© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/99 23. April 1999


Kosovo-Krieg: Der Westen korrigiert seine Fehler
Die Rehabilitation
Lothar Höbelt

Die spanische Tageszeitung ABC hat den letzten Balkankrieg dieses Jahrhunderts in einer Anspielung auf die Jugendsünden der beteiligten Staatsmänner den "Hippie-Krieg" genannt. Daß dieses Abgehen von den Idealen ihrer Jugend den Herrschaften auf der Linken so manche Schelte einbringen würde, war vorherzusehen. Daß dieser Krieg auch auf der Rechten nicht unumstritten sein würde, ebenfalls – zumindest in Frankreich und England, handelt es sich doch um die Zerschlagung des Staatswesens, das sie beide nach zwei Weltkriegen (wieder) errichtet haben. Kurioser liegt der Fall da schon in Deutschland.

Wir wollen vorausschicken, daß Krieg natürlich nie eine erfreuliche Sache ist. Und wir wollen auch anerkennen, daß das Vorgehen des Westens Anlaß zu so mancher Kritik im detail gibt, vom viel zu späten Eingreifen bis hin zur inkonsequenten Erklärung, man werde keine Bodentruppen schicken, was einer offenen Einladung an die Gegenseite gleichkommt, diesen Bluff auszulizitieren. Selbstverständlich auch, daß das erste Opfer jedes Krieges die Wahrheit ist, daß Propaganda und Heuchelei nahe beinander liegen und es nicht von logischer Konsequenz zeugt, die Vertreibung der Sudetendeutschen zu entschuldigen, Herrn Milosevic wegen ähnlicher Vorhaben hingegen zu dämonisieren.

All das wohl erwogen, bleibt es dennoch rätselhaft, warum die deutsche Rechte sich so instinktiv gegen diesen Krieg wehrt, wie das unlängst auch in der JF seinen Niederschlag fand. Da ist zum ersten schon einmal der wertvolle Präzedenzfall für vermehrte deutsche Handlungsfreiheit, frei nach dem Motto: "Sie flogen jenseits der Grenzen..." Wenn dieselben Leute, die den gebürtigen Österreicher Generaloberst Löhr wegen seines Luftangriffs auf Belgrad ohne Kriegserklärung 1941 als Kriegsverbrecher zu bezeichnen gewohnt sind, heute von den Deutschen händeringend ein Da Capo einfordern, entbehrt das zwar nicht einer gewissen ironischen Note, ist im Sinne einer vorurteilsfreien und nüchternen Auffassung von Realpolitik aber jedenfalls ein Fortschritt. Auch daß es sich bei der Intervention der NATO formal um einen Angriffskrieg handelt, ist ein wertvoller Beitrag zur Erkenntnis, wie fragwürdig derlei Kategorien sind. Für Adepten der gängigen Political Correctness sind beides zweifellos harte Nüsse, für die Rechte jedoch noch lange kein Grund zur Niedergeschlagenheit.

Noch weniger verständlich ist, warum gerade Deutsche den Ruf nach Einschaltung der UNO erheben sollten, sprich: gerade jener multinationalen Organisation, in der die Deutschen am wenigsten zu sagen haben, weil sie zusammen mit den Japanern als Verlierer des letzten Weltkrieges noch immer keinen Sitz im Sicherheitsrat haben. (Ganz abgesehen davon, daß die UNO überflüssig ist, wenn sich die Großmächte einig sind und handlungsunfähig, wenn sie es nicht sind.) Auch Europa erscheint in diesem Fall als ein etwas unsicherer Kantonist, gibt es doch in London und Paris weitaus mehr Vorbehalte gegen etwaige deutsche Präponderanz als in Washington. Unbestreitbar ist eben auch, daß es gerade die USA waren, die in den letzten Jahren auf dem Balkan (Stichwort Kroatien) stets der deutschen Position den Zuschlag erteilt haben. Als imperiales System, das deutschen Interessen am meisten Durchsetzungschancen ermöglicht, erscheint mir die NATO unter allen realistischen Varianten da augenblicklich ziemlich konkurrenzlos.

Daß die USA diesen Krieg führen, weil die Interessen ihrer Ölfirmen in Zentralaien angeblich Unruhe auf dem Balkan voraussetzen, zählt eindeutig zur Kategorie höherer Blödsinn. Zum Teil, so ist man versucht zu sagen, leider auch in die Kategorie des Wunschdenkens. Denn die westliche Politik wäre vermutlich konsequenter und berechenbarer, wenn die USA auf dem Balkan tatsächlich mehr als nur äußerst periphere Interessen verfolgen würden. Überall dort, wo das nicht der Fall ist, laufen wir hingegen Gefahr, daß Außenpolitik zur bloßen Funktion der Innenpolitik degradiert wird, sprich an die Stelle langfristiger Strategien das kurzfristige Reagieren auf die wechselnden Launen des Fernsehpublikums tritt. In diesem Sinne wäre nun allerdings kein Vorwurf tödlicher als gerade der, daß es de NATO immer und überall einzig und allein um die Menschenrechte geht oder gehen soll: Denn dann würden ein paar rechtzeitig plazierte CNN-Kameras genügen, und wir müßten uns demnächst auch in diversen tropischen Regenwäldern umtun.

Schließlich ist nicht einzusehen, warum gerade traditionsbewußte Deutsche ihren Widerspruch anmelden sollten, wenn "der Westen" spät, aber doch darangeht, auf dem Balkan seine Fehler von 1918 und 1945 zu korrigieren. Von Nationalbewußten kann man doch zumindest erwarten, daß sie sich an den Völkern (in diesem Fall den Albanern) und nicht an den Staaten (wie Jugoslawien) orientieren. Bei allem Respekt vor dem Fürsten Bismarck und seinem Wort von dem ganzen Balkan, der nicht die Knochen eines pommerschen Musketiers wert sei, hat in dem Fall wohl auch die Wiener Perspektive etwas für sich, daß in einem gewissen Sinne soeben der Erste Weltkrieg für die Mittelmächte gewonnen wird, der 1914 ja als der 3. Balkankrieg begonnen hat. Vorausgesetzt natürlich, er wird tatsächlich gewonnen.

 

Prof. Dr. Lothar Höbelt lehrt Neuere Geschichte an der Universität Wien.


 
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