© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Kohl-Enkel Fischer
von Hans-Peter Rissmann

Mit der Macht scheint die Verantwortung zu kommen, zumindest bei einigen der ehemals links-alternativen Grünenpolitiker, die selbst vor Jahren den Bundesadler noch mit Farbbeuteln bewarfen. Joschka Fischer bewegt sich auf internationalem Parkett sicherer, als man das von einem einstigen Nato-Gegner und Atomstopp-Befürworter erwarten durfte und definiert dabei deutsche Interessen auf seine Weise. Daß er dies an der Seite der USA und mittels eines handfesten Krieges tut, ist nun der grünen Basis zu viel. Der pazifistische Anti-Kriegs-Flügel ist selbst in der Auseinandersetzung mit Parteifreunden nicht zimperlich. Als Kriegstreiber und Mörder muß sich der pazifistische Pro-Kriegs-Flügel schelten lassen. Alle sind Pazifisten, nur einige kennen Ausnahmen. So kam es auf dem Parteitag, der ein letztes Mal darauf verzichtete Polizisten trotz handfester Schlägereien in den Saal zu lassen, zu "Kollateralschäden" an zivilen Zielen.

Die Grünen machen eine Entwicklung durch, die einem bekannt vorkommt. Sie erinnert an den Kurs der CDU nach der Regierungsübernahme 1982. Damals warf die Union über Nacht so eilig Grundsätze über Bord, daß vom ursprünglich harten konservativen Profil nur noch ein stromlinienförmiges Nichts übrigblieb. Milliardenkredite an die DDR, Anerkennung des liberalisierten Abtreibungsparagraphen 218, Verzicht auf eine angekündigte "geistige Wende" – eine Kröte nach der anderen durfte die Basis der Union schlucken. Alles um den Preis von "Realpolitik" und des Machterhalts. Es kam zu Absplitterungen, Parteiaustritten. Doch Kohl setzte seinen Kurs fort und machte die Partei flach wie eine Flunder.

Nicht anders wird es den Grünen unter Joschka Fischer gehen. Wenn die Prognosen stimmen, müssen die Grünen damit rechnen, daß zehn Prozent ihrer Mitglieder aus der Partei austreten. Das wird die Partei verkraften. Vielleicht gibt es am 13. Juni bei der Europawahl einen kleinen Denkzettel für die Realo-Fraktion. Steckt der Außenminister weg. Die Karawane zieht weiter, sagte einmal Kohl – Fischer wird ihn im Geiste zitieren.

Mit dem fundamental-pazifistischen Flügel der Grünen wird nun auch ein Stück der verträumten westdeutschen Republik zu Grabe getragen, die soeben ihren 50. Geburtstag in gesamtdeutsch erweiterter Variante feiert. Die "Mörder" und "Heuchler" gröhlenden Veteranen der deutschen Politikverweigerung bieten keine Alternative zum Pragmatismus Joschka Fischers. Sie lehnen deutsche Außenpolitik mit kriegerischer Konsequenz in jeder Form ab. Sie vertreten das Konzept politischer Abmeldung – und tun es auch, nachdem sie unterliegen.


 
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