein Konzept zu entwickeln, das Kosovo im Rahmen des jugoslawischen Staatsverbandes zu erhalten.

 

Prof. Dr. Udo Steinbach geboren 1943 in Pethau/Zittau, studierte Orientalistik und Philologie in Tübingen und Basel zwischen 1965 bis 1970. Er war Leiter des Nahostreferats der Stiftung Politik und Wissenschaft in Ebenhausen sowie der Türkei-Redaktion der Deutschen Welle und ist Herausgeber der Zeitschrift "Orient". Seit 1976 ist er Direktor des deutschen Orient-Institutes Hamburg, der einzigen nicht-universitären Forschungseinrichtung in Deutschland, die sich mit wirtschaftlichen, politischen und sozialen Problemen des Nahen und Mittleren Ostens beschäftigt.


 
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