© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Naturschutz: Professoraler Widerstand gegen die "Landschaftsverspargelung"
Windkraftgegner machen mobil
Volker König

Grundeigentümer und Gemeinden werden von Betreiberfirmen und Investoren heute geradezu überrollt und mit sehr hohen finanziellen Renditen dazu verlockt, sich an Windenergieprojekten zu beteiligen. Es herrscht gleichsam ‘Goldgräberstimmung’, die sachlich fundierte und dem Abwägungsgebot angemessene Planungen und Entscheidungen vor Ort nahezu unmöglich macht." – Diese Kritik an der Windenergie stammt nicht aus einer örtlichen Bürgerinitiative, sondern von hochrangigen Naturschutzvertretern.

Seitdem 1997 durch eine Änderung des § 35 Baugesetzbuch die Windenergie eine massive Privilegierung erfuhr, die es gestattet, den Bau von Windkraftanlagen im Außenbereich für allgemein zulässig zu erklären, rührt sich zunehmend der Widerstand von Natur- und Landschaftsschützern. Anfangs beschränkte sich dieser Widerstand auf kleine Gruppen, während zum Beispiel Greenpeace oder der BUND am Ausbau der Windkraft festhielten. Doch bröckelt diese Front, und der "grüne" Widerstand gegen die Rotoren nimmt beständig zu.

Nun haben mit Christian Otzen und Fritz Heydemann zwei prominente Vertreter des größten deutschen Natur- und Umweltverbandes, des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Stellung gegen den weiteren Ausbau der Windkraft bezogen. Namens des schleswig-holsteinischen NABU-Landesverbandes – das nördlichste Bundesland hat die größte Windkraftanlagendichte – legten sie eine umfassende kritische Analyse der Windenergienutzung vor, deren Kernaussage lautet: "Windenergienutzung ist nicht gleich Umweltschutz".

Sowohl der Bau als auch der Betrieb der Anlagen stelle massive Eingriffe in das Landschaftsbild und den Naturhaushalt dar – vor allem, wenn ganze Windparks oder überdimensionierte Anlagen von 70 bis 90 Metern Gesamthöhe errichtet werden. Die optische Dominanz heutiger Windkraftanlagen werde vor allem durch die Drehbewegung der Rotoren mit einem Kreis-Durchmesser von 40 bis 60 Metern Gesamthöhe, den sogenannten "Diskoeffekt" hervorgerufen; dieser provoziere eine Unruhe im Landschaftsbild, die ein entsprechend dimensioniertes, gleichwohl aber ruhendes Bauwerk nie verbreiten würde. Deshalb haben Wind-räter, so die NABU-Funktionäre, "nichts mit den Windmühlen des 19. Jahrhunderts gemeinsam, ebenso nichts mit Kirchtürmen oder anderen historischen Bauwerken. Sie sind vielmehr in ihrem technischen Design international uniform und von nahezu allen natürlichen und standörtlichen Begrenzungen losgelöst. Die flächenhafte Nutzung der Windenergie führt daher zum Verlust des natürlichen, naturnahen oder kulturhistorischen Ausdruckes unserer Landschaften, deren Erhaltung im Umweltrecht ein hochrangiges Ziel darstellt." Zudem belegten Untersuchungen zweifelsfrei, daß Windkraftanlagen die Funktion von Rast-, Brut- und Nahrungsplätzen vieler Vogelarten beeinträchtigen und darüber hinaus einen Einfluß auf das Zugverhalten von Vögeln haben.

Fazit der NABU-Vertreter: "Windkraftanlagen sind unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht mit einer Naturschutzmaßnahme gleichzusetzen, sondern in erster Näherung als technische Bauwerke zu bewerten, die aus kommerziellem Interesse errichtet wurden. Die bisherige und insbesondere die abzusehende Entwicklung läßt befürchten, daß mit der Nutzung der Windenergie nur die begrenzte Ressource ‘Landschaft’ in Anspruch genommen wird, nicht anstelle von Kernenergie und fossilen Brennstoffen, sondern zusätzlich. Dabei werden unter dem Etikett ‘Natur- und Umweltschutz’ die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz von Natur und Landschaft weiter ausgehöhlt bzw. ausgehebelt und drohen mit der Privilegierung von Windkraftanlagen vollends aus dem Blick zu geraten. Wirtschaft und Politik nehmen das umweltfreundliche Image der Windkraftnutzung als willkommenes Alibi für ihre nur unzureichende Betrachtung vorhandener Energiesparpotentiale und tatsächlich umweltschonender Energieerzeugung." Deshalb müsse der Naturschutz den "für die Zukunft zu befürchtenden Ausbau der Windenergienutzung als tragische Fehlentwicklung" bezeichnen, "die dringend einer Korrektur bedarf". Vor allem sollte die Förderung der Windkraft aufhören, ihre Privilegierung dürfe nicht länger ein Staatsziel bleiben, die Subventionierung müsse aufgegeben werden.

Noch entschlossener macht der Bundesverband Landschaftsschutz (BLS) Front gegen die "Landschaftsverspargelung" durch Windräder. Der Verband fühlt sich selbst im Aufwind, seit vor kurzem mehr als 100 namhafte Hochschullehrer und Schriftsteller wie Botho Strauß und Horst Stern in einem "Darmstädter Manifest" sich für den Stopp des Ausbaus der Windenergie eingesetzt haben und die Einstellung der Stromeinspeisungsvergütung und der Steuervorteile für die Betreiber von Rotoren fordern. In ihren Augen ist die Begeisterung für die Windenergie nur eine neue Form technologischen Fortschrittsglaubens, der von den eigentlichen Problemen, dem wachsenden Energieverbrauch infolge ökonomischen und demographischen Wachstums, ablenke. Statt der Belastung der Volkswirktschaft mit über drei Milliarden Mark jährlich "für nichts" verlangen die Unterzeichner des "Darmstädter Manifests" die Förderung wirksamer Maßnahmen zur Energieeinsparung wie zum Beispiel die Wirkungsgradsteigerung durch Kraft-Wärme-Koppelung und moderne Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke sowie durch sinnvolle erneuerbare Energien wie unter anderem die Biomasse-Nutzung.

Der BLS bezweifelt überdies die vom Bundesverband Windenergie (BWE) vorausgesagte Zunahme wirksamer Windkraft-Leistung in diesem Jahr. Der Anteil des Windstroms an der Gesamtenergie sei bei den für Ende 1999 prognostizierten 3.750 Megawatt (MW) Nennleistung nicht 1,5 Prozent, sondern knapp 0,3 Prozent. Die Stromerzeugung habe nämlich weniger als 20 Prozent Anteil an der Gesamtenergie, die durch Verkehr und Raumheizung geprägt werde. "Von diesen 0,3 Prozent bleibt aber nichts mehr übrig, weil es infolge der unsteten Verfügbarkeit zur Energievergeudung kommt beim Ausgleich durch die Kraftwerke und damit zur Verringerung des Wirkungsgrades. Eine Kilowattstunde Windstrom verdrängt daher keine Kilowattsunde Kohle- oder Atomstrom, ersetzt keine Kraftwerke und Brennstoffe und reduziert keine CO2-Emissionen", erklärt Lothar Hoischen, stellvertretender BLS-Bundesvorsitzender. Sein Fazit: Windkraft sei keine regenerative Energie, denn sie verbrauche Landschaft, und die wachse nicht nach. Im Binnenland, so weiß der in Marburg lehrende Mathematikprofessor, würden überdies bereits Anlagen abgebaut und an windreichere Küstenstandorte verfrachtet. Dort könne man für elf Pfennig pro Kilowattstunde Windstrom erzeugen – bei einer Vergütung von derzeit 16,52 Pfennig.


 
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