© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


Kosovo-Krieg: Die Interessen der USA und die Konturen einer "Neuen Weltordnung"
Der Balkan als Zutritt
Michael Wiesberg

Was als begrenzbarer High-Tech-Polizeieinsatz beginnen sollte, wird zu einer immer riskanteren Operation mit weltpolitischer Dimension. Innenpolitisch war Deutschland nicht im entferntesten auf einen sich ausweitenden Balkan-Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Nato vorbereitet. Beinahe aus dem Nichts wurden Parlament und Öffentlichkeit unter Druck gesetzt und vor vollendete Tatsachen gestellt. Was als unausweichliche Konsequenz verkauft wird, droht sich jetzt als kühl kalkulierte kriegerische Provokation herauszustellen.

Nach den Recherchen der taz war im Rahmen des Abkommens von Rambouillet keineswegs nur die Stationierung einer Nato-geführten internationalen "Implementierungstruppe" im Kosovo, sondern die Stationierung einer Nato-Truppe in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien mit den uneingeschränkten Rechten einer Besatzungsmacht geplant. Die Ermächtigung hierfür liefert ein militärischer "Annex B" des Abkommens. Nach offiziellen Angaben soll dieser Annex bei den Verhandlungen jedoch keine entscheidende Rolle gespielt haben, weil die Serben dem Einsatz einer Nato-Eingreiftruppe im Kosovo generell eine Absage erteilt haben. Wie dem auch sei: Daß dieser Passus überhaupt in dieser Form in das Abkommen von Rambouillet eingegangen ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Genese dieses Konfliktes.

Die Neue Züricher Zeitung verweist mit Recht darauf, daß das Abkommen die Handschrift Washingtons trage, "das seinen Führungsanspruch im Balkan" stets unterstreiche. Dieser Führungsanspruch seitens der USA kommt nicht von ungefähr. Durch den Krieg im Kosovo schlagen die USA mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die russische Einflußsphäre auf dem Balkan wird durch die zu erwartende Autonomie des Kosovo weiter zurückgedrängt. Im gleichen Maße wächst der Einfluß des Islams und damit der Türkei. Peter Scholl-Latour schrieb in diesem Zusammenhang in der Welt am Sonntag (11. April), daß der Islam auf dem südlichen Balkan "als Folge der ethnisch-religiösen Auseinandersetzungen mit den slawisch-orthodoxen Erbfeinden eine politische Wiedergeburt erleben" werde.

Rußland sieht sich nicht nur auf dem Balkan einer bröckelnden Einflußsphäre gegenüber. In diesem Zusammenhang ist das Ausscheiden der drei GUS-Mitglieder Georgien, Usbekistan und Aserbaidschan aus dem 1994 geschaffenen "Kollektiven Sicherheitspakt" Anfang April dieses Jahres von erheblicher Bedeutung.

Mit dem steigenden Einfluß der Türkei auf dem Balkan erhöht sich auch der Druck auf die EU, die Türkei als prowestlichen Ordnungsfaktor als Vollmitglied in die Gemeinschaft aufzunehmen. Die Amerikaner hätten damit ihr Ziel erreicht, die Türkei in die EU zu integrieren. Darüber hinaus erlaubt die Konfliktlage auf dem Balkan den Amerikanern eine dauerhafte Stationierung von großen Truppenkontingenten in Europa und damit dessen weitere Kontrolle.

Dies alles erklärt, warum die Amerikaner im Kosovo eine wenig erfolgversprechende militärische Strategie anwenden. Dies erklärt weiter die für einen souveränen Staat wie Serbien unannehmbaren Passagen des Vertrages von Rambouillet. Den Amerikanern war bewußt, daß das Insisitieren auf Maximalforderungen einen Krieg nach sich ziehen mußte. Dieser Krieg wurde aufgrund weitreichender geopolitischer Zielsetzungen bewußt in Kauf genommen.

Bei den strategischen Überlegungen sollen neuerdings nicht nur die Russen außen vor bleiben. Auch die Europäer sind als Konkurrenten aus US-Sicht nicht erwünscht. Die Amerikaner planen, im Rahmen des "New Silk Road Land Bridge Project" sowohl russisches als auch europäisches Territorium zu umgehen. Die Pipelines sollen aus Zentralasien durch das Kaspische Meer, Georgien, Aserbaidschan in die Türkei (Endpunkt Mittelmeerhafen Ceyhan) geführt werden. Die Kontrolle über das gefährderte Erdgas und -öl läge dann bei der Türkei.

Die zentrale geostrategische Rolle der Türkei in Eurasien soll aus Sicht der USA aber noch weiter ausgedehnt werden. Augenscheinlich planen die USA mittel- oder langfristig eine Teilung des Iraks – auch wenn sie diese Pläne umgehend dementierten. Eine kürzlich in den USA erschienene geologische Untersuchung des Irak hat ergeben, daß der Irak über Erdölvorräte verfügt, die denen Saudi-Arabiens zumindest gleichkommen. Bemerkenswerterweise liegen die bedeutendsten Vorkommen im Norden des Irak, der den Teilungsplänen gemäß an die Türkei fallen würde.

Sollten die USA ihre weitgesteckten geopolitischen Pläne realisieren können, wäre die Vormachtstellung der USA, die Macht von jeher als Macht über Ressourcen definiert hat, auf unabsehbare Zeit zementiert.


 
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