© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Finanzmarkt: Nur der deutsche Aktienindex entwickelt sich entgegen dem Trend
Brasilien überraschte mit "Kursfeuerwerk"
Ronald Gläser

Kaufen, wenn die Kanonen donnern", lautet eine Börsenregel. Sie scheint aber nicht für die deutsche Börse zu gelten. Nachdem die Kurse von Dividendentiteln angesichts der ersten Bombardements in Rest-Jugoslawien kurzzeitig zurückgegangen sind, nehmen die internationalen Finanzmärkte nun Anlauf zu neuen Höhenflügen. Der Dow Jones überstieg am Montag erneut die magische Marke von 10.000 Punkten und befindet sich in einem eindeutigen Aufwärtstrend. Die US-Börse profitiert dabei gleichermaßen von guten Unternehmensnachrichten und positiven volkswirtschaftlichen Zahlen. Die Arbeitslosenquote ist – wie das Arbeitsministerium am vergangenen Freitag bekanntgab – mit 4,2 Prozent auf dem Stand von 1970 angelangt. Die Löhne stiegen aber nur geringfügig. Schließlich beflügeln gute Quartalsergebnisse von Unternehmen im High-Tech-Bereich die Phantasie der Anlieger.

Auch andernorts steigt die Nachfrage nach Aktien: In den lateinamerikanischen Staaten, deren marode Staatsfinanzen vor Monaten noch Ängste vor einer neuen Währungskrise hervorriefen, kann man steigende Indizes bewundern. Allen voran lieferte Brasilien einen Zuwachs von 58 Prozent seit Jahresbeginn. Hier sorgten Zinssenkungen unlängst für ein Kursfeuerwerk. Auch in Südostasien hat sich die Lage beruhigt: Die japanische Börse hat einen nachhaltigen Anstieg hinter sich, selbst Hongkong und Südkorea haben mittlerweile einen Großteil ihrer Verluste wettmachen können. Der australische All Ordinaries konnte die 3.000-Punkte-Marke durchbrechen. Ebenso hat sich schließlich die Lage in Rußland stabilisiert.

Auch die etablierten europäischen Börsen steigen moderat. Nur der deutsche Aktienindex vermag sich diesem Trend nicht anzuschließen. Längst haben Analysten beim DAX das sogenannte "Lafontaine-Loch" ausgemacht. Die Börse hierzulande hechelt den anderen Märkten seit Oktober hinterher, und selbst die mittelfristigen Prognosen zu seiner weiteren Entwicklung sind eher verhalten. Langfristig könnte sich die Kosovokrise zusätzlich negativ auswirken, falls der militärische Einsatz immer größere finanzielle Mittel verschlingen sollte. Dann müßte die Regierung ihre Defizite durch die Aufnahme von Schulden am Finanzmarkt ausgleichen. Das würde die Zinsen in die Höhe treiben und negativ auf die Aktienkurse wirken.

Aber die Ursachen für das schwache Abschneiden deutscher Dividendentitel scheinen hausgemacht. Nach dem unerwartet hohen Wirtschaftswachstum zu Beginn des letzten Jahres liegt Deutschland nach einer neuen OECD-Prognose über die konjunkturelle Lage in Europa ganz hinten. Das reale Wirtschaftswachstum ist niedriger, die Arbeitslosenquote höher als im Durchschnitt der anderen Euro-Staaten. Ausländische Investoren trauen dem neuen Finanzminister Eichel keine nachhaltige Kurskorrektur in der Steuerpolitik zu. Die Skepsis gegenüber der neuen Regierung ist weitverbreitet.

Eine Branche, die besonders unter der rot-grünen Regierung zu leiden hat, ist die der Stromversorger. Der Ausstieg aus der Atomenergie wirkt sich hier unmittelbar aus. Hinzu kommt, daß Unternehmen wie VIAG oder RWE erfolglos versuchen, sich jenseits ihrer herkömmlichen Geschäftsfelder ein neues Standbein zu verschaffen. Mit dem Verkauf des neuen Telefonanbieters Otelo an Mannesmann Arcor ist dieser Versuch, sich im Bereich Telekommunikation zu etablieren, allerdings gescheitert. Per Saldo verbleiben den beiden großen Konzernen drei Milliarden Mark Verlust. VIAG dagegen hält noch an seinem Konzept mit VIAG-Intercom fest.


 
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