© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/99 07. Mai 1999


Kosovo: Ein ehemaliger Wehrmachts-Soldat über seine Erfahrungen auf dem Balkan
"Serben sind tapfere Kämpfer"
Karl-Peter Gerigk

Herr Vögtle, wie schätzen Sie die Möglichkeit des Einsatzes von Boden-Kampftruppen in diesen Gebiet ein? Wie sind die Erfolgsaussichten?

Vögtle: Ich will nicht von Erfolgsaussichten reden, weil das, was wir zur Zeit erleben müssen, in seiner Anlage nicht nach Erfolg im Sinne von Gefahrenminimierung aussieht. Wenn schon der Krieg unausweichlich ist, dann muß er durch Überraschung und rasches Handeln und mit größtmöglicher Intensität zu Lande, im Wasser und in der Luft so geführt werden, so daß er mit minimalen Verlusten schnell beendet werden kann (im Interesse einer Verlustminimierung auf beiden Seiten!), auch auf der anderen Seite stehen "arme Hunde" von Soldaten, die gezwungen oder im guten Glauben kämpfen. Aus der Luft kann ein Land gestört, aber ein Krieg nicht gewonnen werden. Wer ein Land befrieden will, muß einmarschieren und den Gegner überrumpeln. Diese Chance wurde sträflich vertan. Die Leiden und Verluste der Bevölkerung sind bereits Realität. Jetzt kann nur noch im Zusammenwirken aller zivilisierten Staaten bzw. ihrer Regierungen, und da gehört Rußland an vorderster Front dazu, die Verantwortung für einen Bodeneinsatz übernommen werden. Wer das Oberkommando hat, muß zweitrangig bleiben, im Gegenteil: Wir sollten froh sein, wenn sich Rußland dieser Aufgabe stellt. Es geht nicht um Prestige, sondern um die Sache.

In einem Szenario wird von drei Möglichkeiten des Einsatzes von Boden-Kampftruppen gesprochen. Variante 1: Etwa 20.000 Mann bilden eine Schutzzone im Kosovo. Variante 2: Etwa 50.000 Soldaten erobern das gesamte Kosovo. Und schließlich Variante 3: Mit mindestens 200.000 Soldaten soll das ganze jetzige Jugoslawien erobert werden. Ist das Schutzzonenkonzept die richtige Strategie?

Vögtle: Unter einem Schutzzonenkonzept kann ich mir nichts rechtes vorstellen. Der Großraum des Außenfeldes muß durch die Anwesenheit bewaffneter Verbände befriedet sein. Im schwierigen, gebirgigen Gelände, dem eigentlichen Partisanengebiet, müßten einheimische Verbände mit besserer Ortskenntnis – zum Beispiel die UÇK – beweglich und ohne schwere Waffen wie Panzer oder Artillerie den Partisanen zu Leibe rücken. Letztere sind in einer ungleich schwierigeren Lage als zu Zeiten Titos, der weltweite Unterstützung hatte.

Selbst bei einem massiven Einsatz erwartet die Nato mögliche eigene Verluste von unter eintausend Mann. Ist das angesichts des schwierigen Geländes und der Motivation der serbischen Soldaten zu glauben?

Vögtle: Den Kampfwert und den Kampfgeist unserer Bundeswehr kann ich nicht beurteilen, und erst recht nicht den unserer Verbündeten. Lachen Sie mich trotzdem nicht aus, wenn ich behaupte und der festen Überzeugung bin, daß die 1. Gebirgsdivision des Zweiten Weltkrieges bei voller Kampfstärke mit den drei Regimentern 98, 99 und 100 und den sonstigen Divisionstruppen in Zusammenarbeit mit einem Panzerverband im Hinblick auf das kleine Opfergebiet Kosovo ohne große Verluste die Besetzung und Befriedung duchgeführt hätte. Beim Nennen von Zahlen sträubt sich mir alles.

Wenn die Serben die Partisanentaktik anwenden, sprechen Experten von einem Kräfteverhältnis von 1:5, einem Partisanen müßten also fünf Natosoldaten entgegenstehen, um ein militärisches Gleichgewicht zu erzielen. Ist dies nach Ihren Erfahrungen realistisch?

Vögtle: Die Einschätzung von 1:5 halte ich für unrealistisch wie überhaupt alle Zahlenspiele.

Wie haben Sie die Kampfmoral eines serbischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg erlebt?

Vögtle: Der serbische Soldat im Zweiten Weltkrieg war tapfer, ein fanatischer, zäher Kämpfer und nationalistisch und zum Teil politisch idealistisch, aber zerstritten. Cetuiks (Nationale Königsanhänger) und Kommunisten standen sich oft feindselig gegenüber. Erstere wechselten wiederholt die Fronten. Vor allem 1941 stand er in dem bunten Gemisch unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit auf verlorenem Posten.

Die Nato will Milosevic stürzen. Wenn dies militärisch gelänge, muß man dann nicht längerfristig mit vielen Soldaten in Serbien und dem Kosovo stationiert bleiben?

Vögtle: Ich weiß nicht, wer nach Milosevic kommt. Als Soldat – und Politiker – würde ich von einer längeren Stationierung ausgehen. Wenn die Lage einen kürzeren Aufenthalt erlaubt, ist die Truppe schnell und gern wieder zu Hause.

Müssen die Soldaten dann nicht auch mit einer feindseligen Bevölkerung rechnen – und was bedeutet das für die Truppe?

Vögtle: Nach meiner Erfahrung – von Ausnahmen abgesehen – muß die Truppe nicht mit einer anhaltend feindseligen Bevölkerung rechnen. Die geschundene Bevölkerung wünscht sich Ruhe und Frieden und will ihre Häuser wieder aufbauen und die Felder bestellen.

Denken Sie, daß man militärisch auf dem Balkan Ruhe schaffen kann?

Vögtle: Ich glaube, daß man in Zusammenarbeit mit Rußland und den an Serbien angrenzenden Ländern nur durch den Einsatz von Bodentruppen die Ruhe wieder herstellen kann.

Sollten auch deutsche Soldaten wieder auf dem Balkan kämpfen?

Vögtle: Deutsche Soldaten dürfen sich der Hilfeleistung nicht entziehen.

Bricht der Konflikt der verschiedenen Ethnien nicht in zehn oder zwanzig Jahren wieder auf, wenn die Flüchtlinge wieder in das Kosovo zurückkehren – er hat ja tiefe Wurzeln, und die Greueltaten an den Albanern schüren auch den Haß auf Serbien?

Vögtle: Ich bin kein Prophet, vertraue aber auf die Vernunft der Bevölkerung und ihren Willen zum Frieden.

Wie wichtig ist nach Ihrer Meinung die Kriegserprobung von Soldaten für die Glaubwürdigkeit der Politik, für die sie möglicherweise eingesetzt werden?

Vögtle: Die Fähigkeit zur Kriegsführung setzt eine entsprechende Motivation, Ausrüstung und Ausbildung voraus. Wo diese drei Voraussetzungen nicht erfüllt werden, ist die Katastrophe vorprogrammiert.

Was empfindet ein junger Soldat, wenn er seinem Feind gegenübersteht und ihn töten muß oder soll?

Vögtle: Ganz einfach: Angst und den Willen, alles zu versuchen, um zu überleben und den Gegner und die Lebensgefahr zu beseitigen. Beinschüsse – wie wir sie vom Polizeieinsatz her kennen und befürworten – reichen nicht aus!

In einem Partisanenkrieg ist der Feind unsichtbar und ungreifbar. Fühlt man sich hier als Soldat nicht ohnmächtig?

Vögtle: Der Soldat fühlt sich beim Partisaneneinsatz zwar ohnmächtig, im intakten Verband aber einigermaßen sicher.

Wenn Sie heute jung wären, würden Sie freiwilllig wieder in einen Balkan-Krieg ziehen?

Vögtle: Im Fall Kosovo: Ja!

 

Helmut Vögtle wurde im November 1917 geboren. Nach dem Abitur im Frühjahr 1937 wurde er zum Reichsarbeitsdienst in Schlesien eingezogen. Ab November 1937 Wehrpflichtiger bei einer Jägereinheit im Allgäu, nahm er nach Beginn des Zweiten Weltkrieges an den Feldzügen gegen Polen, Frankreich und Rußland teil. 1943 war er mit der 1. Gebirgsdivision auf dem Balkan eingesetzt, zuletzt als Bataillons-Kommandeur. Nach kurzer amerikanischer Gefangenschaft war er zunächst als Waldarbeiter tätig; ab 1946 studierte er Forstwissenschaft in Freiburg im Breisgau. Seit November 1982 ist der ehemalige Forstdirektor pensioniert.


 
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