© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Jelzins Rettung
von Karl-Peter Gerigk

Boris Jelzin hat es wieder mal geschafft. Die Abstimmung über eine Amtsenthebung des russischen Präsidenten ging recht deutlich zu seinen Gunsten aus, nicht zuletzt weil rund 100 der 450 Deputierten der Duma nicht erschienen waren. Ein Grund müssen aber auch die Vorwürfe an sich gewesen sein, denn in keinem der fünf Punkte erreichten die Gegner Jelzins – vorwiegend die Kommunisten – die notwendige Mehrheit zur Einleitung eines Verfahrens gegen den Präsidenten; die Anklagepunkte schienen absurd.

Wie kann man als patriotischer Russe Jelzin zum Vorwurf machen, daß er zum Zusammenbruch der kommunistischen Sowjetunion beigetragen habe, und wie soll man verstehen, daß Jelzin einem "Genozid" am russischen Volk zuarbeite und verantwortlich wäre für den katastrophalen Zustand der russischen Streitkräfte? Zu offensichtlich sind hier die Bestrebungen von kommunistischer Seite, den freiheitlichen Weg Rußlands zugunsten einer rückwärts gewandten Politik sowjetischer Prägung nach innen und einer Politik der Stärke gegenüber dem Westen nach außen abzulösen.

Wie man die geistigen und körperlichen Fähigkeiten Jelzins auch momentan einschätzen will, eines muß klar sein: die Alternative zu einem Präsidenten, der im Westen eher verständnisvolles Wohlwollen hervorruft als wirkliche Angst vor einem unberechenbaren und aggressiven imperialen Machthaber, darf nicht mehr ein kommunistisch geführtes, den Osten Europas dominierendes Rußland sein.

Es liegt im Interesse der europäischen Staaten, das teilweise asiatische Rußland enger an den Kontinent zu binden, nicht zuletzt auch aus schlichten wirtschaftlichen Erwägungen. Für das kaukasische Öl interessieren sich nicht nur die USA, sondern auch Europa. Darum existiert eine besonderes Interesse an einer einvernehmlichen Entwicklung zwischen westlichen Staaten und dem Riesenreich.

Ein kommunistisches Osteuropa ist für Deutschland genausowenig wünschenswert, wie eine nationale Erhebung der slawischen Völker von Belgrad über Bukarest und Sofia bis Moskau. Insofern ist ein stabiles und verläßliches Rußland, gerade auch in der Frage des Balkankonfliktes, im deutschen Interesse und die Stationierung hinreichender westlicher Kampftruppen auch ein Stabilitätsfaktor für die Region. Jelzins Bestätigung und eine europäische Rolle Rußlands kann gut sein für Deutschland und für ein Europa. Die Enscheidung der Duma ist so gesehen besser, als sie scheinen mag.


 
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