© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/99 23. April 1999


Pankraz,
J. Fischer und das Recht auf ethnische Säuberung

Bezeichnenderweise kommt im Katalog der sogenannten "Menschenrechte" das Recht auf Heimat nicht vor und das Recht auf Leben nur in einem knappen Satz. Zwar gibt es ein alliiertes Kontrollratsgesetz vom Dezember 1945 zur Ahndung von "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", in dessen Artikel II die "Ausrottung, Versklavung, Zwangsverschleppung und Folterung von Zivilbevölkerung" unter Strafe gestellt wird, aber das war lediglich ein Post-hoc-Gesetz der damaligen Sieger zwecks Verfolgung deutscher Täter im Zweiten Weltkrieg. Internationales Recht wurde damit nicht begründet, geschweige denn Interventionsrecht.

Die "ethnischen Säuberungen" nach dem Krieg, die gewaltige Ausmaße hatten und vielfach pure Ausrottung waren, lagen nicht im Visier jenes Kontrollratsgesetzes Nummer zehn. Und, wie gesagt, die Menschenrechtsdeklaration der UNO von 1948 beschäftigte sich zwar mit Rede- und Lehrfreiheit, mit der Freiheit der Religionswahl, mit freier Aus- und Einreise, mit der Gleichheit vor dem Gesetz und daß einem nichts willkürlich weggenommen werden darf, doch Leben und Heimat wurden kaum thematisiert.

Daß die Menschen leben müssen und eine feste Bleibe brauchen, um gewisse "unveräußerliche Rechte" wahrnehmen zu können, galt den Deklarierern offenbar als pure Selbstverständlichkeit. Aus heutiger Sicht wirkt das ungemein blauäugig, wenn man etwa an das Problem des "ungeborenen Lebens" denkt oder an die diversen Gewichtungen, die das geborene Leben heutzutage erfährt.

Welches Leben ist wichtiger, bewahrenswerter, das Leben eines Nato-Soldaten oder das Leben eines serbischen oder albanischen Zivilisten? Wie viele Zivilistenleben wiegen das Leben eines einzigen Soldaten auf, ab wann also muß der Soldat sein eigenes Leben wirklich und ernsthaft riskieren, um das Leben von Zivilisten zu retten? Oder geht es gar nicht darum, Zivilisten zu retten oder auch nur zu verschonen, geht es vielmehr darum, so viele Zivilisten wie nur irgend möglich umzubringen?

In den alten Haager Landkriegsordnungen und Genfer Konventionen war die Sache klar: Zivilisten, hieß es dort, sind grundsäzlich draußen zu halten und nicht anzugreifen, ihr Leben ist für den Krieger tabu. Aber schon durch die moderne Luftkriegführung mit ihren Flächenbombardements wurde dieses Prinzip ad absurdum geführt, und parallel dazu gab es bald staats-offizielle Aufrufe à la Ilja Ehrenburg an die Landsoldaten, sich ausdrücklich auf die Zivilisten zu stürzen, sie zu massakrieren, die Frauen unter ihnen zu vergewaltigen.

Mittlerweile werden Kriege beinahe nur noch gegen Zivilisten geführt, so daß der "Dienst an der Waffe" zum sichersten Job in einem solchen Krieg geworden ist, wo man die größten Chancen hat, unversehrt über die Runden zu kommen und am Ende sicher zu Frau und Kind und Mütterlein in die Heimat zurückzukehren. Der Zivilist seinerseits muß nächst dem Leben vor allem um seine Heimat bangen. Der Krieg wird meistens gerade darum geführt, Zivilisten massenhaft um ihre Heimat zu bringen.

Üblicherweise handelt es sich dabei um nationale oder religiöse Minderheiten eines Staates, die von der Regierung regelrecht "entsorgt" werden, indem man ihnen die Bürgerrechte nimmt, ihre Häuser niederbrennt, sie in die Berge oder in die Boote treibt, sie anderen Staaten gewissermaßen vor die Haustür wirft: "Hier habt ihre eure lieben Mitbürger, um die eure Medien so viele Tränen vergießen, nun sorgt selber für sie, wir unsererseits wollen sie ein für allemal los sein."

Aber die Sache hat auch eine Gegenseite. Die entsprechenden Minderheiten sind keineswegs immer arme, mit demokratischem Öl gesalbte Hascherl, sie wollen selber Mehrheit werden, um dann ihrerseits Minderheiten zu entsorgen. Ihre Stammesältesten verfolgen oft ganz bewußt eine gewissermaßen sozialdarwinistische Strategie, die Strategie des Kinderkriegens um jeden Preis. Eine kosovo-serbische Familie zieht in der Regel zwei Kinder auf, eine kosovo-albanische sieben. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Verhältnisse um hundertachtzig Grad gedreht haben.

Sehr beeindruckt hat Pankraz eine Rede des Bürgermeisters von Toulon in Frankreich, der sich im Kosovo-Krieg auf die Seite der Serben geschlagen hat. "In absehbarer Zeit", führte er aus, "werden die Afrikaner die Mehrheit in Marseille haben, und sie denken gar nicht daran, sich in unsere Republik einzufügen und ihre archaischen Bräuche aufzugeben. Sie werden Autonomie fordern, und wenn wir sie ihnen nicht geben, was dann? Wird uns dann die Nato bomben, wie sie jetzt die Serben bombt?"

Mit dem Recht auf Heimat, so zeigt sich, ist es ein eigen Ding. Beileibe nicht jeder versteht darunter das Recht auf ein "heiliges", von Tradition, Erinnerung und frühkindlicher Sozialisation gedüngtes Territorium. Viele sagen statt dessen: "Wo es mir und meiner Familie wirtschaftlich gut geht, da ist meine Heimat, da breite ich mich aus, und wer mich aus irgendwelchen geschichtlichen Gründen daran hindern will, den graulen wir weg, der zieht bald von selber aus."

Ethnische Säuberungen können sich auf vielerlei Weise vollziehen, und immer spielt dabei auch die Gewichtung von Menschenleben eine Rolle, unserem Außenminister, Herrn Joschka Fischer, sei’s geklagt. Was gibt den Ausschlag? Immer nur die pure Quantität? Oder doch die durch Tradition, Kultur und Landschaftsliebe und -pflege beglaubigte Qualität?

Das Leben eines Nato-Soldaten, soviel scheint in Bonn und Brüssel klar, wiegt das Leben von Dutzenden, vielleicht sogar hunderten balkanesischer Zivilisten auf. Aber aus diesem Kalkül läßt sich gewißlich keine allgemeine Menschenrechtskonvention ableiten. Genauere, feinere Festlegungen werden nötig.


 
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