© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Berlin: Nach der Abgeordnetenhauswahl steht der CDU ein Generationswechsel ins Haus
Alte Seilschaften verlieren Einfluß
Thorsten Thaler

Viereinhalb Monate vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 10. Oktober ist in der Berliner CDU eine erhebliche Unruhe ausgebrochen. Grund dafür sind innerparteiliche Auseinandersetzungen um die Nominierung von Kandidaten für das Landesparlament. Obwohl die Aufstellung der Bewerber in den 23 Kreisverbänden bereits abgeschlossen ist, will der Landesvorstand in sechs Bezirken die Nominierung wiederholen lassen.

Auslöser für das Hickhack ist die Kandidatenkür im Bezirk Wilmersdorf. Dort waren Anfang März die Abgeordnete Monika Grütters (37) und der Staatssekretär in der Finanzverwaltung, Peter Kurth (38), mit ihrer Bewerbung um einen Wahlkreis gescheitert. Grütters und Kurth galten der CDU-Führung als "Hoffnungsträger", besonders Parteichef Eberhard Diepgen und der Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky förderten die Karriere der beidenNachwuchspolitiker.

Die christdemokratischen Bezirksfürsten in Wilmersdorf kümmerte das herzlich wenig. Der Kreisvorsitzende Ekkehard Wruck (56) und sein Stellvertreter Jürgen Adler (48) verfolgten eigene Absichten. Die beiden Rechtsanwälte sitzen seit 20 Jahren für die Union im Abgeordnetenhaus und gehören in der Partei zu den unnachgiebigsten Kritikern des CDU-Vorsitzenden Diepgen. Das Duo Wruck/Adler sorgte dafür, daß Grütters und Kurth auf dem Kreisparteitag das Nachsehen hatten. Statt dessen nominierten die Delegierten überraschend die Bezirkspolitikerin Anke Soltkahn. Die 57jährige gilt berlinweit als unbeschriebenes Blatt.

Parteifreunde Kurths wie der Zehlendorfer Abgeordnete Michael Braun fechteten die Wahl wegen eines vermeintlichen Formfehlers an. Daraufhin empfahl der Landesvorstand Ende April, die Nominierung zu wiederholen. Offiziell erklärte die CDU-Spitze, damit solle vermieden werden, daß die Abgeordnetenhauswahl im Oktober aufgrund einer fehlerhaften Kandidatenaufstellung nachträglich für ungültig werden könnte. Betroffen sind neben Wilmersdorf die Kreisverbände Mitte, Neukölln, Tiergarten, Schöneberg und Zehlendorf, in denen es ebenfalls zu Formfehlern bei der Kandidatenauswahl gekommen sein soll.

Daß die beanstandeten Verfahrensmängel seit Jahren gängige Praxis in der Berliner Union sind, wird in der aktuellen Kontroverse freilich ausgeblendet; die Öffentlichkeit erfährt davon nichts. Nur hinter vorgehaltener Hand räumen CDU-Politiker ein, daß es bei den Auseinandersetzungen vor allem um innerparteiliche Positionsgefechte für die Zeit nach der Abgeordnetenhauswahl geht. Zitieren lassen will sich in der Vorwahlkampfphase damit allerdings niemand.

Für einen bevorstehenden Generationswechsel in der CDU sprechen jedoch gleich mehrere Indizien: Im Kreisverband Wedding führt der ehemalige Landesvorsitzende der Jungen Union (JU), Heiner Kausch (33), die Bezirksliste zum Abgeordnetenhaus an; in Hellersdorf setzten sich überraschend die JU-Vertreter Mario Czaja (23) und Christian Gräff (20) durch; in Spandau wurde der 26jährige Kai Wegner als Direktkandidat nominiert, in Kreuzberg der 25jährige Florian Graf.

Fast überall blieben Altvordere entweder ganz auf der Strecke oder mußten mit weniger aussichtsreichen Plazierungen auf den Bezirkslisten vorliebnehmen. Zu den prominenten Opfern innerparteilicher Kungelrunden gehören neben Monika Grütters und Peter Kurth auch CDU-Generalsekretär Volker Liepelt, der beim Kampf um den ersten Listenplatz in Tiergarten dem zuvor als Europakandidaten ausgebooteten Parteigranden Peter Kittelmann unterlag, Bau- und Verkehrssenator Jürgen Klemann in Zehlendorf, Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner in Neukölln sowie dessen Amtsvorgänger Elmar Pieroth in Hellersdorf.

Wie sich die Personalrochaden in der noch immer von alten Seilschaften um Diepgen und Landowsky dominierten CDU auswirken werden, hängt nur zu einem geringen Teil vom Ausgang der Abgeordnetenhauswahl im Herbst ab. Schon seit langem fordert eine wachsende Schar von Parteimitgliedern Eberhard Diepgen auf, den Landesvorsitz abzugeben und sich auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters zu konzentrieren. Selbst seine Wiederwahl und die Fortsetzung der Großen Koalition mit der SPD bietet dem 57jährigen keine Gewähr dafür, daß diese Forderung verstummt.


 
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