© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Oper: Händels Oratorium "Saul" in Karlsruhe
Tragödie eines Königs
Julia Poser

Das Badische Staatstheater wartete mit zwei Überraschungen auf. Zum ersten bewies der Regisseur Michael Hampe, daß ein so dramatisches und spektakuläres Werk wie "Saul" durchaus als große Oper szenisch dargestellt werden kann. Die größere Überraschung war die Figur des jungen David, den man als strahlenden Sieger über den Riesen Goliath zu kennen glaubte. Im Kindergottesdienst war er stets der tapfere, bescheidene, gottesfürchtige und allgemein beliebte Hirtenknabe, dem der "vom bösen Geist beherrschte" Saul neidisch nach dem Leben trachtete. Hampe hat sich intensiv mit den einschlägigen Bibelstellen und anderen historischen Werken beschäftigt und kam zu einer völlig gegensätzlichen Auffassung. Der wirkliche David war ein skrupelloser Bandenführer, der nicht nur bedenkenlos die Seiten wechselte, sondern durch Raub, Mord, Hinterlist und Verrat nur ein Ziel vor Augen hatte: König Saul zu entmachten und selbst König von Juda zu werden.

Nach Versen aus dem 1. und 2. Buch Samuel schrieb Charles Jennens – von ihm stammt auch der Text zum "Messias" – das englische Libretto für "Saul". Händel, der spürte, daß das Interesse des Publikums an der italienischen Opera seria erlahmte, schuf 1739 dieses gewaltige Chordrama. Die Arien wurden kürzer, prägnanter, die Chöre kraftvoller, wuchtiger. Kriegerische Klänge und siegesfrohe Tänze begeisterten die Londoner. Der weltberühmte Trauermarsch für den toten Saul und seinen ebenfalls im Kampf gefallenen Sohn Jonathan, ein Höhepunkt des Oratoriums, wird seit 1741 in England vom Publikum stehend angehört.

Regisseur Hampe hat es verstanden, dieses wohl beliebteste Oratorium Händels zu einem spannenden Theaterereignis zu machen. Carlo Tommasi gelang ein einfaches, aber wirkungsvolles Bühnenbild: Hohe verschiebbare Mauerwände gaben den Blick frei auf ein karges Wüstengebirge. Unheimlich war Sauls Besuch bei der Hexe von Endor, bei der Samuels Geist dem König den Tod prophezeite. Leider gerieten die modernen schwarzen Uniformen von Sauls Soldaten gänzlich daneben. Mit weißen Gamaschen, Bandeliers und weißen Stahlhelmen erinnerte die Leibwache stark an die amerikanische MP. Saul, seine Tochter Michal und der Chor waren dagegen klassisch gewandet.

Mit großem dramatischen Baß bot Gregory Frank ein ergreifendes Bild des hintergangenen Königs. In der Arie "A serpent in my bosom warm’d" (ich habe eine Schlange an meiner Brust gewärmt), drückte er bewegend die Tragik Sauls aus. Mit Recht den größten Beifall erhielt Kobie van Rensburg in der Partie des Prinzen Jonathan. Der junge Südafrikaner begeisterte durch die Schönheit seines edlen, klangvollen Tenors. Mit lieblich strahlendem Sopran sang Marianne Kienbaum Sauls Tochter Michal. (Als "Morgengabe" hatte David zur Hochzeitmit Michal hundert Philistervorhäute abgeliefert).

Der Countertenor Axel Köhler gab mit virtuosem Gesang und hervorragender Technik einen männlichen David. Klaus Schneider war ein stimmschöner Hoherpriester. Der Staatsopernchor leistete außerordentliches; in "Envy, eldest born of hell" war er unübertrefflich. Uwe Sandner am Pult der Badischen Staatskapelle bevorzugte meist flotte Tempi, ließ die Kesselpauken dröhnen und Davids Sieg über Goliath mit fröhlichem Glockenspiel begleiten.


 
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