© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Berliner Republik: Zum Selbstverständnis deutscher Außenpolitik
Entscheidung im Ernstfall
Thorsten Thaler

Die Beteiligung Deutschlands an den Nato-Angriffen auf Jugoslawien hat hierzulande nicht nur bei Sozialdemokraten, Grünen und linken Intellektuellen tiefe Gräben aufgerissen. Auch im konservativen und rechten Meinungsspektrum verläuft die Debatte uneinheitlich. Dabei geht es nur vordergründig um den Balkan-Krieg. Dahinter steht die Frage nach der außenpolitischen Souveränität Deutschlands und dem Verhältnis zum Bündnispartner USA als westlicher Vormacht.

Der Göttinger Historiker Karlheinz Weißmann warnte in seinem Buch "Rückruf in die Geschichte" noch 1992, Deutschland dürfe sich nicht auf "irgendwelche wolkigen Vorstellungen von einer ’Neuen Weltordnung‘ einlassen und sich an der Praxis des big stick beteiligen". Zu befürworten sei vielmehr eine Außenpolitik, die sich durch deutsche Interessen definiere. Heute empfiehlt Weißmann im Angesicht des Ernstfalles, Deutschland solle sich dem US-amerikanischen Hegemon fügen, weil Europa sich auch künftig als unfähig erweisen werde, selbst für Ordnung zu sorgen.

Dieses Argument ist keineswegs neu. In seinem Buch "Begründung der Berliner Republik" (1995) weist der Publizist Johannes Gross dem alten Kontinent zwar die Rolle einer Führungsmacht neben den Vereinigten Staaten zu, schränkt aber im gleichen Atemzug ein, die dazu erforderliche Einigung werde "in den nächsten zwei Jahrzehnten" so wenig zu erreichen sein wie die Bereitschaft der Westeuopäer, "eigenständig Verantwortung für die Ordnung jener Weltgegenden zu übernehmen, die ihnen historisch wie geographisch und als Gefahrenquelle zugeordnet sind". Dazu zählt Gross neben anderen Regionen auch den Balkan.

Aus dem sicher unbestreitbaren Versagen der Europäer bei der Schlichtung der seit zehn Jahren schwelenden Konflikte auf dem Balkan die Schlußfolgerung zu ziehen, Deutschland habe quasi keine andere Wahl, als sich an den Militärschlägen der Nato gegen Serbien mit eigenen Truppenkontigenten zu beteiligen, hebt die von den Apolegeten eines nationalen Selbstbewußtseins geforderte Handlungsfreiheit des Souveräns auf, indem sie sie auf diese eine Option reduziert.

Doch die Entscheidung, etwas zu tun oder sich an etwas zu beteiligen, schließt begriffsnotwendig zugleich auch immer das Gegenteil mit ein, nämlich die Möglichkeit, etwas nicht zu tun oder sich an etwas nicht zu beteiligen; anderenfalls ist es eben keine Wahl.

Der SPD-Altvordere Egon Bahr drückt das mit den Worten aus: "Der deutsche Souverän ist nicht Mehrheitsbeschlüssen der Nato unterworfen. Niemand kann ihm die Verantwortung abnehmen, ja oder nein zu sagen." Deutschland sei "nicht verpflichtet, alles mitzumachen, was das Bündnis vorschlägt, insbesondere dann nicht, wenn wir das als einen Fehler ansehen, der vitalen deutschen Interessen zuwiderläuft", schreibt Bahr an seinen SPD-Kollegen Eppler.

Auch Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt weist in der Zeit darauf hin, daß die Nato nicht Amerika gehört und Deutschland vertraglich nicht zur Mitwirkung auf dem Balkan verpflichtet ist. Dennoch dienen sich die Deutschen dem Weißen Haus als "Musterschüler der atlantischen Klasse" an, wie der Publizist Peter Scholl-Latour in der Welt am Sonntag bemerkt hat.

Zu Recht hat Günter Maschke in dieser Zeitung davon gesprochen, daß Verantwortung übernehmen und erwachsen werden hierzulande nur bedeutt, "daß wir von der bisherigen Abstinenz Abschied nehmen. Es läuft lediglich darauf hinaus, daß wir zu Mitläufern und Vasallen geworden sind."

Der Carl-Schmitt-Experte argumentiert mit dessen "Begriff des Politischen", wonach der Staat als maßgebende politische Einheit nur dann souverän ist, wenn die Entscheidung über den Ausnahmefall bei ihm liegt. Das schließt die Befugnis des Staates ein, den Feind kraft eigener Entscheidung  zu bestimmen und ihn zu bekämpfen, das heißt Krieg zu führen und damit über das Leben von Menschen zu verfügen.

Der Krieg aber, warnt Carl Schmitt, "die Todesbereitschaft kämpfender Menschen, die psychische Tötung von andern Menschen, die auf der Seite des Feindes stehen, alles das hat keinen normativen, sondern nur einen existenziellen Sinn (…) Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder Legalität, die es rechtfertigen könnte, daß Menschen sich gegenseitg dafür töten. Wenn eine solche psychische Vernichtung menschlichen Lebens nicht aus der seinsmäßigen Behauptung der eigenen Existenzform gegenüber einer ebenso seinsmäßigen Verneinung dieser Form geschieht, so läßt sie sich eben nicht rechtfertigen."

Auch mit ethischen Normen lasse sich ein Krieg nicht begründen, so Carl Schmitt in seiner berühmten Schrift von 1932. "Den Krieg als Menschenmord verfluchen, und dann von den Menschen zu verlangen, daß sie Krieg führen (…) damit es ’nie wieder Krieg‘ gebe, ist ein manifester Betrug."

Ein politisch existierendes Volk kann nach Carl Schmitt nicht darauf verzichten, gegebenenfalls Freund und Feind durch eigene Bestimmung auf eigene Gefahr zu unterscheiden. Treffe es diese Unterscheidung nicht, "so entfällt das politische Leben überhaupt". Schmitt: "Wenn ein Volk die Mühen und das Risiko der politischen Existenz fürchtet, so wird sich eben ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühen abnimmt (…) und damit die politische Herrschaft übernimmt; der Schutzherr bestimmt dann den Feind, kraft des ewigen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam."

In der öffentlichen Meinung in Deutschland ist Carl Schmitt bis heute vor allem wegen seines umstrittenen Aufsatzes "Der Führer schützt das Recht" von 1934 als Kronjurist Hitlers verfemt. Wenn sich aber bewahrheitet, was der französische Verteidigungsminister Alain Richard in einem Interview mit der Zeit vorhergesagt hat, wird der Rekurs auf Carl Schmitts Deutungen für die deutsche Außenpolitik unumgänglich sein. Richard: "Es wird Zeit, daß sich unsere Bevölkerungen, die in Wohlstand und Frieden leben, wieder an die Wirklichkeit bewaffneter Konflikte gewöhnen."


 
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