© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/99 07. Mai 1999


Rotgrüne Wacht am Rhein
von Werner Bergner

Wer meint, jede Bombe auf Belgrad, Novi Sad oder Podgorica signalisiere den Countdown für das Ende von Rot-Grün, unterliegt leider einem Irrtum. Gewiß, wir notieren mit Aufmerksamkeit alle Indizien für den Bankrott der Firma Moral & Macht GmbH. Da schlägt den Scharpings, Fischers, MüllerInnen die Empörung jener besseren Gutmenschen entgegen, deren Nerven dem mörderischen TV-Spektakel nicht mehr gewachsen sind. Da droht Gefahr von "links", wo der Friedensfürst Gysi friedensbewegte Seelen sammelt. Da bröckelt auch schon die Solidarität unter den Genossen: Familienvater Oskar meldet sich friedens- und klassenkämpferisch am 1. Mai zu Wort, Genosse Höppner, Magdeburger Koalitionsmathematiker und noch ganz vom frommen Geist des Friedensstaates DDR durchdrungen, beginnt am Friedensbombardement herumzumäkeln. Dennoch: In der Medienlandschaft, in der ideologischen Kulisse der Bonner Koalition, sind noch keine Risse zu erkennen, abgesehen von Rudolf Augstein, der jedoch im herrschaftsfreien Diskurs längst nicht mehr zählt. Denn Sabine Christiansen (CDU) hält im Medienkampf gestenreich und gekonnt ratlos die Stellung für Rot-Grün, ehe sie sich zur Entspannung ins Ferienhaus nach Mallorca davonmacht.

Und doch: Gibt es nicht bedenkliche Erosionserscheinungen der öffentlichen Moral? Mitteldeutsche Mütter, soeben noch froh, ihre arbeitslosen Söhne bei Scharping untergebracht zu haben, protestieren in Belgrad gegen die Bomben: "Nie wieder Krieg!" Und wird es nicht gefährlich für die Sponsoren der Wehrmachts-Werbeshow, wenn gegen Defätismus die letzte Waffe zum Einsatz gebracht werden muß: "Nie wieder Auschwitz!"

Wann also zerbricht Rot-Grün an den inneren Widersprüchen? Nein, es besteht wenig Grund für derlei Erwartungen. Erstens: In Sachen Krieg hält sich die Opposition merklich zurück. Auch Schäuble will keinen Krach mit den USA, und Geißler bombt aus Überzeugung mit. Selbst Stoiber, der die verfahrene Lage wohl am besten durchschaut, attackiert die Bonner Dilettanten lieber wegen der 630-Mark-Jobs. Zweitens: Nachdem Jesse Jackson Milosevic zum Beten gebracht hat, denkt bereits Clinton über eine Bombenpause nach. Drittens: Am Ende hört womöglich das Bomben auf, der Kuhhandel beginnt, die Vertriebenen werden hauptsächlich in der Bundesrepublik untergebracht, rot-grüne Moral hat erneut gesiegt. Kritisch könnte es allenfalls werden, wenn doch noch am Boden gesiegt werden muß. Halten das die "politischen Pazifisten" gegen den "naiven Pazifismus" des Volkes durch? Auch das steht zu vermuten. Denn unseren grün-roten Koalitionären geht es ja nicht bloß um die Moral, sondern um die Pfründe der Macht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen