© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Oper: Hans Pfitzners "Palestrina" in der Rheinoper Düsseldorf
Spirituelle Dimension
Alexander Abendroth

Wenn ein Opernregisseur für eine Neuinszenierung heutzutage keinen Buh-Sturm erntet, ist das eher die Ausnahme als die Regel. Auch für Nikolaus Lehnhoff dürfte solch einhellige Begrüßung wie unlängst in der Deutschen Oper am Rhein eine ungewöhnliche Erfahrung sein. Der Jubel des Premierenpublikums im Düsseldorfer Opernhaus galt seiner Inszenierung eines Werkes, das zu den größten Opern – nicht nur – des 20. Jahrhunderts zu zählen ist: Hans Pfitzners musikalische Legende "Palestrina", die zum 50. Todestag des Komponisten in diesem Jahr als Gemeinschaftsproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden London (wo sie bereits zu sehen war) und dem Teatro dell’ Opera Rom verwirklicht wurde.

Das ist an und für sich schon eine außergewöhnliche Tat. 1917 in München unter Leitung von Bruno Walter aus der Taufe gehoben und seinerzeit von Thomas Mann in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" unter dem Aspekt der "Sympathie mit dem Tode" gewürdigt, wird Pfitzners Hauptwerk heute nur noch selten, zumal außerhalb des deutschen Kulturkreises, aufgeführt. Nicht nur das geforderte Aufgebot an (vorwiegend männlichen) Gesangssolisten, das die Kapazitäten selbst vieler mittlerer bis großer Häuser übersteigt, auch der anspruchsvolle und anscheinend anachronistische Stoff des Dramas haben einer Verbreitung dieses außerordentlichen Werks bis heute im Wege gestanden.

In der Gestalt des historischen Komponisten Palestrina personifiziert Pfitzner hier die Stellung des schöpferischen Künstlers in einer Umbruchs- und Krisenzeit. Damit verarbeitet er weit mehr denn eigene Probleme als Musiker an der Schwelle von der Spätromantik zur Moderne; er gestaltete vielmehr seine ureigenste ästhetische Überzeugung vom einsam schaffenden Musiker als Gefäß göttlicher Gnade: In der zentralen Inspirationsszene am Ende des ausgedehnten ersten Aufzugs wird dem in einer Schaffenskrise steckenden Palestrina seine Verpflichtung zum Schaffen von den Geistern verstorbener Meister der Tonkunst in Erinnerung gerufen und anschließend die ihm abverlangte Meß-Vertonung von einem Engelschor in die Feder diktiert.

An dieser spirituellen Szene muß sich jede Realisierung messen lassen, und wenn sie auch in anderen Inszenierungen schon bildlich überzeugender umgesetzt worden ist, so hat Lehnhoff ihr ihre kosmische Dimension doch jedenfalls nicht versagt: Die Meister erscheinen als gesichtslose Geister mit Masken wie in der antiken Tragödie; die Engel und die Erscheinung von Palestrinas verstorbener Frau Lukrezia werden in gleichsam belebten Statuen und einem Wandgemälde immerhin symbolisch dargestellt. Von einigen Details wie dem – unfreiwillig komischen – Schulterklopfen zwischen Palestrina und seinem Sohn Ighino in der ergreifenden Schlußszene (in der allerdings die Hausorgel fehlte) abgesehen, ist Lehnhoff eine erstaunlich werkgerechte Inszenierung geglückt, die sparsame Bühnenbilder mit prachtvoll kostümierten Darstellern füllte. Sie ließen den zweiten Akt, der mit dem Konzil von Trient dem gottbegnadeten Künstler eine verweltlichte Kirche entgegenstellt, durchaus zu einem Fest fürs Auge werden.

In musikalischer Hinsicht stellt diese Neueinstudierung ohnedies eine große Leistung dar, die insbesondere dem erfahrenen Operndirigenten Hans Wallat zu danken ist. Er ließ die Düsseldorfer Symphoniker mit diesem äußerst anspruchsvollen Werk streckenweise über sich hinauswachsen und interpretierte Pfitzners Musik mit expressiver Grandeur. Und das Sängerensemble aus überwiegend hauseigenen Kräften – darunter auch einige Veteranen – zeichnete sich durch rollendeckende Besetzungen für die vielen, vielen Partien aus. William Cochran kompensierte in der Titelrolle stimmliche Probleme mit einer intelligenten Rollengestaltung, Wicus Slabbert als ausdrucksstarker Kardinal Borromeo kniete im dritten Akt demütig vor dem Meister nieder: Eine momentweise überwältigende Vorstellung.

Die nächste "Palestrina"-Aufführung findet am 11. April statt.


 
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