© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Nachruf: Zum Tode des Schriftstellers und DDR-Oppositionellen Jürgen Fuchs
Schreiben gegen die Entwürdigung
Ulrich Schacht

Menschen, die ihm nahestanden oder auch nur aufrichtig Anteil nahmen an dem, was er zu sagen hatte, wußten seit längerem um seine lebensgefährliche Erkrankung. Doch dieses Wissen reichte, wie immer, nicht heran an die Wahrheit jener Stunde, die alles radikal verändert, indem sie ein Leben unwiderruflich beschließt, pflanzt doch der Mensch, so Friedrich Schiller in einem seiner berühmtesten Gedichte, "noch am Grabe .... die Hoffnung auf". Für den Menschen und Schriftsteller Jürgen Fuchs ist diese Stunde am 9. Mai eingetreten: Jürgen Fuchs ist tot, sagen die Nachrichten seit dem Morgen des 10. Mai 1999, und wir, die wir ihn kannten und begleiteten in seinen Kämpfen, die immer auch die unseren waren, selbst wenn wir nicht jeden seiner Schritte mitvollzogen, nicht jeden Gedankengang parallel dachten, nicht jedes Etappenziel teilten – wir trauern. Wir trauern, weil wieder ein großer Mensch zu früh gegangen ist; weil ein weiteres Mal die Wahrheit einen starken Herold verloren hat; weil Heuchelei und Zynismus erneut einen unbestechlichen Gegner weniger fürchten müssen.

In solchen Stunden ist die Welt noch trostloser als sonst, und die deutsche ganz besonders! Denn die Wahrheit des Jürgen Fuchs war vor allem eine über Deutschlands zweite Diktatur, die sich demagogisch "Deutsche Demokratische Republik" nannte und deren versammelte Ost-West-Verteidiger, die zehn Jahre nach ihrem Fall immer ungenierter das Haupt erheben, immer dreister Lügenmärchen über ihre Wirklichkeit verbreiten, immer höhnischer die Zeugen ihrer Verbrechen behandeln dürfen. Von der (west-)deutschen Justiz, die mit der längst widerlegten Behauptung, der Rechtsstaat könne nicht anders, die überführten SED-Täter in kostenaufwendigen Scherz-Prozessen zu klassischen deutschen Unschuldslämmern macht, deren Opfer aber zu eher komischen Figuren, ganz zu schweigen.

Jürgen Fuchs hat unter diesem unübersehbaren Skandal gelitten wie kaum ein zweiter ehemaliger Gegner der SED-Diktatur; aber wie kaum ein zweiter hat er ihm auch widerstanden, indem er ihn mit der einzigen Waffe, die er hatte, Tag für Tag bekämpfte: mit dem freien Wort des Dichters, des politischen Aufklärers, des radikalen Kritikers der politischen Macht per se.

Zuletzt besetzte er mit der ihm verbliebenen Energie noch einmal jenes finstere Herrschaftsareal der SED-Diktatur, das sich "Ministerium für Staatssicherheit" nannte. In dem im März 1998 erschienenen 500-Seiten-Dokumentarwerk "Magdalena" beleuchtete er konsequent all jene bösartig bis grausamen Machenschaften eines deutschen Geheimdienstes, der sich kommunistisch nannte und den im Westen Deutschlands zu Entspannungszeiten keiner mehr in seiner parteigesteuerten Bösartigkeit wahrhaben wollte, weil die Partei, die ihn benötigte und deshalb geschaffen hatte, zum friedensbeseelten Gesprächspartner hochgejubelt worden war: Kurz vor ihrem Untergang war die Existenz der DDR im Westen Deutschlands kein gravierendes moralisches Problem mehr für die "liberale" Öffentlichkeit und ihre medien- wie parteipolitischen Fraktionen.

Ohne wirkliche Not, aber in fast vollkommener ideologischer Verblendung hatte man ausgerechnet den illegitimsten Staat deutscher Geschichte anerkannt und damit – wie bewußt auch immer – all dessen Gegner entwürdigt, selbst wenn man sie finanziell halbherzig entschädigte.

Gegen diese Entwürdigung hat Jürgen Fuchs immer angeschrieben, und in den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens besonders intensiv: Seine autobiographischen Romane "Fassonschnitt" (1984) oder "Das Ende einer Feigheit" (1988) sind deshalb mehr als nur literarische Zeugnisse über die Seelenlage von Menschen in Zeiten der Diktatur, sie sind erfahrunsgesättigte und faktenreiche Archive des Wissens über den Alltag einer menschenfeindlichen deutschen Gesellschaft zwischen 1949 und 1989, die ihren Terror über Millionen Menschen ausübte – auch über den Menschen Jürgen Fuchs, der im November 1976 verhaftet wurde, weil er sich mit seinem eben ausgebürgerten Freund Wolf Biermann solidarisierte.

Es war der letzte und günstigste Anlaß der Honeckerschen Geheimpolizei unter Armeegeneral Erich Mielke, den 1950 in Reichenbach im Vogtland geborenen renitenten jungen Dichter und relegierten Jenaer Psychologiestudenten Jürgen Fuchs endgütig auszuschalten und damit ein personelles Zentrum des Widerstandes im Süden des eigenen Herrschaftsgebietes ein für allemal zu "liquidieren", wie es im MfS-Jargon hieß.

Noch immer gibt es in diesem Zusammenhang den bösen Verdacht, daß Fuchs, wie auch der damalige Dissident Rudolf Bahro, nicht nur im übertragenen Sinne, sondern tatsächlich und mit Hilfe krebserregender Strahlen oder Substanzen "liquidiert" werden sollte. Aber selbst wenn sich das Ungeheuerliche eines Tages beweisen ließe, selbst wenn also das MfS zehn Jahre nach seiner Auflösung in mörderischer Weise über Jürgen Fuchs doch noch gesiegt haben sollte, besiegt hat es diesen nüchternen Poeten und leidenschaftlichen Dokumentarschriftsteller mitnichten: Es gibt seine Bücher, die "Gedächtnis-" und die "Vernehmungsprotokolle", die Romane, die Essay- und die Gedichtbände ("Tagesnotizen", "Pappkameraden").

Ja, auch Gedichtbände, denn als ein reiner Dichter hat Jürgen Fuchs sein Schriftstellerleben begonnen. Zum zweiten Mal las ich Verse dieses Mannes in den dämmrigen Gängen des Schweriner Schlosses. 1971 war das, während eines der FDJ-Poetenseminare, zu dem er offiziell geschickt worden war, ich aber nur als halblegaler Gast teilnahm. Die Texte, die er mir zeigte, fand ich Jahre später in seinem ersten Buch im Westen wieder: Ich war eben aus der DDR und ihren Gefängnissen entlassen worden; ihn hatte man fast im selben Moment verhaftet.

Eines dieser Gedichte heißt "Das Fach Schönschreiben"; es endet mit den Zeilen: "Nur die Wahrheit/ Fällt immer auf/ Als sehr schwer/ Erziehbar". Jürgen Fuchs’ Leben war ein Versuch, in der Wahrheit dieser frühen Erkenntnis tapfer und konsequent zu leben, und nicht von ungefähr waren ihm rassisch oder politisch verfolgte Intellektuelle wie Manes Sperber oder Vaclav Havel geistige Anreger und praktische Weggefährten, von Wolf Biermann, dem engsten Freund und Vertrauten, nicht zu reden.

Daß ihm diese Übung nicht leicht fiel oder gar, in seinen Texten, leichtfertig geriet, sah man ihm an oder konnte man nachlesen: "JETZT BIN ICH RAUS, JETZT/ Kann ich erzählen/ Wie es war/ Aber das/ läßt sich nicht erzählen", heißt es einmal in einem Gedicht am Ende der siebziger Jahre. Dennoch trieb ihn die zugegebene Schwierigkeit beim Reden und Schreiben der Wahrheit über die zweite deutsche Diktatur nie ganz ins Verstummen.

Und so blieb für ihn bis zum letzten Atemzug gültig, was er in seinem Essay "Abschied von der Diktatur" als Maxime seines ganz persönlichen Aufarbeitungsprozesses, der auch immer eine kritische Dimension im Verhältnis zum Gegenwarts-Deutschland enthielt, hervorgehoben hatte: "Auf Rache und Haß kann verzichtet werden. Auf Wahrheitssuche, auf Durchsetzen der Menschenrechte, auf öffentliche Entlarvung von hartnäckiger Lüge und die Entmachtung konspirativer Abhängigkeits- und Gewaltstrukturen nicht".

 

Ulrich Schacht war mit Jürgen Fuchs befreundet. Der Publizist und Schriftsteller lebt heute in Schweden.

 

Jürgen Fuchs wurde am 19. Dezember 1950 in Reichenbach (Vogtland) geboren. Nach Abitur, Facharbeiterabschluß bei der Reichsbahn und dem Dienst in der NVA studierte er ab 1971 Sozialpsychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Seit 1973 Mitglied der SED, wurde Fuchs im April 1975 wegen "feindlicher Angriffe gegen die Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft in der DDR" aus der Partei ausgeschlossen. Kurz darauf wurde er zwangsexmatrikuliert und erhielt Publikationsverbot. Im November 1976 protestierte er öffentlich gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns; wegen "staatsfeindlicher Hetze" verbrachte er neun Monate im Untersuchungsgefängnis des MfS in Berlin-Hohenschönhausen. Im August 1977 wurde er aus der DDR ausgebürgert. Bis zu seinem Tod lebte er als freier Schriftsteller in Berlin.


 
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