© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Sachsen: Landtag wählte Siegmar Faust als Stasi-Landesbeauftragten ab
Den Zauberbesen beherrschen
Paul Leonhard

In geheimer Wahl hat der Sächsische Landtag Ende vergangener Woche den Stasi-Beauftragten Siegmar Faust abgewählt . Für den Abwahlantrag der CDU-Fraktion stimmten 89 der 109 anwesenden Abgeordneten. Dem 54jährigen Behördenleiter wird vorgeworfen, dienstliche Internet-Anschlüsse für private Zwecke mißbraucht und sich pornographisches Material auf den Bildschirm geholt zu haben.

Mit ihren "sächsischen Gaucks" hatte die Staatsregierung von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) bisher immer Pech. Schon der Abgang des ersten Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Fritz Arendt, im April 1996 war rätselhaft geblieben. Über die Gründe des Rücktritts wird bis heute Stillschweigen bewahrt. Gerüchte über interne Differenzen mit Mitarbeitern seiner Behörde hatte Arendt als irreführend bezeichnet. Die Staatsregierung selbst sprach von einem "Endpunkt einer längeren Meinungsbildung".

War Arendt in seinen Ansichten fraktionsübergreifend immer toleriert worden, so schieden sich an seinem Nachfolger Siegmar Faust von Beginn an die Gemüter. Der Berliner Autor war von Ministerpräsident Biedenkopf dem Landtag als Kandidat für das Amt vorgeschlagen worden. Sachsens Justizminister Steffen Heitmann soll Faust zuvor in Berlin angerufen und nach Dresden eingeladen haben.

Faust, als Sohn eines zypriotischen Kriegsgefangenen im sächsischen Dohna bei Heidenau zur Welt gekommen, studierte am Leipziger Institut für Kunsterziehung sowie später am Literaturinstitut. Wegen "staatsfeindlicher Hetze" wurde Faust 1974 zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Zweieinhalb Jahre mußte er im Zuchthaus Cottbus verbringen, ehe ihn die Bundesregierung freikaufte. "Die Geschichte des Schriftstellers Siegmar Faust ist die Geschichte eines Sozialisten, der von dem Staat, in dem er aufgewachsen ist und der sich selbst sozialistisch nennt, nicht als Sozialist anerkannt, sondern verdächtigt, verfolgt, eingesperrt, gequält und schließlich abgeschoben wurde", schrieb 1976 die Süddeutsche Zeitung über den Leidensweg des Schriftstellers. Von 1987 bis 1990 arbeitete Faust als Chefredakteur der Zeitschriften DDR heute und Christen drüben. Danach war er zeitweilig Mitarbeiter des Berliner Stasi-Beauftragten.

In Dresden wurde Faust von Beginn an von der Opposition abgelehnt. Übereinstimmend warfen SPD und PDS dem ehemaligen DDR-Dissidenten vor, nicht über die für das Amt nötige Unabhängigkeit zu verfügen. Außerdem wurde ihm Bestechlichkeit zur Last gelegt. Er hatte 1993 von einer Frau, die mit seiner Unterstützung eine Entschädigung für eine DDR-Haftstrafe erhalten hatte, 7.000 Mark als Geschenk entgegengenommen. Daraufhin verlor Faust seinen Job bei der Gauck-Filiale in Berlin.

Umstrittenes reizte Faust auch fortan. Immer wieder sorgte er für Aufregung. Bereits im März 1998 scheiterte ein Abwahlverfahren nur knapp. Damals hatte die SPD-Fraktion gemeinsam mit der PDS die sofortige Amtsenthebung beantragt. "Eine Aufarbeitung der Geschichte einer autoritären Organisation, wie sie die Staatssicherheit .... darstellt, darf in einem demokratischen Staat nicht in die Hände einer Person gelegt werden, die selbst in Nähe zu einer autoritären Organisation steht", hieß es in dem dringlichen Antrag der SPD-Landtagsfraktion. Hintergrund waren bekannt gewordene Kontakte des Schriftstellers zum umstrittenen "Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis" (VPM). Faust hatte während einer Schulungswoche des Vereins, der vom Justizministerium als "Psychokult" mit einer "autoritären Struktur" bezeichnet wurde, in Zürich ein Referat gehalten und ein Seminar seiner Behörde geplant, an dem dem VPM angehörende Lehrer teilnehmen sollten. Damals stellte sich Justizminister Heitmann noch schützend vor Faust. Ministeriumssprecher Friedrich Graf Stolberg sprach von einer "Ungeschicklichkeit". Dienstaufsichtliche Maßnahmen gab es nicht.

Derweil legte sich Faust mit Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer (CDU) an. Dieser hatte einer Krankenschwester wegen ihrer Spitzeltätigkeit für die Stasi gekündigt. Faust dagegen bezeichnete die Frau als Opfer und nicht als Täterin. Für Irritationen sorgte Faust aber auch in seiner eigenen Behörde. Wiederholt surfte Faust am Dienstcomputer in "erotischen Zonen". Zu spät habe er bemerkt, daß "meine Surfer-Stunden nicht auf meiner Festplatte blieben, sondern einfach kühn in den Gesamtsurfer der Behörde eingespeist worden sind", räumte Faust inzwischen ein. Als Folge dessen soll ihm nach Angaben seiner Mitarbeiter im August 1998 der Internet-Zugang entzogen worden sein. Offenbar surfte Faust, der "diesen Zauberbesen beherrschen" wollte, nun an den Computern von Kollegen. Diese beschwerten sich bei Heitmann, und ehe die Sache vertuscht werden konnte, bekam die Sächsische Zeitung einen dezenten Hinweis.

Da war selbst für die CDU das Maß voll und für Justizminister Heitmann der Fall Faust "gegessen": Das Vertrauensverhältnis sei zerstört. Enttäuscht zeigte sich auch CDU-Fraktionschef Fritz Hähle. Er warnte aber davor, den Stab über den Menschen zu brechen. Die Lebensleistung von Faust sei zu achten.

Der Betroffene selbst spricht in einem Anfang April verschickten Rundbrief von seiner "öffentlichen Hinrichtung ohne Untersuchung und Urteil". Nicht eigenes Verschulden, sondern ehemalige SED-Redakteure und einstige SED-Kader aus seiner Behörde seien an seinem Sturz schuldig. Seinen Vergänger Fritz Arendt bezeichnet er als "dubios", und in die Porno-Bereiche des Internets sei er "über die Web-Seite des Spiegels unversehens" geraten. Außerdem klagt er, daß ihm seine Funktion "langsam aber sicher zu einer Bürde würde": Während der Amtsführung sei er nicht einmal zum Lesen einer belletristischen Buches gekommen, und lediglich ein einziges Gedicht sei in dieser Zeit entstanden.

Wolf Biermann beschrieb 1990 Faust als einen "hochtalentierten Menschen und einen Querulanten". Der habe sich nichts gefallen lassen: "Ein sturer Kerl eben sehr sympathisch. Den hat die Stasi eingesperrt und gequält. Was von ihm übrig blieb, wurde dann nach dem Westen ausgespuckt. Dort ist er ein richtiger reaktionärer Stinker geworden." Und Biermann fragte nach dem Literaten Faust: "Aber wo ist sein großer Roman, wo ist denn das große geniale Werk, das er uns versprochen hat? Es ist kaputtgegangen."

Vielleicht hat Biermann hier unrecht. Denn im Herbst will Faust seinen bereits 1995 abgeschlossenen Roman "Der Vortragsredner" im Münchner Herbig Verlag herausbringen. Während sich der Schriftsteller darauf freut, wieder zu seiner eigentlichen Berufung zurückkehren zu dürfen, bleiben in Sachsen eine Handvoll Projekte zur Vergangenheitsaufarbeitung liegen, die gerade im zehnten Jahr nach der Revolution auf die Unterstützung eines Landesbeauftragten warten.

 

 

Leserbrief zu: "Den Zauberbesen beherrschen" von Paul Leonhard, JF 18/99

Notwendige Korrekturen

Da ich mich schon als Interviewpartner und Autor Ihrer Zeitung zur Verfügung hielt, bitte ich darum, einiges korrigieren zu dürfen:

1. In Ihrem Artikel schreiben Sie, daß mir Bestechlichkeit zur Last gelegt wurde (…) Daraufhin hätte ich meinen Job beim Berliner Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen verloren. Dieser Vorwurf ist unzutreffend, also sachlich falsch. Weder habe ich während meiner Tätigkeit beim Landesbeauftragten in Berlin meine Dienstpflichten bei der Behandlung des von Ihnen genannten Falles verletzt, noch habe ich je den von Ihnen angeführten Geldbetrag als Gegenleistung für eine derartige Diensthandlung entgegen genommen. Zutreffend ist allerdings, daß die von Ihnen erwähnte Frau mir nach Abschluß ihres Überprüfungsverfahrens durch eine Bundesstiftung privat ein Geldgeschenk aufdrängte. Dieses Geld habe ich zu keinem Zeitpunkt für mich verwendet, sondern es unverzüglich dem Projekt "Künstler und Autoren in politischer Haft zwischen 1945 und 1989" bereitgestellt. Als die Umsetzung des Projektes sich verzögerte, überwies ich den Betrag dem "Hohenecker Frauenkreis", der am authentischen Ort dieses ehemaligen Frauenzuchthauses damit eine Ausstellung unterstützen konnte.

2. Der Vorwurf der SPD-Landtagsfraktion, ich stünde einer autoritären Organisation nahe, ist irreführend. Mein persönlicher Kontakt zum "Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis" (VPM) bestand darin, daß ich zu einer Seminarwoche des Vereins dort einen Vortrag zur Aufarbeitung der SED-Vergangenheit hielt. Soll ich mir in einer "offenen Gesellschaft" gar vorwerfen lassen, daß ich die Ziele, Strukturen und Hintergründe all derer, die mich zu Vorträgen einladen, zuvor nicht, womöglich geheimdienstlich, überprüfen lasse? Im übrigen trifft es zu, daß ich Kontakte zu anderen autoritären Organisationen pflegte und pflege – zum Beispiel zur katholischen Kirche.

3. Ihre Darstellung, ich hätte mich mit dem sächsischen Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer angelegt, ist unzutreffend. Als Sächsischer Landesbeauftragter für die Unterlagen der Staatssicherheit hatte ich im Gegensatz zum Bundesbeauftragten keinerlei Zugriff auf das Aktenmaterial des MfS. Im Rahmen meiner Tätigkeit, zu der auch die Bewertung der Kontakte einzelner zur Staatssicherheit gehört, habe ich anhand der mir zur Verfügung gestellten Informationen und Aktenkopien dargelegt, daß die betreffende Krankenschwester zwar inoffizielle Mitarbeiterin des MfS war, später jedoch selber durch das MfS verfolgt wurde. Es ist also falsch, daß ich die Frau nur als Opfer bezeichnet hätte.

4. Ebenso falsch ist es, daß mir mein Internetzugang entzogen worden wäre – wer hätte dies aus der Behörde auch tun dürfen? Vielmehr war es so, daß ich selber im Sommer 1998 dafür Sorge trug, daß mein Modem vom Computer entfernt wurde. Das Internet benutzte ich seitdem nicht mehr. Die Darstellung, ich hätte von da an Computer der Kollegen zum Internetsurfen benutzt, ist wahrheitswidrig.

Zutreffend ist allerdings, daß ich außerhalb der Dienstzeit durchaus auch Seiten im Internet aufgerufen habe, die in keinem unmittelbaren Zusamenhang mit der Behördentätigkeit standen. Insoweit habe ich Dienstliches und Privates vermengt, was mir als langjährigen Selbständigen zunächst nicht verwerflich schien, habe ich doch im Gegenzug auch mein Privatleben weitgehend meiner Tätigkeit als Landesbeauftragter geopfert und der Behörde sogar meinen Computer, Bücher etc. kostenfrei überlassen. Die monatlichen Telefonkosten meiner Internetsurferei (Dienstliches und Privates vermengt) beliefen sich 1997 und 1998 durchschnittlich im Monat zwischen 16 und 21 Mark.

Dieser Sachverhalt wurde acht Monate später von einem "Mitarbeiter" zum Anlaß genommen, die Angelegenheit nunmehr an die Sächsische Zeitung zu lancieren. Nach den Aussagen einiger "Mitarbeiter" ging es darum, mich als Behördenleiter zu "entsorgen". Meine Konzepte und meine Arbeit wurden – obwohl seit meinem letzten Tätigkeitsbericht im Juni vorigen Jahres von der CDU-Fraktion im Landtag öffentlich gelobt und sogar von der SPD-Fraktion anerkannt – von diesen "Mitarbeitern", die ich bei meinem Dienstantritt von meinem Vorgänger übernommen hatte, sabotiert und konterkariert.

Bemerkenswert war, daß weder die Landtagsabgeordneten noch die Journalisten, die über die Angelegenheit schrieben, das Gespräch mit mir suchten. Offensichtlich genügten die Berichte und Gerüchte aus zweiter Hand, um meine politische Verurteilung zu rechtfertigen. Immerhin 20 Prozent der Abgeordneten stimmten nicht für meine Abwahl. Als Journalist übermittelte mir lediglich Marcel Braumann vom Neuen Deutschland einen Faxbrief, um mir mitzuteilen, daß er sich an solchen "Pseudo-Skandalen" nicht beteilige. Solange wir uns kennen, verstehen und respektieren wir uns als politische Gegner. Marcel Braumann ging einst auf eine Jesuitenschule. Sein ethisches Fundament vermisse ich bei vielen, die sich als engagierte Christen verstehen.

5. Und letztens: wegen "staatsfeindlicher Hetze" saß ich schon 1971/72 elf Monate in der Leipziger Stasi-Untersuchungshaftanstalt, ab 1974 dann zum zweiten Mal in Dresden und Cottbus.

Soweit meine mehr oder weniger wichtigen Kritikpunkte, die immer nur so subjektiv sein können, wie es sich für einen demütigen Mann gehört, der sich nicht erdreistet, den Menschen als höchstes Wesen für den Menschen anzuerkennen.

Siegmar Faust, Dresden


 
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