© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Holocaust-Mahnmal: Gruppenantrag aus der Union will vorhandene Gedenkstätten nutzen
"Die Grundsatzfrage stellen"
Karl-Peter Gerigk

Herr Sebastian, Sie haben einen Antrag formuliert, der einen Verzicht auf das in Berlin geplante Holocaust-Mahnmal vorsieht. Was ist Ihre Motivation?

Sebastian: Wir denken, daß die in Deutschland vorhandenen zahlreichen Mahnmale und Gedenkstätten, insbesondere in Berlin, so zum Beispiel das Jüdische Museum, die Topographie des Terrors und die authentischen Stätten des Gedenkens und Erinnerns wie die ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald in würdiger Weise die äußeren Voraussetzungen für ein ehrendes Gedenken und Erinnern an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erfüllen. Sie sind Mahnmal für die lebenden und kommenden Generationen. Es ist nach meiner Meinung nicht notwendig, etwas neues weiteres, dazu noch etwas Monumentales zu errichten. Wenn der Bundestag sich mit der Frage befaßt, wobei ich von der Zuständigkeit nicht überzeugt bin, soll nicht nur über die mögliche Gestaltung eines neuen Mahnmals, sondern auch über die Frage, ob oder ob nicht, diskutiert werden.

Richten sich Ihre Einwände speziell gegen den Eisenman-Vorschlag, weil Ihnen ein Stelenfeld nicht gefällt, oder ist auch der vorgesehene Ort nahe des Regierungsviertels und am Brandenburger Tor aus Ihrer Sicht nicht gut gewählt?

Sebastian: Unser Antrag richtet sich nicht speziell gegen einen bestimmten Vorschlag, jedoch erscheint mir ein so großes Mahnmal im Zentrum von Berlin nicht geeignet, in angemessener und würdevoller Weise an die Verbrechen des NS-Regimes zu erinnern. Ein solches Mahnmal steht stets im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Würde das geplante Stelenfeld entstehen, müßte es rund um die Uhr bewacht und geschützt werden, denn die Gefahr der Verschandelung und Entwürdigung ist groß. Ich denke da nicht an Anschläge von Rechtsradikalen, aber schon das Anbringen von Graffiti an die Stelen schadet und verändert enorm das Bild einer Gedenkstätte. Der Eisenman-Vorschlag ist einfach zu monumental, zu groß und zu platzgreifend. Den Vorschlag Richard Schröders "Du sollst nicht morden" halte ich, weil auch viel bescheidener, dann schon für besser. Es wird aber zu allen Vorschlägen Kritik geben, den einen ist der Eisenman-Vorschlag zu groß, zu monumental, den anderen der Schröder-Vorschlag zu klein, zu unauffällig.

Woran lag es denn, daß das Parlament bisher nicht in die Entscheidungsfindung mit einbezogen wurde?

Sebastian: Ich bin erst seit 1994 im Bundestag und weiß nicht, warum nicht schon früher über die Frage im Parlament diskutiert wurde. Die Frage ob ein weiteres neues Mahnmal in Berlin geschaffen werden soll, hat wohl mit der Umgestaltung der Neuen Wache zur zentralen Gedenkstätte zu tun. Angeblich hat der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl die Zusage gemacht, eine zusätzliche Gedenkstätte für die ermordeten Juden in Europa in Berlin zu schaffen. Wir wollen aber nicht etwas neues, denn es gibt in Deutschland und insbesondere in Berlin eine Fülle von Gedenkstätten und Mahnmalen. Wir glauben, daß die authentischen Gedenkstätten, dort wo die Morde geschehen sind, ausreichen und die Situation auch realistisch ins Gedächtnis zurückrufen. Ich denke hier an Berlin-Plötzensee oder Sachsenhausen, die die Geschichte, auch für alle zukünftigen Generationen, vor Ort authentisch vermitteln, besser als überdimensionierte und abstrakte Kunstwerke. Wir sehen es als unsere Pflicht an, dafür zu sorgen, daß die vorhandenen Gedenkstätten, insbesondere die authentischen Stätten von Terror und nationalsozialistischer Diktatur, in unserem Land auch für kommende Generationen erhalten, finanziell unterstützt und personell hinreichend ausgestattet werden, um sie besser ins Bewußtsein der Menschen zu rufen.

Wie müßte denn nach Ihrer Ansicht solch eine Bewußtmachung und solch ein Gedenken aussehen, um angemessen zu sein?

Sebastian: Wir haben ja zum Beispiel den Gedenktag des 27. Januar, den Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, der von Bundespräsident Herzog als eine gute Möglichkeit des nationalen Erinnerns an den Holocaust eingeführt worden ist. Es muß geprüft werden, wie man diesem Tag noch mehr Bedeutung verschaffen kann.Für uns hat das Gedenken, Erinnern und Mahnen heute und in Zukunft weiterhin eine herausgehobene Bedeutung.

Planen Sie weitere Initiativen gegen das Denkmal, wenn Sie mit Ihrem Antrag im scheitern sollten?

Sebastian: Wir werden versuchen, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen im Bundestag von unserem Antrag zu überzeugen. Es gibt eine Vielzahl von Abgeordneten, die so denken wie wir, aber weil die Frage, ob ein weiteres, neues Mahnmal errichtet werden soll, in die Tabuzone hineingeht, sagen sie es nicht öffentlich. Was wir machen, wenn unser Antrag keine Mehrheit erhält vermag ich heute nicht zu sagen.

Das Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden, Ihr Parteikollege Michel Friedmann hat den Antrag der Unionsabgeordneten als ein Armutszeugnis bezeichnet.

Sebastian: Herr Friedmann sollte einmal mit den Menschen in unserem Land über die Frage reden und sich ein Bild von der Stimmung in der Bevölkerung machen, bevor er unseren Antrag als Armutszeugnis bezeichnet. Ich bin ein vom Volk direkt gewählter Abgeordneter und nicht bereit, die Meinung der Menschen einfach zu ignorieren. Ich bin für das Gedenken, Erinnern und Mahnen, aber dies hat nichts mit einem gigantischen Mahnmal zu tun.

Was wollen Sie statt dessen?

Sebastian: Wir wollen eine angemessene und würdevolle, vor allem zeitlich überdauernde Form des Erinnerns. Die vorhandenen Gedenkstätten und Mahnmale sind dafür ausreichend, und wir sind daher gegen die Errichtung eines weiteren Mahnmals. Es stellt sich ja auch noch die Frage, ob es Aufgabe des Parlaments ist, diese Frage zu entscheiden.

Wessen Aufgabe ist es dann?

Sebastian: Wenn die Regierung das Denkmal will, muß sie es auch verantworten. Wenn sie jedoch das Parlament fragt, will ich als Abgeordneter nicht nur über die Gestaltung abstimmen, sondern auch die Grundsatzfrage stellen können – also die Sache insgesamt ablehnen.

Der Schriftsteller Ephraim Kishon sagte, die ganze Sache diene nur noch dazu, einen Künstler reich zu machen. Meinen Sie auch, daß Profilierung und Geld hier eine größere Rolle spielen als die eigentliche Frage der Erinnerung an den Holocaust?

Sebastian: Es ist eine Frage, über die sich vortrefflich streiten läßt. Ich möchte mich an dieser Diskussion nicht beteiligen. Es stellen sich viele Fragen, die nur schwer zu beantworten sind. Am schwierigsten ist sicherlich, daß viele nicht bereit sind, öffentlich ihre wirkliche Meinung zu sagen, weil sie dem dann entstehenden Druck nur schwer standhalten können. Ich habe dies schon einmal erlebt, als es in meiner Heimatgemeinde um die Frage einer Gedenktafel für die Außenstelle des KZ Buchenwald ging. Diese Frage rief viele einflußreiche Leute und alle führenden Medien auf den Plan. Nachdem der Beschluß über die Anbringung einer Gedenktafel gefallen und diese vor Ort angebracht war, interessierte sich niemand mehr dafür. Unsere Aufgabe ist es daher, für eine kontinuierliche Erinnerung zu sorgen.

 

Wilhelm Josef Sebastian ist CDU-Bundestagsabgeordneter.Geboren am 21. März 1944 in Dernau, Kreis Ahrweiler, seit 1967 CDU-Mitglied, gehörte der gelernte Großhandelskaufmann seit 1974 dem Gemeindetag, seit 1979 dann dem Kreistag an. Von 1986 bis 1994 war er Abgeordneter im Mainzer Landtag und wirtschafts- und verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Seit 1994 gehört er als direkt gewählter Abgeordneter dem Deutschen Bundestag an.


 
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