© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Balkan-Konflikt: Die Albaner in Mazedonien sind ein Unsicherheitsfaktor
"Rußland keine Hegemonialmacht"
Karl-Peter Gerigk

Frau Calic, Sie sprechen in Ihrem Buch über den Krieg und Frieden auf dem Balkan davon, daß das Experiment Jugoslawien gescheitert sei. Haben sichVielvölkerstaaten überlebt?

Calic: Nein, das denke ich nicht. Denn es ist ja keinesfalls möglich jeder Volksgruppe hier ihren eigenen Staat zuzubilligen. Die Regionen in Südosten Europas sind von verschiedenen Ethnien sehr ungleichmäßig besiedelt und gemischt. Es treffen hier nicht nur zwei Völker, sondern drei und mehr aufeinander. Es ist absoluter Wahnsinn zu versuchen, hier ethnisch homogene Staaten herzustellen. Man kann auch die Grenzen nicht den ethnischen Verhältnissen anpassen. Dies ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ein solcher Versuch endet genau dort, wo wir jetzt sind, namlich im Krieg und bei ethnischer Vertreibung.

Ist der Krieg im Kosovo vergleichbar mit dem Konflikt um Bosnien-Herzegowina, bei dem die Serben versuchten Territorium und Menschen in ihrem Staatsverband von Jugoslawien zu behalten und auch ethnische Säuberungen vornahmen?

Calic: Nein, das Kosovo ist seit 1912 ein Bestandteil von Serbien und es ist bis heute anerkanntermaßen ein Teil der Bundesrepublik Jugoslawien. Man kann deswegen nicht von einem Eroberungs- und Aggressionsfeldzug sprechen. Es ist dagegen ein Krieg im eigenen Land und gegen Teile der Bevölkerung, die sich mit dem Kosovo verselbständigen möchte und eine eigene Republik aufbauen will. Dies ist eine ganz andere Situation als in Bosnien, wo drei Staatsvölker um die Zukunft ihres Staates gekämpft haben. Erst um die Unabhängigkeit und dann auch um den inneren Aufbau des Staates Bosnien-Herzegowina.

Denken Sie, daß das Bombardement der Nato gegen die Machenschaften für ein Groß -Serbien nicht denen in die Hände arbeitet, die ein Groß-Albanien wollen?

Calic: Das Eingreifen der Nato hat ja nicht zum Ziel, die Grenzen zu ändern und ein Groß-Albanien zu schaffen. Sondern das erklärte Ziel ist es, die Gewalthandlungen im Kosovo zu beenden und eine politische Lösung zu finden. Ob das realistisch ist? Ich bin hier im Moment anderer Ansicht und gehe davon aus, daß das Kosovo über kurz oder lang unabhänig werden wird, zumindest einTeil davon. Es ist anzunehmen, das dann auch wieder die albanische Frage auf der Agenda stehen wird – nicht in der From der Frage nach einem Groß-Albanien, aber doch so, daß sich vielleicht die albanische Minderheit in Makedonien auch für unabhängig erklärt und mit den anderen Albanern solidarisiert.

Wenn Sie davon sprechen, daß es eine Unabhängigkeit für das Kosovo geben könnte, schließen Sie damit die Möglichkeit eines föderativen Modells oder des Nato-Modells für das ehemalige Jugoslawien aus?

Calic: Theoretisch ist dies denkbar, praktisch jedoch nicht. Die Albaner von der UÇK insbesondere, verweigern jede Zusammenarbeit mit Belgrad und sind nicht bereit, sich auf solche Kompromißvorschläge einzulassen. Dies kompliziert die Situation und die Suche nach Frieden. Es würde voraussetzen, daß es einen Konsens gäbe, in einem gemeinsamen Staate zusammen zu leben. Diese Konsenz gibt es jedoch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie dieser in der nächsten Zeit wieder herzustellen ist. Mir scheint hier eine internationale Verwaltung des Kosovo realistischer. Doch es sind in diesem Falle die Serben, die internationale Truppen für das Kosovo ablehnen. Diese kann man als im Moment gar nicht bekommen. Die Frage ist: Wie kommen wir zu dieser internationale Verwaltung des Kosovo – reichen Luftangriffe, oder muß man früher oder später mit Bodentruppen einmarschieren, um eine internationale Verwaltung einzurichten. Das würde nicht bedeuten, daß das Kosovo unabhänig würde, jedoch verbliebe es de facto nicht im serbischen Staatsgebiet.

Wenn die Serben damit fortfahren die Menschen aus dem Kosovo zu vetreiben,ist das Land in naher Zukunft menschenleer. Bedenkt man den Anspruch Serbiens und die Vorgehensweise, kann man die Albaner denn ruhigen Gewissens in das Kosovo zurückschicken, auch wenn die Region wirtschaftlich wieder aufgebaut wird?

Calic: Die Menschen wollen natürlich in ihre Heimat zurück. Man muß allerdings davon ausgehen, daß ein Teil der Flüchtlinge nicht zurückkehren wird. Die ganzen Vorschläge bezüglich wirtschaftlichen Aufbaus sind natürlich hoffnungsstiftend. Man muß aber bedenken, daß dies sehr kostspielig wird. Albanien hat Flüchtlinge aufgenommen, die heute dort zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das ist eine Masse und in Makedonien ist dies nicht anders. Es stellt sich die Frage, wieviel Geld die internationale Gemeinschaft bereitstellen kann und will, um eine Art Marschall-Plan zu finazieren. Ich bin mir nicht sicher, wie sich dies politisch realisieren läßt. Es ist auch so, daß in Makedonien die Bevölkerung albanischer Nationalität den größten Anteil ausmacht. Die anderen Bevölkerungsteile werden es nicht gut finden, daß über 100.000 Albaner für immer in ihrem Land verbleiben, weil sich die ethnischen Mehrheitsverhältnisse ändern. Diese politischen Probleme sind nicht einfach durch ökonomischen Aufbau zu lösen.

Die Nato hat durch ihren Einsatz im Kosovo einen Präzedenzfall geschaffen und die Uno strategisch ausgehebelt. Sie hat nun eine neue Strategie verabschiedet, die die Möglichkeit zur militärischen Intervention schon bei Risiken für den Frieden und Sicherheit im euro-atlantischen Raum ermöglicht. Halten Sie dies für den richtigen Weg?

Calic: Die Nato sagt, es gibt keine Präzedenz-Fälle und jeder Konflikt bedarf seiner eigenen Lösungkonzeption. Der Kosovo-Einsatz sollte hinsichtlich des militärischen Eingreifens eine Ausnahme bleiben. Ob dies dann in der Zukunft der Fall sein wird ist noch nicht entscheidbar. Die Nato muß sich gut überlegen, wie sie in künftigen Konflikt in Europa agieren will. Der Kosovo-Einsatz führt eher zu dem Schluß, daß sich die Nato nicht überall in dieser Weise einmischen sollte. Diese Luftangriffe haben bislang nicht dazu beigetragen die Probleme im Kosovo zu lösen, und sie werden es künftig wahrscheinlich auch nicht tun. Wenn sich die Nato messen will am Erfolg der Kosovo-Mission, möchte ich meinen, ist die Bilanz nicht so rosig.

Halten Sie es für sinnvoll, wenn sich die Europäer im Rahmen der West Europäischen Union (WEU) militärisch und humanitär auf eigene Füße stellen?

Calic: Man muß darüber reden, welche Aufgaben die WEU hier übernehmen könnte. Die bisherigen Aufgaben, die sie überommen hat, im Rahmen der sogenannten Pertersberg-Beschlüsse, also Polizeifunktionen u.ä. sind sicherlich ausbaufähig. Europa könnte hier im eigenen Interesse Peacebuilding betreiben. Ich bin jedoch skeptisch, ob ein ethnischer Konflikt durch militärische Mittel beigelegt werden kann. Gleich wer dies schließlich ist, ob Nato, WEU oder OSZE. Die Erfolgsaussichten sind hier relativ gering.

Denkt man an europäische Strukturen, muß man da mit Rußland rechnen? Könnten die Staaten der ehemaligen Sowjetunion zum Beispiel im Rahmen der OSZE Politik in europäischen Interesse betreiben und so friedensstiftend wirken – oder haben sie hier panslawistische und zunehmend nationale Interessen?

Calic: Ich denke, daß die slawischen Solidaritätsbekundungen und Verbrüderungsversuche keine große Rolle spielen. Auch diese orthodoxe Achse ist wohl kein bestimmender Faktor der russischen Außenpolitik. Eine europäische Friedensordnung funktioniert ohne Rußland nicht, auch auf dem Balkan nicht. Ich denke daß man hierbei keine Angst vor einer Hegemonie Rußland haben muß. Es wird künftig eher eine gleichberechtigte Rolle in Europa neben anderen Staaten spielen. Dies bedeutet für das Kosovo, daß Rußland bei der Herbeiführung als auch bei der Umsetzung eines Friedens für das Kosovo mit von der Partie sein muß.

Und dies mit Hilfe der OSZE?

Calic: Die OSZE ist sicherlich ein geeignetre Rahmen. Es kommt jedoch auf die konkrete Umsetzung der Aufgaben und Ziele an. Die OSZE hat vielfach bewiesen, daß sie ein positiv wirkendes gesamteuropäisches Bündnis ist. Sie wäre auch die richtige Organisation, um auf dem Balkan den Frieden umzusetzen.

Die Bilder der Vertriebenen aus dem Kosovo erinnern an das Schicksal von über fünfzehn Millionen Deutschen aus dem Osten Europas. Wiederholt sich hier die Geschichte und wird nicht mit zweierlei Maß gemessen?

Calic: Es ist ein anderes Problem – man sollte mit historischen Analogien vorsichtig sein. Die Menschenrechte werden heute und aktuell im Kosovo gebrochen und verschiedene völkerrechtliche Standards über Bord geworfen. Es ist nicht sinnvoll, tief in die Geschichte zu greifen. Wir sollten uns auf die Gegenwart konzentrieren. Dies ist schwierig genug.

 

Dr. Marie Janine Calic wurde 1962 in Berlin geboren und studierte an der Universität in München und an der Freien Universität Berlin Geschichte und Politikwissenschaft. Sie ist Verfasserin verschiedener Schriften und Analysen zum Balkan und publizierte zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Seit 1992 ist sie für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen/München tätig.


 
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