© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/99 07. Mai 1999


Kosovo-Krieg: Souveräne Nationalstaaten sollen als Völkerrechtssubjekte verschwinden
Der totale Weltstaat
Dieter Stein

Der Kosovo-Krieg kristallisiert sich als Etappe heraus, die einen großen Schritt weiterführen soll hin zu einer neuen Weltordnung. Wie soll diese aussehen? "Der Rechtspazifismus will den lauernden Kriegszustand zwischen souveränen Staaten nicht nur völkerrechtlich einhegen, sondern in einer durchgehend verrechtlichten kosmopolitischen Ordnung aufheben." Solches verkündet der herrschaftsfreie Philosoph Jürgen Habermas auf der ersten Seite der jüngsten Ausgabe der Zeit. Und weiter: "Die unmittelbare Mitgliedschaft in einer Assoziation von Weltbürgern würde den Staatsbürger auch gegen die Willkür der eigenen Regierung schützen." Künftig wird das Recht "durch die Souveränität der Staaten hindurchgreifen". So ist der Kosovokrieg "ein Sprung auf dem Wege des klassischen Völkerrechts der Staaten zum kosmopolitischen Recht einer Weltbürgergesellschaft". Dieser weltbürgerliche Zustand stellt "die Unabhängigkeit der Nationalstaaten zur Disposition". Eine Kriegserklärung an Gegner dieser Ordnung!

Sein Konzept einer "Weltbürgergesellschaft" hat einen kleinen Haken: Wer ist das Piemont dieses Weltstaates? Die USA, die schon 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, "to end all wars" (Wilson). Opfern sie sich selbstlos für die neue Ordnung? Habermas räumt ein, daß "auch die USA in erster Linie eigene Interessen (verfolgen), die nicht immer im Einklang mit den erklärten normativen Zielen stehen". Aber: "Aus dieser sehr amerikanischen, also nationalen Sicht einer normativ orientierten Machtpolitik muß es plausibel erscheinen, den Kampf gegen Jugoslawien, unangesehen aller Komplikationen, geradlinig und kompromißlos fortzusetzen, nötigenfalls auch mit dem Einsatz von Bodentruppen." Markige Sätze des Ex-HJ-Pimpfs Habermas mit dem Vokabular aus dem "Wörterbuch des Unmenschen".

Die drei Prämissen des nicht allzu neuen Habermas’schenWeltmodells:

1. Transformation des bisherigen Völkerrechts, das – auch in der UN-Charta – in der Anerkennung souveräner Nationalstaaten gründet.

2. Anerkennung einer unipolaren Welt, in der nur noch die USA via Nato über den Ausnahmezustand entscheiden. Ein Ausbalancieren von Interessen auch gegen die USA wird dann nicht mehr möglich sein. Menschenrechte werden nicht unabhängig von westlich-amerikanischen Interessen interpretiert, sondern ihnen gleichgesetzt. Dies bedeutet aber zugleich ihre endgültige Pervertierung und Entwertung. Jetzt bewahrheitet sich der Satz: "Wer Menschheit sagt, will betrügen" (Carl Schmitt).

3. Bereitschaft zur Durchsetzung dieser neuen Ordnung notfalls auch mit Gewalt rund um den Erdball. Es bedeutet, wie Daniel J. Goldhagen am 30. April in der Süddeutschen schrieb, Serbien "besiegen, besetzen und umerziehen". Erfolgreiches Modell: Mit Japan und Deutschland wurden 1945 letztlich nicht nur zwei Diktaturen, sondern zwei globale Konkurrenten der USA ausgeschaltet. Rußland, das seit 1989 in Agonie verfällt und als Gegenpol amerikanischer Vormacht verblaßt, hat die Umerziehung noch vor sich. Außerdem wären da noch China, Indien, Pakistan, Iran ...

Gibt es aber überhaupt diskutable Alternativen? Ein Goldenes Zeitalter gleichberechtigter souveräner Nationalstaaten gab es nie – also kann man es auch nicht zurückbeschwören. Es könnte hingegen im deutschen und europäischen Interesse liegen, die globale Entwicklung selbstbewußt in Richtung einer internationalen Ordnung auf der Basis geltenden Völkerrechts sowie der Multipolarität zu lenken – mit einem Kräftetrapez aus USA, Europa, Rußland und China.

Die "gerechten, letzten aller Kriege", die zur Durchsetzung der "Weltbürgergesellschaft" und zur Aufrechterhaltung einer zum Weltstaat tendierenden Megaföderation unter westlich-imperialem Druck notwendig sind, wären verheerender, als es die Weltkriege im Zeichen des Völkerrechts je waren. Die konsequente Alternative dazu würde verlangen, Deutschland und Europa politisch handlungsfähig zu machen – das heißt, sich von der militärischen Selbstkastration zu verabschieden: Deutschland müßte Nuklearmacht werden. Nur: Dieser Zug ist bereits in den sechziger Jahren abgefahren, und es ist keine ernstzunehmende Kraft in Sicht, die dies revidieren will. Statt dessen ist die Auflösung deutscher Staatlichkeit in vollem Gange und die europäischen Nationen liefern sich, traditionell einander mißtrauend, den USA als "Lateinamerika de luxe" (Günter Maschke) auf Gedeih und Verderb aus.


 
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