© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Kunst im öffentlichen Raum: In Bonn ist eine Arno-Breker-Skulptur spurlos verschwunden
Wer hat Diana entführt?
Jutta Winckler-Volz

Wer sich zum Bonner Stadtteil mit dem lyrischen Namen Venusberg begibt, sucht, sofern er dort nicht wohnt, in der Regel eines der medizinischen Universitätsinstitute auf. Die Zusammensetzung der Bewohnerschaft des idyllischen Orts ist dementsprechend strukturiert: aufwendige Eigenheime, Seniorenstifte, Fortbildungsakademien, Mietwohnungen der gehobenen Klasse, dazwischen ein wenig einzelhändlerische Infrastruktur für den täglichen Bedarf. Zwar wurde die abgelegene Bankfiliale bereits zweimal geplündert, der hierzulande habituell gewordene Vandalismus gegen die Möblierung des öffentlichen Raumes aber hält sich in Grenzen.

Wer bisher, zwischen der vormaligen Diplomaten-Akademie des Auswärtigen Amtes und besagter Bankfiliale, den Haager Weg zu den Universitätskliniken nahm, gewahrte in einer kleinen Grünanlage skulpturale Kunst. Die überlebensgroße junge Dame, mit nichts als grünschimmernder Patina bedeckt, hieß "Diana mit dem Speer" und stammte aus der Werkstatt des bedeutendsten Plastikers, den Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert hervorgebracht hat. Eine Arno-Breker-Skulptur im öffentlichen Raum der BRD! Potzblitz! dachte die Autorin schon bei der ersten zufälligen Begegnung: Wann wird auch dieses Opus des genialen Düsseldorfers von jenen Patentdemokraten entdeckt, denen zu seiner Kunst nichts als "umstritten" einfällt?

Die damalige Befürchtung ist mittlerweile eingetroffen. Der Betonsockel an der Sertürner Straße, Ecke Haager Weg, ist leer. Zunächst war er mit feministischen Parolen beschmiert worden, jahrelang prangten die rotfarbigen Schmierereien auf dem Sockel und schmälerten den Genuß für den Betrachter.

Jetzt ist die Skulptur der Diana verschwunden, geblieben sind Sockel und Polit-Schmierereien. "Wir wollen unsere Diana zurück!" verlangen mehr und mehr Anwohner der vormaligen "Garten- und Heim-Siedlung", einer Wohnungsbaugesellschaft, deren Architekten im Geist von Hellerau/Dresden bauten. Die Siedlungsbauten stammen aus einem staatlichen Programm der frühen fünfziger Jahre, ihre luftig-lockere Bauweise ist offenkundig von den Reformideen der zwanziger und dreißiger Jahre ("Heimschutz") geprägt. Dazu gehörte auch die "Kunst am Bau" als Überwindung eines kalkulatorisch-mammonistischen Denkens, als Manifestation des europäischen Humanismus. Irgendwann, so erinnern sich die 45 Initiatoren einer Unterschriftenaktion am Venusberg, sei die Breker-Skulptur aus dem 54er Weltmeisterjahr verschwunden gewesen. Keiner erinnert sich exakt, wann und wie es geschah.

Die Pro-Breker-Bürgerinitiative befürchtet Schlimmes, werden doch Breker-Werke mittlerweile zu enormen Preisen am Kunstmarkt gehandelt. In einer eigenartigen Dialektik (Vergangenheitsbewältigungs-Mehrwert oder Tabu-Surplus?) bewertet der Markt die volkspädagogisch am meisten inkriminierte Ware finanziell am höchsten: einerseits dekretiert die offiziöse BRD-Kulturnomenklatura, alles NS-Kontaminierte sei umfassend minderwertig, andererseits steigen die Preise dieses vermeintlich Minderwertigen – sei es Buch, Autograph, Dokument, Gemälde, Führerpostkarte oder Skulptur – ins Gigantische.

Vor diesem Hintergrund weiß Hans-Jürgen Biersack, einer der Initiatoren, daß "die Plastik derzeit viele hunderttausend Mark wert sein dürfte. Eine internationale Auktion brächte gewiß noch mehr, und ein heimlicher Breker-Sammler zahlte sicherlich eine Million für unsere Diana. Wir alle haben uns gewundert, daß sie so lange Jahre hier unbehelligt und ungesichert stehen konnte."

Das Verschwinden steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Übernahme der Siedlung durch die Düsseldorfer Bau-Boden-Treuhand (BBT), die der anheimelnden Struktur der Siedlung ein Ende bereitete, indem sie Grundstücke zu verkaufen begann. Im Zuge dessen muß Diana wohl in einer Nacht- und Nebel-Aktion entfernt worden sein. Die BBT versprach, die durch Umwelteinflüsse angeblich lädierte Plastik zu restaurieren und hernach wieder an ihren angestammten Platz zu stellen.

Darauf warten die Venusberger bis heute: "Vor Zeugen hat eine Architektin damals namens der BBT versprochen, daß uns der Breker zurückgebracht wird", so Anwohnerin Bärbel Kloss-Rasom, "als dann auch der Betonsockel abgeholt werden sollte, wurden wir alle mißtrauisch". Viele Bonner haben sich per Unterschrift bereits für die Rückkehr Dianas stark gemacht, denn "statt der herrlichen Frauenstatue haben wir neuerdings sogar häßliche riesige BBT-Werbeschilder auf der Grünfläche stehen, und das mitten im Landschaftsschutzgebiet!"

"Ende Mai werden wir die Tafeln verkleinern", versichert BBT-Verkaufsleiter Martin Jaenicke auf Nachfrage der jungen freiheit, "die Werbefirma hätte uns vor Aufstellung der 16 Quadratmeter großen Schilder informieren müssen, daß dafür die Genehmigung des Bauordnungsbehörde nötig ist." Die ist mit kleineren Schildern einverstanden. Das aber will die Pro-Breker-Initiative nicht: "Ein Schandfleck für unsere Siedlung, den lassen wir uns nicht bieten! Die Tafeln sollen weg und die Diana wieder an ihren Platz!" so Sprecherin Bärbel Kloss-Rasom. Freilich ist noch ungeklärt, wer Eigentumsrechte an Diana geltend machen kann: "Der oder die Einzelkäufer der Siedlungsgrundstücke gingen offenbar davon aus, daß auch Grünfläche und Plastik in ihr Eigentum übergehen", erklärt Stadtverordneter Martin Berg, "wobei die BBT aber dafür hält, daß vormaliger Standort und Kunstwerk nach wie vor ihr gehören". Dafür spräche, daß der frühere Eigentümer die Gesellschaft "Garten- und Heim-Siedlung" war.

Franz-Josef Talbot, Leiter der Unteren Denkmalsbehörde Bonn, weiß: "Die Garten und Heim war es, die Diana bestellt und bezahlt hat. Bei Veräußerung gehörten somit auch deren Kunstwerke in die Verhandlungsmasse. Gewiß dürften im Bonn der frühen fünfziger Jahre auch staatliche Zuschüsse in die Finanzierung der Breker-Statue geflossen sein." Somit zeichnet sich am Horizont bereits der gerichtliche Streit um Diana ab, zumal der initiativ gewordenen Venusberger Bevölkerung – so deren Rechtsberater Albert Kreiss – nach fast einem halben Jahrhundert gemeinsamer Zeit ein Gewohnheitsrecht an ihrer geliebten Diana eingeräumt werden müßte. Schon wollen erste Gerüchte wissen, Brekers Schöne stünde bereits seit einiger Zeit im Düsseldorfer Privatgarten eines Bau & Boden-Treuhänders: "Davon ist mir nichts bekannt", so BBT-Mann Jaenicke abwiegelnd gegenüber der JF, "weitere Informationen erhalten Sie von unserem Stuttgarter Büro". Dort aber war niemand zu einer Stellungnahme über den Verbleib des Breker-Kunstwerks bereit …


 
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