© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Regierungspolitik: Die Rot-Grünen machen Front gegen "Scheinselbständige"
Jagd auf Jungunternehmer
Bernd-Thomas Ramb

Auf ihrem Raubzug nach fetterer Steuer- und Abgabenbeute hat die rot-grüne Regierung ein neues Jagdziel ausfindig gemacht: den "Scheinselbständigen". Mit der Bezeichnung des Opfers sucht sie eine moralische Rechtfertigung für ihr wenig verständliches Handeln. "Schein" klingt nach Simulant und Hochstapler, nach Blender und Betrüger. "Scheinselbständige" seien eigentlich abhängig Beschäftigte, die sich nur der Pflicht zur Entrichtung der gesetzlich erzwungenen Sozialabgaben entziehen wollen, so die Argumentation der Regierung. Die Gegenseite sieht das gänzlich anders. Freies Unternehmertum und freie Vertragsgestaltung würden durch das Begehren der Regierung verhindert, sie sei bloß auf zusätzliche Einnahmen in die Kassen ihres Sozialversicherungssystems erpicht, das ohnedies zum Untergang verurteilt sei. Eine "Arbeitsplatz-Vernichtungsmaschine", so der Kölner Fachanwalt für Arbeitsrecht, Ulrich Weber, wäre die Folge. In jedem Falle wird das Dickicht der Regulierungen durch die neue Regierungsschikane noch schwerer durchdringbar.

Vier Kriterien müssen sich die Selbständigen und Minifirmen neuerdings stellen. Treffen mehr als einer der folgenden Punkte zu, wird amtlicherseits die "Scheinselbständigkeit" unterstellt:

l Der Auftragnehmer beschäftigt außer Familienangehörigen keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer.

l Der Auftragnehmer ist regelmäßig im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig.

l Seine Tätigkeit ist für Beschäftigte typisch. Er arbeitet nach Weisungen des Auftraggebers und ist in dessen Betrieb eingegliedert.

l Er tritt nicht wie ein Unternehmer am Markt auf.

Sind mindestens zwei Kriterien erfüllt, muß der Selbständige die Schein-Vermutung per Gegenbeweis entkräften. Am besten stellt er weitere Mitarbeiter ein oder verschafft sich mehr Auftraggeber, dann bleibt er Selbständiger mit amtlichem Echtheitszertifikat. Gelingt ihm beides nicht, kann er jedoch seine Selbständigkeit durch andere Kriterien nachweisen (insbesondere als Handelsvertreter), wird er als "arbeitnehmerähnlicher Selbständiger" eingestuft und mit vollen 19,5 Prozent des versicherungspflichtigen Einkommens zur Rentenkasse gebeten. Der Arbeitgeber zahlt in diesem Falle nichts dazu. Ausgenommen sind hierbei Selbständige, die vor dem 2. Januar 1949 geboren sind und vor dem 10. Dezember 1998 eine private Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen haben. Diese Ausnahmeregelung ist ein Indiz für die rein einnahmenbezogene Denkweise der Regierung, denn der betroffene Personenkreis geht demnächst in Rente und soll möglichst die Rentenkassen nicht belasten.

Mißlingt schließlich der Nachweis der Selbständigkeit vollständig, dann sind die bislang Selbständigen ohne Befreiungsmöglichkeiten voll abgabenpflichtig. Ihr Honorar reduziert sich um satte 41 Prozent bis zur Abgabenhöchstsumme von 3.200 Mark pro Monat. Zwar wird formal dieser Betrag hälftig zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer aufgeteilt, im Regelfall dürfte der Auftraggeber jedoch seinen Anteil der Abgaben von der Honorarsumme abziehen. Besonders kritisch wird es, wenn die Rentenbeiträge rückwirkend erhoben werden. Dann trifft die Abgabenlast unter Umständen allein den Arbeitgeber.

Betroffen sind von dieser Regelung neben den klassischen Handelsvertretern, selbständigen Architekten, Steuerprüfern, Designern, Transportunternehmern, Journalisten, Fotografen, Dolmetschern und Übersetzern auch die innovativen Jungunternehmer im Bereich Informationstechnologie, Multimedia und Werbung sowie die angehenden Rechtsanwälte, die sich mit Selbständigenverträgen an Kanzleien verdingen, um auf dem von Juristen überschwemmten Arbeitsmarkt überhaupt eine Einstiegsmöglichkeit in die Berufspraxis zu finden. Insbesondere bei den Jungunternehmern ist die Wahl der Selbständigkeit nicht nur von der Einsicht geprägt, daß jeder Pfennig, der in das marode Rentenversicherungssystem gezahlt wird, unwiederbringlich verloren ist. Mehr noch ist der Wunsch nach freiem Unternehmertum die Grundlage ihrer Berufsgestaltung. Dieser Typus ist nicht nur geprägt von der Bereitschaft zum Risiko und innovativem Denken, sondern auch von einem überdurchschnittlichen Willen, den staatlichen Zwängen der Gesellschaft zu entrinnen – und nicht zuletzt sind diese Jungunternehmer clever.

Die Reaktion auf das bürokratische Windhundrennen ist somit absehbar. Wer nicht aufgibt und sich arbeitslos meldet, versucht den staatlichen Zwangseintreibern ein Schnippchen zu schlagen. Zum Nachweis der echten Selbständigkeit lassen sich beispielsweise verstärkt GmbHs gründen und damit gleichzeitig Arbeitseinkommen in Kapitaleinkommen umwandeln. Aus einem Auftraggeber werden im Verbund mit anderen, die in der gleichen Lage sind, zwei und mehr Kunden, notfalls wird dazu eine Zweitfirma gegründet. Aus einem oder keinem Beschäftigten werden überkreuz Beschäftigungsverträge geschlossen. Es reicht dabei schon, wenn zwei Einzelunternehmer die bisher im eigenen Betrieb beschäftigten Ehefrauen künftig gegenseitig einstellen. Marktpräsenz kann demonstriert werden, indem verstärkt Inserate und Einträge in Branchenbücher geschaltet werden oder für ein paar Mark eine eigene Internetseite eingerichtet wird.

Wem all dies als lächerliche Kindereien erscheint und wer nun endgültig eingesehen hat, daß der Standort Deutschland ohne Zukunftsperspektive ist, verlagert einfach sein Unternehmen ins Ausland, was gerade für die jungen Dienstleister häufig völlig unproblematisch ist. Dank der modernen Informationstechnologie reichen in vielen Fällen ein ausländischer Telefonanschluß mit Anrufumleitung und ein telefonisch anwählbarer Auslands-Computer oder hinreichender Internetspeicher eines ausländischen Dienstleisters aus, um dann als deutscher nichtversicherungspflichtiger Privatier seiner Beschäftigung nachzugehen.

Allerdings ist zu befürchten, daß der staatliche Beutejäger, wenn der Scheinselbständige ausgerottet ist, seine Hatz auf andere Spezies ausweitet. Denkbar wäre als nächster Schritt, die Kapitaleinkommen als rentenversicherungspflichtig zu erklären, weil die Kapitaleinkommen von Einzelnen erwirtschaftet werden. Von da bis zur ultimativen Lösung ist es nur noch ein kleiner Schritt: Jeder Bundesbürger wird grundsätzlich als scheinselbständig erklärt und zu den Abgaben zur staatlichen Sozialversicherung zwangsverpflichtet.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen