© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


Trauma Bodenkrieg
von Werner Olles

Im 25. Juni 1950 fielen starke Truppenverbände der kommunistischen Koreanischen Volksdemokratischen Republik in der Republik Korea ein. Mit ihrem Einmarsch begann ein mehr als drei Jahre dauernder militärischer Konflikt, der als sogenannter "Koreakrieg" in die Geschichte einging. Als die nordkoreanischen Verbände bereits tief in Südkorea standen, griffen schließlich UNO-Truppen unter dem Oberkommando des amerikanischen Generals MacArthur ein. Ihnen gelang es nach sehr wechselhaften Abläufen und äußerst blutigen, verlustreichen Gefechten in zumeist offenen Feldschlachten, die nordkoreanischen und chinesischen Divisionen – die zugunsten Nordkoreas interveniert hatten – allmählich zurückzudrängen. Als General MacArthur jedoch feindliche Flugstützpunkte in der Mandschurei angreifen wollte, wurde er von US-Präsident Truman seines Amtes enthoben. Zu groß war die Angst der amerikanischen Regierung vor einer Ausweitung des Krieges, der möglicherweise einen offenen Konflikt mit der Sowjetunion und der Volksrepublik China heraufbeschworen hätte. So wurde der Koreakrieg am 27. Juli 1953 mit dem Waffenstillstand von Panmunjon beendet. Für die USA – deren Truppen im Verein mit Großbritannien, Australien und Kanada die Hauptlast der UNO-Verbände trugen – war dies der erste Krieg, aus dem sie nicht als eindeutiger Sieger hervorgingen. Ganz nebenbei führte er auch zu der amerikanischen Forderung nach einem westdeutschen Wehrbeitrag, der sich die damalige Bundesregierung unter Konrad Adenauer – trotz starker Proteste aus der Bevölkerung – kaum entziehen konnte.

Wenige Monate zuvor, am 8. Mai 1953, war nach schweren Kämpfen unter Colonel de Castries mit 11.000 französischen Fallschirmjägern und Fremdenlegionären gegen die Viet-Minh unter der Führung des genialen und legendären Militärstrategen General Giap, der später zum Verteidigungsminister Nordvietnams avancierte, die Festung Dien Bien Phu in Nordvietnam an der Grenze zu Laos gefallen. Bei der Schlacht, die eindeutig alle Wesenszüge eines Grabenkrieges aufwies, hatten die Nordvietnamesen allein 220 Geschütze in Stellung gebracht, deren Feuer von sowjetischen Beratern geleitet wurde. Ein Jahr später räumten die letzten französischen und südvietnamesischen Truppen Phu Ly, einen Vorposten der Hafenstadt Hanoi. Der Krieg in Indochina, der alle Phasen einer indirekten Strategie durchlief und sich allmählich von einer revolutionären Konspiration zu einem weiträumigen Guerillakrieg entwickelte, und den selbst der Einsatz von 220.000 französischen Soldaten nicht zu meistern vermochte, hatte bereits 1945 begonnen, als Frankreich nach der Kapitulation der Japaner mit britischer und amerikanischer Unterstützung wieder die uneingeschränkte Herrschaft über seine alte Kolonie übernehmen wollte. Diese hatte sich aber inzwischen unter der Führung des Kommunisten Ho Tschi Minh für unabhängig erklärt. Der mit äußerster Härte geführte Krieg gegen die kommunistischen Guerilla-Kämpfer auf den Reisfeldern und in den Dschungeln Indochinas endete 1954 mit der Teilung des Landes in einen kommunistisch beherrschten Norden und einen eher westlich orientierten Süden unter Kaiser Bao-Dai. Noch im gleichen Jahr wurde dieser von Ngo Dinh-Diem gestürzt, der sofort einen scharf antikommunistischen Kurs einschlug. Mitte 1963 kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, buddhistische Mönche verbrannten sich aus Protest gegen die repressive Politik des Diktators. Schließlich ließen ihn auch die USA fallen, ein Militärputsch schaltete Diem und seine Vasallen endgültig aus.

Im zweiten Vietnamkrieg (1957–1975) gelang es den Amerikanern in einem achtzehn Jahre dauernden Ringen trotz eines massiven Einsatzes modernster Waffentechnologien – wie Kampfhubschrauber und B-52-Bomber – nicht, die Lage zu ihren Gunsten zu wenden. Weder waren die US-Truppen psychologisch vorbereitet auf einen hochmotivierten und zu allem entschlossenen Feind, noch eignete sich ihre waffentechnische Überlegenheit zur Führung eines Dschungelkrieges. Vietnam gab so einen guten Anschauungsunterricht darüber, daß Bodenkriege in der Regel von denen verloren werden, die sich dem besonderen Stil dieser Gefechte und vor allem ihrer Härte nicht anpassen können. Dazu kamen außenpolitische Skrupel der US-Regierung, Ängste vor Reaktionen aus Moskau und Peking, die ihrerseits Nordvietnam und die Partisanen der FNL ausrüsteten und berieten, und schließlich auch ein zunehmender Widerstand gegen den Krieg im eigenen Land, der mit jedem Tag wuchs, an dem neue Zinksärge aus Südostasien in der Heimat ankamen und im US-Fernsehen aktuelle Bilder vom Schrecken des Krieges zu sehen waren.

Von den 550.000 amerikanischen Soldaten, die in Vietnam standen, waren außerdem höchstens 80.000 Frontruppen, von denen jedoch lediglich etwa 35.000 jeweils direkte Feindberührung hatten. Sie waren die kämpfende Spitze, während die übrigen in Versorgungs- und technischen Einheiten Dienst taten. Um in den langen und blutigen Dschungelkämpfen bestehen zu können, wären gegen einen vietnamesischen Guerillero mindestens zehn Soldaten notwendig gewesen. Nach dieser Einschätzung des US-Generalstabes hätte Washington die Streitkräfte in Vietnam mehr als verdoppeln müssen, was aber aus finanziellen und inzwischen auch aus innenpolitischen Gründen nicht mehr möglich war. So blieb als Alternative letztlich nur der Verzicht auf ein siegreiches Ende des Krieges in dieser geostrategisch wichtigen Ecke Asiens. Die USA waren zum Gefangenen einer Lage geworden, die sie gewiß nicht gewollt, aber durch ihre zaghafte und unentschlossene Politik und primär durch eine fehlerhafte militärische Strategie – die allein auf die technologische Überlegenheit durch Luftangriffe setzte – selbst herbeigeführt hatten.

Die Erkenntnis, daß sie den Vietnamkrieg nicht gewinnen konnten, und ihre Regierung ihn auch gar nicht gewinnen wollte, demoralisierte vor allem die im Vietnamkrieg eingesetzten US-Streitkräfte. Zum anderen gab es entsetzliche Grausamkeiten auf beiden Seiten: vietnamesische Kinder wurden mit Napalm verbrannt, die Einwohner ganzer Dörfer – wie in My Lai – erbarmungslos massakriert, während der Vietkong heimtückische Menschenfallen baute und Bürgermeister ermordete. Es war ein "schmutziger" Krieg, in dem gefoltert und vergewaltigt wurde, und die amerikanische Nation hat lange gebraucht, um die vernichtende Niederlage ihrer Armee in den Dschungeln Vietnams auch mental und emotional zu verarbeiten. Ein Mittel dazu waren die sogenannten Vietnam-Filme, beginnend 1977 mit Francis Ford Coppolas Meisterwerk "Apocalypse Now". Unvergessen bis heute die Anfangssequenz, in der zu Wagnerschen Klängen ein vietnamesisches Küstendörfchen von einem Dutzend Kampfhubschrauber dem Erdboden gleichgemacht wird, um dem Kommandeur der Luftkavallerieeinheit die Gelegenheit zu ungestörtem Surfen zu bieten. In Michael Ciminos "The Deer Hunter" ("Die durch die Hölle gehen", 1979) verschlägt es drei Freunde polnischer Abstammung aus einem im amerikanischen Mittelwesten gelegenen Bergarbeiterstädtchen nach Vietnam, wo einer fällt, ein zweiter zum Krüppel wird und der dritte äußerlich unversehrt, aber innerlich zerrüttet und seelisch gebrochen wieder nach Hause zurückkehrt. Für klare Fronten sorgte hingegen Sylvester Stallone als nihilistischer Elite-Soldat John Rambo in "First Blood", in dessen zweitem Teil er in offiziellem Auftrag in Vietnam nach vermißten Kameraden sucht und seinen Landsleuten somit erlaubt, einen hartnäckigen Alptraum gegen einen zeitgemäßen Wunschtraum auszutauschen, und die ihnen aufgezwungene Geschichtslast durch diese Gelegenheit zur Revanche kuriert. Stellvertretend für ganz Amerika rächt er so die peinliche Niederlage einer Weltmacht gegen die Dschungelkämpfer eines armen Dritt-Welt-Landes. Nixon und Kissinger ließen die Nation anschließend wissen, daß dieser Krieg auch ganz anders hätte ausgehen können, wenn nicht ein feiger Kongreß und zynische Medien im Verein mit dunkel-konspirativen Kräften dem Feind skrupellos in die Hände gearbeitet hätten. Diese amerikanische Dolchstoßlegende – die jedoch, wie alle Legenden, auch ein Körnchen Wahrheit beinhaltet – mochte Oliver Stone in seinem preisgekrönten Film "Platoon" allerdings nicht bedienen. Der Vietnam-Veteran Stone beschreibt das Inferno des Krieges in irgendeinem Infanteriezug im kambodschanischen Grenzgebiet Ende 1967. Zehn Jahre lang hatte Hollywood sein Drehbuch als "zu düster und deprimierend" abgelehnt, aber Stone brannte endlich jene schwärende Wunde Vietnam aus und dies, ohne lehrhaftes Besserwissen, ohne verlogene Ideologien und sogar ohne zu zeigen, warum und gegen wen die Boys aus Brooklyn und Selma, Alabama, in Vietnam eigentlich kämpften. Nur daß und wie sie es taten, welchem Wahnsinn sie ausgeliefert wurden, und welche in Worten kaum faßbare Unmenschlichkeit hinter solch einem Krieg steckt, erfuhr die gedemütigte Nation, und nicht zuletzt, daß "der Feind in uns selbst war", wie Chris, der junge Freiwillige aus gutem Hause, es so treffend formuliert. Auf einen kleinen Trupp Soldaten konzentriert, der auf amerikanischer Seite an vorderster Front kämpft, steigert er dramaturgisch die Aktionen über erste kleinere Feindberührungen bis zu jenem Inferno, in dem die Einheit von Nordvietnamesen überrollt und vollständig aufgerieben wird. Im Film ist das eine grauenvolle Katastrophe, ein Gemetzel sondergleichen, in der Geschichte des Vietnamkrieges gewiß nur eine kleine Fußnote. Stone, der – nach eigenen Angaben – als psychisch verkrüppelter und tiefreligiöser Mensch aus Vietnam zurückkam, leistete mit "Platoon" elegische und evidente Trauerarbeit: die US-Luftwaffe hatte über Vietnam mehr Bomben abgeworfen als im gesamten Zweiten Weltkrieg über Deutschland, und dennoch mußten die Amerikaner in einer schmählichen Flucht alle ihre Stützpunkte räumen und das Land als Geschlagene verlassen, 50.000 US-Soldaten und eine Million Vietnamesen starben, eine Nation sank in tiefe Depression. Wer sehen konnte, fand auch jenseits der eleganten Choreographie des Tötens und Getötetwerdens und der furchtbaren Gewaltästhetik in den Bildern dieses Films, was Krieg in der Menschheitsgeschichte immer bedeutet: keine imaginären "sauberen" und präzisen Luft-Schläge und Schnitte, bei denen der Soldat seinen Gegner nicht einmal mehr zu Gesicht bekommt, beide also auf eine beklemmende Weise anonymisiert sind, sondern ein schreckliches Sterben und Leiden für den einzelnen konkreten Menschen, der ohne jegliche Distanz und Illusion in das furchtbare Antlitz des Todes blickt.

 

Werner Olles schrieb auf der Forum zuletzt in der JF-Ausgabe 38/98 über die deutsche Rechte


 
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