© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/99 23. April 1999


Jahrhundert der Vertreibung (II): Ein tschechischer Gestapo-Spitzel organisierte den Brünner Todesmarsch
Ethnische Säuberung blieb ungesühnt
Werner H. Krause

Wer sind jene Tschechen gewesen, die sich 1945, von einem bestialischen Instinkt getrieben, zu Henkersdiensten an den Deutschen hergaben? Was veranlaßte sie während der Vertreibung von 3,5 Millionen Sudetendeutschen beispielslose Grausamkeiten an den Tag zu legen, denen ungezählte Frauen, Kinder, ältere, längst hilflos gewordene Menschen zum Opfer fielen?

War es wirklich aufgestaute Vergeltung für Lidice und andere am tschechischen Volk von Nazionalsozialisten begangene Verbrechen? Die zeitgeschichtliche Forschung ist seit Öffnung der ihr über vier Jahrzehnte nicht zugängig gewesenen Archive der KPC, der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, auf Erkenntnisse gestoßen, durch welche so manche frühere Annahme einer völligen Revision bedarf. Denn viele der tschechischen Täter, die sich besonders schlimm an den Deutschen vergingen, waren weder überzeugte Kommunisten, noch hatten sie persönliche Gründe Wut, auf alles Deutsche und die Deutschen zu hegen.

Ludek Pachmann, seit der gewaltsamen Beendigung des Prager Frühlings durch sowjetische Panzer und Truppen des Warschauer Paktes in Deutschland lebender tschechischer Schachgroßmeister, hat sich wohl wie kein anderer mit dieser Thematik auseinandergesetzt und einen tiefen Einblick in das Seelenleben seiner Landsleute getan. Seine Erkenntnis gipfelt in der Feststellung: Viele Tschechen haben 1945 ein schlechtes Gewissen gehabt, wenig oder gar nichts gegen das Protektoratsregime unternommen zu haben. Da galt es schnell eine Scharte auszuwetzen, sich möglichst bei den neuen Machthabern anzubiedern, welche wohl künftig die Geschicke des Landes in ihre Hand nehmen würden.

So hielten es dann viele für angebracht, ihre Visitenkarte in den Sekretariaten der KPC abzugeben und dort ihre Dienste anzubieten. Am eifrigsten waren dabei jene, die sich während der Protektoratszeit eng um die Haferkrippen der Deutschen gescharrt hatten.

Die Kommunisten, welche bereits die gerade geschaffenen neuen Nationalausschüsse dominierten, griffen nur zu bereitwillig auf Leute zurück, die man gut für die Erledigung bestimmter politischer Dreckarbeit gebrauchen konnte, ersparte es doch einem selbst, sich die Hände schmutzig zu machen.

Spitzel für die Gestapo und den Sicherheitsdienst

Die Geschichte des Bedrich Pokorny, der Aufstieg eines charakterlosen Gesellen war typisch für jene erste Nachkriegszeit in der CSSR, in der viele darauf aus waren, Haß gegen Deutsche zu entfachen, um so die Stimmung zur Vertreibung der Sudetendeutschen anzuheizen. Bedrich Pokorny, ein ehemaliger Hauptmann der tschechischen Armee, der zur Zeit des Protektoratsregimes in der Steuerverwaltung der Brünner Finanzdirektion arbeitete, hatte sich bei der sogenannten Arisierung jüdischen Besitzes eine geräumige Wohnung angeeignet, deren jüdische Bewohner zuvor in ein Vernichtungslager abtransportiert worden waren. Schon nach kurzer Zeit begann er sich als Spitzel bei der Gestapo sowie dem Sicherheitsdienst Reinhard Heydrichs zu verdingen. Es handelte sich bei ihm um einen Mann, der Verrat an seinen tschechischen Mitbürgern betrieb, indem er zum willfährigen Handlanger der Deutschen wurde.

Am 26. April 1945 war die Rote Armee in Brünn eingerückt. Wenig später nahm in der Salzamtsgasse das Sekretariat der KPC seine Tätigkeit auf. Zu den ersten, die sich hier einfanden, um sich künftig für ihre Nachkriegskarriere mit einem Parteibuch der Kommunisten auszustatten, gehörte der SD-Spitzel Pokorny. Er hatte alles sorgfältig für seine neue Karriere vorbereitet.

Der tschechische Jurist Jaroslav Lenowsky aus Brünn begann 1997 damit, sich auf die Spur der verbrecherischen Laufbahn Bedrich Pokornys zu begeben. Aus dem vorliegenden Material wird ersichtlich, wie dessen Nachkriegskarriere in der CSSR zustandekam. In den letzten Stunden des Kampfes um Brünn hielt sich Pokorny im Eisenbahntunnel von Cacovice versteckt.

Schon einige Zeit zuvor, als es an der deutschen Niederlage keinerlei Zweifel mehr gab, hatte Pokorny Überlegungen angestellt, was jetzt zu tun sei, um nicht der Kollaboration beschuldigt zu werden. Er hatte einen Freund aus der Vorkriegszeit, Vladimir Matulla, aufgesucht. Der schlug ihm vor, keine Zeit verstreichen zu lassen und sich mit einigen ihm bekannten Vorkriegskommunisten in Brünn zu treffen. Dies könnte ihm für die Zeit des Zusammenbruchs des Protektoratsregimes ein gutes Alibi verschaffen, so Matulla.

Pokorny befolgte diesen Rat, und obwohl diesen Kommunisten durchaus bekannt war, mit wem sie es da zu tun hatten, machte ihnen dies keine Gewissensbisse. Einen Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee meldete sich Pokorny in dem KPC-Parteibüro, wo ihn bereits sein "guter Freund" Vladimir Matulla erwartete, der sich inzwischen selbst zum Vorsitzenden des Nationalausschusses von Groß Brünn ernannt hatte.

Zwei Tage später wurde Pokorny ein Dokument ausgehändigt, das seine Ernennung zum Verbindungsbeauftragten des Nationalausschusses zur Vollzugspolizei belegte. Es war mit Unterschrift und Stempel des sowjetischen Militärbefehlshabers der Roten Armee in Brünn versehen.

Gerade zwei Wochen waren ins Land gegangen, da wurde Pokorny bereits zum Kommandeur der "Nationalen Sicherheitswehr" (NSB) für das Land Mähren berufen. In dieser Eigenschaft wurde er damit betraut, die gewaltsame Vertreibung der Sudetendeutschen aus Brünn in die Wege zu leiten. Der zum Kommunisten konvertierte SD-Spitzel machte sich ans Werk, die Stadt Brünn rigoros von allen Deutschen zu säubern.

Am 30. Mai 1945 erging der Befehl an die deutsche Bevölkerung, sich marschbereit zu halten.Von diesem Augenblick an brach ein beispielloses Martyrium über die deutschen Bewohner der Stadt herein. In den späten Abendstunden des gleichen Tages donnerten Gewehrkolben an die Türen der Wohnungen, Frauen, Kinder, alte Männer wurden aus den Betten gerissen und auf die Straße getrieben. Nur wenige fanden die Zeit, ein paar Kleidungsstücke zusammenzuraffen.

Gegen 20 Uhr drangen die wüsten Haufen, welche Pokorny zur Durchführung seiner Aktion zusammengetrommelt hatte, auch gewaltsam in die Altersheime ein und zwangen die Bewohner zum Verlassen ihrer Stätten. Aus Krankenhäusern wurden schwerkranke Patienten von Tragen gestoßen, die vor Operationssälen aufgestellt waren. Auf den Brünner Straßen formierten sich Marschkolonnen geschundener Menschen, die mit Peitschen vorangetrieben und mit Rufen geschmäht wurden. "Rascher, faules Pack. Das sind die großen Deutschen."

Tausende überlebten den Gewaltmarsch nicht

Über drei Tage schleppten sich die Kolonnen der erschöpften und verzweifelten Menschen in Richtung der österreichischen Grenze. Hunderte von Zusammengebrochenen und Sterbenden blieben am Wegesrand zurück. Immer wieder fielen Schüsse. Ein Bild des Grauens tat sich auf. Auf dem Weg von Brünn über Raigern nach Pohrlitz gingen allein 1.700 Menschen zugrunde. Im Sammellager Pohrlitz starben 2.000 Menschen. Weitere tausend waren nach ihrer Ankunft in Österreich so entkräftet, daß alle Bemühungen nichts mehr nutzten, ihr Leben zu retten. Der Heimatverband der Brünner in Deutschland geht von einigen Zehntausenden Toten aus.

Nachdem Bedrich Pokorny den Brünner Todesmarsch zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber ausgeführt hatte, stand seiner weiteren Karriere nichts mehr im Wege.

Der tschechische Innenminister Nosek, der sich öffentlich rühmte, man werde selbst die deutsche Gestapo noch an Grausamkeit übertreffen, holte am 3. Juli 1945 Pokorny zu sich nach Prag. Im April 1948 fungierte er als Stellvertreter des Leiters der Abteilung für den politischen Nachrichtendienst im Innenministerium.

Hier bereitete er 18 politische Prozesse gegen Regimegegner vor. 1949 unterstanden ihm die tschechoslowakischen Arbeitslager, zu vergleichen mit dem sowjetischen Gulag.

Pokorny nutzte seine hohe Parteifunktion dazu aus, die Spuren der ihn belastenden Vergangenheit zu beseitigen. So ließ er einen Dr. Blachkowitsch hinrichten, der manches von früher hätte ausplaudern können. Ferner trug er dafür Sorge, daß der Prager Gestapo-Agent Böhm sich vor keinem tschechischen Gericht verantworten mußte, sondern nach Deutschland abgeschoben wurde. Später wurde er im Auftrage des tschechischen Geheimdienstes in der CSSR-Botschaft in Wien tätig, von wo aus er den kommunistischen Putsch im Februar 1948 in Prag vorbereiten half. Während des Prager Frühlings 1968, als es für einen Moment schien, als ob sich das Blatt im Lande wenden würde, tauchte Pokorny ab.

Interessant ist, wie die Tschechen heute mit diesem Teil ihrer Vergangenheit umgehen. Ausgerechnet der frühere Leiter des Lehrstuhls für Marxismus-Leninismus an der Philosophischen Fakultät UJPE in Brünn, Voitech Zampach, wurde damit betraut, eine sachliche Darstellung jener Geschehnisse zu geben, die sich bei der Vertreibung der Deutschen aus Brünn abspielten. Bereits die ersten Erkenntnisse dieses sich als unparteiisch bezeichnenden Historikers sind blanker Hohn.

Vieles weise darauf hin, so schrieb er, daß eine Vernichtung der deutschen Minderheit nicht geplant gewesen sei. Kein einziges Schriftstück existiere nämlich darüber. Für wie dumm will uns dieser Historiker verkaufen? Wo haben denn schon jemals Täter über ihre beabsichtigten Verbrechen schriftliche Notizen angefertigt? Genügten nicht allein die Haßtiraden, die Benesch ständig aus seinem Londoner Exil über den Äther ausstrahlen ließ? Beispielsweise am 27. Oktober 1943 tönte es von da: "In unserem Land wird das Ende des Krieges mit Blut geschrieben werden. Die Deutschen werden mitleidlos heimgesucht werden."

Auch ist die Behauptung dieses Historikers gelogen, daß es während des Marsches von Brünn nach Pohrlitz zu keinerlei Brutalitäten gegenüber den Deutschen gekommen sei. Auf wen stützt sich diese Behauptung, auf niemand anderen als den zuvor erwähnten Kommunisten Matulla, Freund und Vertrauter des Gestapo-Spitzels Pokorny. Gar seltsame Wege beschreitet die Vergangenheitsbewältigung in der Tschechischen Republik. Betraut wird damit ein früherer Kommunist, der sich wiederum auf die Zeugnisse eines anderen Kommunisten beruft. Eine Reinwaschung der Täter par excellence.

Verstöße gegen das Völkerrecht verjähren nicht

Josef Krachtovil, zu jener Zeit tschechischer Offizier, sah am Fronleichnamstag 1945 bei einer Fahrt auf dem Motorrad von Brünn nach Pohovilic ungezählte tote Frauen und Kinder im Straßengraben liegen. Von etwa 1.700 Toten berichtet ein früheres Mitglied des damaligen Brünner Nationalausschusses, der sich noch heute mit seinem Namen nicht an die Öffentlichkeit wagt, da in der heutigen Tschechischen Republik noch immer viel Mut zu dem Eingeständnis gehört, daß die Vertreibung der Deutschen mit ihren schrecklichen Exzessen ein eindeutiger Verstoß gegen das Völkerrecht gewesen ist, das keine Verjährung kennt, so daß die Ahndung dieser Verbrechen nach wie vor aktuell ist.

Genau aber aus diesem Grund versucht man Tatsachen, die inzwischen nicht mehr zu leugnen sind, in ihrer Bedeutung zu verharmlosen. Doch dies wird ein Versuch am untauglichen Objekt sein.


 
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