© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


SPD-Sonderparteitag: Debatte zum Kosovo-Krieg überschattet Wahl Schröders
Nur ein kleines Stahlgewitter
Alexander Schmidt

Der Sonderparteitag der SPD am Montag hatte etwas phänomenales. Obwohl Gerhard Schröder nur mit knapp 76 Prozent aller Stimmen der 482 Delegierten gewählt wurde und die Parteilinke den ganzen Abend in der Minderheit blieb, verließ niemand die Stadt Bonn als Verlierer. Zwar wurde im Vorfeld spekuliert, daß Schröder 80 Prozent der Stimmen für sich gewinnen könne, das zweitschlechteste Ergebnis bei der Wahl eines SPD-Vorsitzenden kommentierte der siegreiche Schröder knapp: "Gewählt ist gewählt, und Mehrheit ist Mehrheit." Oskar Lafontaine hat im übrigen nichts zu Schröders Sieg beigetragen. Der desertierte Parteivorsitzende wurde auf dem Sonderparteitag nicht gesehen. Auch der Vorsitzende des linken "Frankfurter Kreises", Detlef von Larcher, sieht in dem Sonderparteitag "keine klare Niederlage". Es sei immerhin auf Initiative der Parteilinken durchgesetzt worden, daß in dem Parteivorstandsantrag der Einsatz von Bodentruppen im Kosovo-Krieg ausgeschlossen wurde. "Und auch in anderen Punkten haben 10 bis 20 Prozent der Anwesenden unsere Standpunkte geteilt", so von Larcher.

Der Gegenantrag der SPD-Linken stieß jedoch auf deutliche Ablehnung. Dort wurde neben der erweiterten humanitären Hilfe für die Flüchtlinge die Schaffung eines "Humanitären Korridors", durch UN-Truppen abgesichert, gefordert. Besonders wichtig sei dabei "die Teilnahme russischer Verbände". Weiter heißt es in dem Papier, daß ein Waffenstillstand zur Aufnahme von Friedensverhandlungen herbeigeführt werden solle, weil die Luftschläge ihre Ziele nicht erreicht hätten. Die Juso-Vorsitzende und SPD-Linke Andrea Nahles forderte: "Es muß noch möglich sein, die militärische Logik durch eine politische Logik zu ersetzen." Damit trifft sie die Meinung vieler Sozialdemokraten auf den Kopf, denn an der Basis herrscht Unsicherheit über die richtigen Mittel in dem Krieg.

Auf dem Parteitag der SPD zeichnete sich deutlich ab, daß die Linie von Befürwortern und Skeptikern des Kosovo-Krieges nicht parallel zum Rechts-links-Schema der Partei verläuft. Robert Robbe, der Sprecher des konservativen Seeheimer-Kreises innerhalb der SPD, betonte am Rande des Parteitages, daß heute eine Mehrheit der Sozialdemokraten so denkt wie Vertreter des Kreises, als es um die Stationierung von Truppen in Bosnien ging. Damals stimmte er gegen seine Partei und mit der damaligen Bundesregierung. Mit dem Verlassen der Opposition sei man in einer neuen Lage, mit der viele Traditionalisten der Partei, zu denen er nicht zuletzt Frau Nahles zählt, nicht zurechtkämen. Dies sei keine geringe, aber keinesfalls eine dominierende Zahl in der SPD.

Aus den Reihen der Befürworter meldeten sich auf dem Parteitag ebenso Politiker zu Wort, die zum linken Flügel der Partei zählen. Die Bonner Justizministerin Herta Däubler-Gmelin betonte, sie halte die Entscheidung und die Politik der Bundesregierung für richtig. "Es gibt keinen Grundsatz des Völkerrechts, der an das Zuschauen bei Menschenrechtsverletzungen bindet", erklärte Frau Däubler-Gmelin.

Auch der frühere Bundesminister Erhard Eppler, der vor 20 Jahren zur Friedensbewegung gehörte, verteidigte das Vorgehen der Bundesregierung nachdenklich und betont ruhig. "Die Politik kann erst dann wieder beginnen, wenn die Flüchtlinge wieder in ihrer Heimat sind." Die Flüchtlinge aber kehrten erst dann zutrück, wenn Militär ihnen die Sicherheit böte. Eppler: "Daran kommt kein Vermittler vorbei."

Einen Sonderweg will niemand in der Partei

Von einem Erfolg dieses Nato-Einsatzes geht auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement aus. Bereits 1995 hätten Luftangriffe gegen Stellungen bosnischer Serben zum Erfolg geführt. Im Kosovo gebe sei es eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen, denen ein Ende gesetzt werden müsse. Auch vom Fraktionschef der SPD im Bundestag erhielt Schröder Schützenhilfe. "Eine Feuerpause würde dazu führen, daß weitere Menschen im Kosovo ermordet werden. Dafür werde ich meine Hand nicht heben. Niemals", warnte Peter Struck.

Widerspruch dagegen kam von dem als konservativ geltenden ehemaligen Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau. Jeder militärische Angriff als Fortsetzung der Politik sei falsch, sagte er. Der gerechte Krieg sei eine Legende.

Eine Bombardierung, wie sie zur Zeit passiere, führe nicht zum Erreichen der Ziele der Bundesregierung. Hierzu müßten Bodentruppen eingesetzt werden. Eine Lösung, die von allen Parteien im Deutschen Bundestag abgelehnt wird.

Benjamin Mickfeld aus dem SPD-Bundesvorstand und Jungsozialist bemängelte "drei Unsicherheiten bei den Einsätzen. Zum einen herrsche eine bindungspolitische Unsicherheit, da sich die Nato derzeit im Schlepptau der USA befinde. Weiter erkannte er sowohl rhetorische Unsicherheiten der Bundesregierung und eine planerische Unsicherheit in der Durchführung der Angriffe. Weil das Ziel der Nato noch nicht erreicht worden sei, müßten die Angriffe ausgesetzt werden, um Vertrauen zu schaffen. Damit liegt Mickfeld auf der Linie von Larchers, der für eine Lösung auf die Zusammenarbeit mit Milosevic setzt. "Einen Sonderweg will niemand", so der Bundestagsabgeordnete Gernot Erler, "aber in einer Sackgasse ist es gut, nach neuen Wegen zu suchen."

Auch Schröder stellte in seiner Rede das Thema Kosovo in den Vordergrund. Deutschland sei verpflichtet, an den Einsätzen teilzunehmen, weil "auch wir in schwierigen Zeiten von unseren Partnern Solidarität erfahren haben." Schröder weiter: "Die Menschen erwarten von uns, daß Milosevic nicht gewinnen darf, gegenüber denen, die ihre Menschenrechtsverletzungen einklagen." Es sei auch nicht die Schuld der Luftangriffe, daß Greueltaten nicht aufhörten. Vielmehr sei dies von serbischer Seite geplant gewesen. Mit dem Einstellen der Luftangriffe "würden wir dem Ziel keinen Millimeter näherkommen."

Wenn die Waffen schweigen sollten, erklärt der Bundeskanzler und bis dahin designierte Parteivorsitzende Gerhard Schröder, "dann muß Milosevic das Morden und Töten einstellen und seine Mörderbanden in den Kasernen aus dem Kosovo herausholen". Trotz aller Differenzen innerhalb der SPD war die Rolle Rußlands unbestritten. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe empfahl seinen Genossen: "Laßt Rußland nicht los, damit wir zu Frieden auf dem Balkan kommen." Darauf ging auch Schröder ein, denn Rußland teile die Ziele von Rambouillet. Er selbst stehe in ständigem Kontakt mit dem russischen Prädidenten und Premierminister. Dort sei man sich einig, daß deutsch-russische und europäisch-russische Beziehungen wegen des Kosovo-Konfliktes nicht "prinzipiell beeinträchtigt werden dürfen".

Nach seiner Wahl zum neuen Parteivorsitzenden wurde ihm als Geschenk ein Paar "Inline-Skates" überreicht, damit er künftig schnell am Ort sei. Einige seiner Genossen haben dem Anfänger in Sachen "Inline-Skating" sicherlich anderes gewünscht – Knie- und Armschoner fehlten in dem Geschenk.


 
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