© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


Zeitschriften: Vor 90 Jahren wurde die "Die Tat" gegründet
Revolution von oben
Werner Olles

Die von den Gebrüdern Horneffer im April 1909 gegründete Zeitschrift Tat – Wege zu freiem Menschentum spielte in den ersten drei Jahren ihres Bestehens kaum eine Rolle im politischen und kulturellen Leben. 1912 übernahm jedoch der Verleger Eugen Diederichs in Jena das realtiv unbekannte Blatt und versah die Zeitschrift mit dem neuen Untertitel "Monatschrift für die Zukunft deutscher Kultur". Inoffiziell der "freideutschen Jugend" nahestehend, propagierte die Tat den Volksstaat und die Volksgemeinschaft im Gegenzug zu Parlamentarismus, Parteienherrschaft und seelenlosem Rationalismus. Von Politik im völkischen Sinne hielt Diederichs dennoch wenig, seine kulturpolitischen Interessen lagen weitaus mehr auf dem Gebiet einer recht anspruchsvollen Esoterik, die mit mystischer Lebensführung versetzt einen neuen Mythos schaffen wollte, um dem deutschen Volk seine Seele zurückzugeben und es aus der Knechtschaft gegenüber dem Westen zu erlösen.

1928 begann indes ein Journalist für die Tat zu schreiben, der die bis dahin in etwa 1.000 Exemplaren gedruckte Zeitschrift mit seinen Visionen zu einem der führenden politischen Blätter der Weimarer Republik machen sollte: Hans Zehrer. Zehrer war seit 1923 in der außenpolitischen Redaktion der Berliner Vossischen Zeitung tätig. Er hatte, nachdem er als Kriegsfreiwilliger verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt war und als Zeitfreiwilliger beim Kapp-Putsch erneut verwundet wurde, zunächst in Berlin Philosophie, Medizin und Soziologie studierte. Nachdem die Inflation ihm die Mittel genommen hatte, um seine Studien fortzusetzen, war er in die Redaktion der Voss eingetreten. Er war stark beeinflußt von Oswald Spengler, Karl Mannheim, Vilfredo Pareto, George Sorel und nicht zuletzt von Carl Schmitt. Es gelang ihm schon bald, Diederichs davon zu überzeugen, daß die Tat dringend eine neue Richtung brauchte. Im Oktober 1929 verkündete der Herausgeber dieses Programm mit den Worten: "Wir wollen den realen Kräften dieser Zeit nachgehen, sie sachlich prüfen und ihren geistigen Gehalt freilegen. Wir werden diesen Kampf führen um die Freiheit jener Schicht, die bereit ist, geistige Werte vor den anderen Werten gelten zu lassen. Dieser Kampf geht um die neue bürgerliche Jugend, der die schwerste Aufgabe im Ringen um die deutsche Zukunft zugefallen zu sein scheint."

Zehrer benannte die Tat alsbald im Untertitel in "Unabhängige Monatszeitschrift zur Gestaltung neuer Wirklichkeit" um. Nachdem er von Diederichs auch die Redaktionsgeschäfte übernommen hatte, holte er sich weitere fähige Mitarbeiter, so von der Voss den Wirtschaftsfachmann Ferdinand Friedrich Zimmermann (Ferdinand Fried), Ernst Wilhelm Eschmann und Giselher Hirsing von der Heidelberger Universität sowie den Pädagogen Horst Grüneberg aus Frankfurt an der Oder. Diese vier Redakteure bildeten den "Tatkreis".

Im Oktober 1931 avancierte Zehrer zum Herausgeber der Tat, deren Auflage schließlich auf über 30.000 stieg. Die Tat beschwor jetzt eine sich abzeichnende Präsidialgewalt und einen autoritären – keineswegs totalitären – Staat, der die kommunistischen und nationalsozialistischen Bewegungen bändigen sollte. Seine eigene Position bezeichnete der Tatkreis als "wirtschaftlich links", aber "politisch rechts". Das antikapitalistische Pathos ihres "nationalen Sozialismus" richtete sich vorwiegend an die Mittelschichten zwischen Kapitalisten und Arbeiterschaft und an eine freischwebende Intelligenz, die zu einer dritten Kraft zusammengeschmolzen werden sollten. Durchdrungen von einem Gefühl sozialer Gerechtigkeit, plädierte man für die Verstaatlichung der Großindustrie und den Aufbau einer Planwirtschaft, in der der Mensch wieder zum Maß aller Dinge aufrücken sollte.

Während Fried mit seinem Autarkieprogramm dem Kapitalismus den Kampf ansagte, Grüneberg die unbedingte Souveränität des Staates forderte und Wirsing die außenpolitischen Gemeinsamkeiten Deutschlands mit der Sowjetunion betonte, versuchte Zehrer gemeinsam mit Schleicher die NSDAP zu spalten, um mit Strasser und den Gewerkschaften, der Reichswehr und Reichspräsident Hindenburg eine Sammlungsbewegung zu initiieren, die als "Revolution von oben" einen Umschwung in Deutschland schaffen könnte.

Nach dem Scheitern dieses politischen Konzepts war der Tatkreis von der Entscheidung am 30. Januar 1933 bitter enttäuscht. Die Staatstradition von "Autorität und Obrigkeit, Distanz zwischen Regierung und Regierten und Selbstverwaltung der Gemeinden, Landschaften und Stände" sahen die Tat-Leute mit der Eroberung des Staates durch die Partei Hitlers nicht verwirklicht. Zehrer resignierte recht bald, während Wirsing und Eschmann die Zeitschrift noch bis 1937 über Wasser halten konnte. Sie verfügten allerdings über keinerlei Einfluß bei den neuen Herren.

Hans Zehrer, seit den zwanziger Jahren mit einer Jüdin verheiratet, zog sich auf die Insel Sylt zurück, publizieren konnte er erst nach dem Krieg wieder. Noch in seinem letzten Aufsatz im August 1933 hatte er – ganz im Sinne der Konservativen Revolution – die Krise des Menschen beschworen und den allseits gescheiterten Glauben an das Diesseits metaphysisch gedeutet. Der Tatkreis hatte das NS-Regime – wie Eschmann später eingestand – völlig falsch eingeschätzt. So wurde man von der realen Macht der Bewegung überrascht, wie so viele andere "linke Leute von rechts", die zwar oft genug mit dem sowjetischen Kommunismus und dem deutschen Nationalsozialismus kokettiert hatten, der totalitären Praxis letztlich jedoch nicht gewachsen waren.


 
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