© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Europawahl: Die Tierschutzpartei als heimliche Alternative für enttäuschte Naturschützer
"Hanffelder statt Nerzfolter"
Gerhard Quast

Tierfreunde sind Menschen, die Tiere mögen, oft ein oder mehrere Haustiere halten und gut behandeln. Tierschützer gehen einen Schritt weiter, sie kümmern sich auch um Tiere, die gefährdet und/oder in Not sind und gehören in der Regel einer Tierschutzorganisation an. Tierrechtler haben erkannt, daß Tiere nicht nur liebens- und schützenswerte Geschöpfe sind, sondern Anspruch auf von der Gesellschaft zu respektierende Rechte besitzen", differenziert Gisela Bulla in einem Beitrag für die Zeitschrift tierschützer das Lager derer, denen Tiere ein Herzensanliegen sind. Und damit das Unrecht, das den Tieren Tag für Tag zugefügt wird, besser bekämpft werden kann, empfiehlt sie, Tierfreunde, Tierschützer und Tierrechtler sollten ihre Meinungsverschiedenheiten hintanstellen und sich statt dessen gemeinsam wehren – nicht nur in den großen Tierschutzverbänden, sondern verstärkt auch in der Partei "Mensch Umwelt Tierschutz", deren Vorsitzende Gisela Bulla ist.

Die "Geschichte" der Tierschutzpartei ist schnell erzählt: Aus der Taufe gehoben wurde sie 1993 aus der Erkenntnis heraus, daß Unterschriftensammlungen und Petitionen ebenso wenig bewirkt hätten wie die Mitarbeit engagierter Tierschüzter bei einer der etablierten "Tiernutzerparteien". Den Wählern stellte sie sich zum ersten Mal bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 1993. Damals machten 2.415 Hanseaten (0,3 Prozent) ihr Kreuz bei dem Neuling. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 1996 erreichte sie in den von ihr vertretenen Wahlkreisen 1,3 Prozent. Und bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg im September 1997 konnte sie ihren Stimmenanteil auf 0,4 Prozent (3.128 Stimmen) verbessern. Einem größeren Kreis wurde die Tierschutzpartei bei den letzten Bundestagswahlen bekannt. Sage und schreibe 133.590 Tierschützer (1994: 72.000) votierten diesmal für die Partei "Mensch Umwelt Tierschutz". In Prozenten ausgedrückt machten zwischen 0,2 (in Niedersachen) und 0,9 Prozent (in Brandenburg) ihr Kreuz bei der rührigen Partei. Daß letztlich nur ein mageres 0,3 Prozent-Ergebnis zustande kam, lag vor allem daran, daß sie wegen fehlender flächendeckender Organisation nur in neun Bundesländern antreten konnte. Immerhin hat die Tierschutzpartei finanzkräftige oder mitgliederstarke Parteien wie den Bund Freier Bürger (BFB) und die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) auf hintere Plätze verwiesen. Erschwerend kam für sie hinzu, daß bei der Bundestagswahl nicht wenige Tierfreunde bewußt einen Regierungswechsel herbeiführen wollten, weil sie von der Blockadepolitik der CDU/CSU in Sachen Tiertransporte, Staatsziel Tierschutz und Tierversuchen maßlos enttäuscht waren. So hatte etwa der Bundesverband der Tierversuchsgegner mit einem hunderttausendfach verbreiteten Flugblatt gezielt für den Wechsel, also indirekt zur Wahl von SPD und Grünen aufgerufen.

Inzwischen hat die Partei in zwölf Bundesländern funktionierende Landesverbände. Die Gesamtzahl der Mitglieder beläuft sich auf bescheidene 630, bestätigte die Bundesvorsitzende Gisela Bulla gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Anders als bei der ÖDP, die sich als konservative Abspaltung der Grünen verstand und zum Teil noch versteht, ist die Tierschutzpartei aus Initiativen und Basisgruppen entstanden. Die meisten ihrer Mitglieder waren oder sind in Tierschutz- und Tierrechtsverbänden aktiv, vornehmlich beim Deutschen Tierschutzbund und dem Bundesverband der Tierversuchsgegner, aber auch bei kleineren Vereinen. Schnittmengen bei den Mitgliedern gibt es darüber hinaus vor allem mit dem Vegetarierbund, schließlich hat sich die Partei auch die Fleischlosigkeit auf die Fahne geschrieben, wenn auch nur als Prinzip, das gefördert, nicht aber gefordert wird.

Trotzdem ist das Verhältnis zu vielen Tierschutzverbänden nicht unbelastet. Zwar vertreten diese weitgehend ähnliche Anliegen wie die Tierschutzpartei, deren Auftreten werten sie hingegen als kontraproduktiv. Der Vorstand des Tierschutzbundes beschloß, die Tierschutzpartei nicht zu unterstützen, "zumal sie mit ihren minimalen Ergebnissen dem Tierschutz eher Schaden zugefügt habe", so dasTierschutzbund-Magazin Du und das Tier. Die Tierversuchsgegner in Berlin riefen in ihrem Rundbrief die Leser dazu auf, nicht die Tierschutzpartei zu wählen. Und Thomas Schönberger, Vorsitzender des Vegetarierbundes, hat mehrfach darauf hingewiesen, daß er die Partei für überflüssig und parteipolitisches Engagement zum Beispiel bei den Grünen für sinnvoller halte.

Solche parteiischen Äußerungen rufen bei der Tierschutzpartei nur Kopfschütteln hervor, schließlich seien die Bündnisgrünen von Forderungen, die sie früher einmal erhoben hätten, längst abgekommen, und all diejenigen, die auf den Regierungswechsel in Bonn gesetzt hätten, "müßten einsehen, daß nichts besser geworden sei", so Andreas Rumpel, stellvertretender Landesvorsitzender von Berlin und Kandidat der Tierschutzpartei bei den Europawahlen. Allein die Tierschutzpartei besitze ein radikales Programm für die Tiere.

Daß dieses Programm nicht ganz so einseitig sei, wie die Kurzbezeichnung "Tierschutzpartei" suggerieren mag, unterstreichen alle Gesprächspartner vehement. Der Mensch, die Umwelt und der Tierschutz "stellen eine Einheit dar", betont Herbert Becker, stellvertretender Bundesvorsitzende. Dementsprechend heißt es in der Präambel des Parteiprogramms, Grundlage der Tierschutzpartei sei "die Achtung vor dem Leben in all seinen Erscheinungsformen".

Trotzdem sind auch die Kapitel "Menschen/Mitmenschen" und "Lebenswerte Umwelt" des dreigeteilten Forderungskatalogs vom tierschützerischen Weltbild durchsetzt. Sätze wie "Ein wesentlicher Bestandteil einer Erziehung zur Gewaltfreiheit ist der verantwortungsvolle Umgang mit dem Tier als Mitgeschöpf" oder "Müssen alte Menschen ihre gewohnte Umgebung verlassen, soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, ein eventuell bei ihnen lebendes Haustier mitzunehmen" mögen dies verdeutlichen. Ähnlich setzt sich das in den Abschnitten "Ernährung", "Europäische Integration" und "Öko-Steuer" fort. Selbst die "Solidarität mit Ausländern" endet dort, wo Tierschutz anfängt: "Das Menschenrecht auf Bewahrung der eigenen Kultur muß auch für sie gelten. Einschränkungen oder Verbote (z.B. Schächtverbot) werden von uns nur da gefordert, wo andere fundamentale Rechte schwerwiegend verletzt werden."

Auf das Rechts-links-Schema angesprochen, trifft man auf sehr unterschiedliche Selbsteinschätzungen. Für Rumpel repräsentiert die Tierschutzpartei "ein Spektrum wie die Grünen in ihren Anfangszeiten", also von konservativ bis links. Nur eines sei man ganz sicher, "nicht rechts", so Rumpel. In politischen Fragen, die keine Tierschutzrelevanz und auch nicht mit Umweltschutz zu tun haben, gehen die Meinungen auseinander. Einig sind sich die Mitglieder wohl nur in ihrem Anspruch, auf Seiten der Schwächeren zu stehen, seien es die Tiere, die Natur oder sozial Benachteiligte, und in ihrem Kampf gegen den Anthropozentrismus, der "das Grundübel unserer Epoche" darstellt, so Gisela Bulla gegenüber der Zeitschrift Ökologie.

Unumstritten sind hingegen die Standpunkte in Sachen Tierschutz: "Hanffelder statt Nerzfolter, Ökolandbau statt Eurofighter, Schnitzelsteuer statt Hundesteuer. Brot für die Welt statt Fleisch für Deutschland, menschliche Medizin statt unmenschlicher Tierversuch". Mit solch flapsigen Slogans warb die Tierschutzpartei im Bundestagswahlkampf in Schutz für Mensch Tier und Umwelt, einer der Tierschutzpartei eher wohlgesonnenen Publikation.

Für die anstehenden Europawahlen will die weltweit einzige Tierschutzpartei ihre Hoffnungen nicht zu hochschrauben. Minimalziel ist das Überspringen der Grenze für die Wahlkampfkostenrückerstattung. Insgeheim hoffen sie aber darauf, daß die Unzufriedenheit mit Rot-grün dazu führt, daß erstmals keine Null vor dem Komma stehen könnte.

In der kommenden Woche erscheint eine Analyse der Regierungsbeteiligung von Bündnis 90/Die Grünen; in der übernächsten Ausgabe ein Portrait über die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP).


 
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