© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Dresden: Volkswagen renommiert mit neuem handwerklichen Großbetrieb
Die "Gläserne Manufaktur"
Uwe Ullrich

Bei Begriffen wie Elbflorenz, Zwinger, Semperoper oder Wiederaufbau der Frauenkirche denkt man unweigerlich an die sächsische Landeshauptstadt Dresden. In Zukunft wird ein weiteres Unikat in die Reihe der prägnanten Sehenswürdigkeiten aufgenommen. Im Stadtinneren, am Straßburger Platz, baut der Volkswagenkonzern seine "Gläserne Manufaktur". Dort verwirklicht einer der Branchenführer ein einzigartiges Vorhaben der Automobilindustrie für die Einwohner der Stadt und ihre Gäste. Es entsteht eine Erlebniswelt, die mit ihrem Anliegen das 21. Jahrhundert vorwegnimmt. Vor Ort fertigt VW ein neues Luxusauto in einer faszinierenden Spitzentechnologie und bietet dem Interessenten oder Kunden die Möglichkeit, von außen zuzusehen, wie "sein" Auto auf dem Fließband zusammengefügt wird. Die Montage der Nobelwagen vergleicht Werner Schmidt, 1990 bis 1997 Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens, mit den kostbaren Kutschen der Fürstenhöfe in Schönbrunn oder Versailles und mit den Harnischen des Mittelalters: "Die uralte Faszination des meisterlich beherrschten Arbeitsprozesses wird von hochgezüchteter Technik gesteigert: ein Erlebnis nicht nur für Touristen, sondern auch für die sächsische Jugend."

Wie bei vielen anderen Vorhaben – Bau der Waldschlößchenbrücke, Veränderungen in den Linienführungen der Nahverkehrsmittel oder ähnlichem – in der Elbmetropole sind auch hier die Meinungen, das Für und Wider, in der Bevölkerung über Parteigrenzen hinweg geteilt. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und Ornithologenverein sehen schwarz. Der Glasbau, so fürchten sie, könnte für unzählige Vögel zur Todesfalle werden. Seit Ende vergangenen Jahres sammelten Aktivisten, trotz schriftlich übermittelter Morddrohungen ("Ihr erlebt das Jahr 2000 nicht mehr!") Unterschriften für einen Bürgerentscheid gegen die Errichtung der "Gläsernen Manufaktur" am Straßburger Platz. Im Gegenzug gab die Konzernspitze von VW unmißverständlich zu verstehen, daß nur am geplanten Standort die Investition getätigt wird, sonst verlasse man die Stadt. Über die Streitigkeiten mit den Stadtobern über den Abgabetag der Unterschriftenlisten verging die Zeit sinnlos, weil nicht die erforderliche Anzahl von schriftlichen Protesten gesammelt wurde. Laut Umfrage bekennen sich zwei Drittel der Dresdner für die Errichtung des Werkes am Rande des "Großen Gartens", wo bis 1938 das erste Kugelhaus der Welt seinen Platz hatte. Einer der prominentesten Gegner des Bauvorhabens ist der frühere Baubürgermeister und jetzige Stadtrat Ingolf Roßberg (FDP): "Zum ersten Mal in der Geschichte wird der Große Garten an Privat verkauft. Die geplante Fabrik paßt hier nicht hin. Sie wird schlimm aussehen – nicht so toll wie auf Modellfotos. Gläsern oder transparent ist der Bau auch nicht. Schlimmstenfalls ist nur Glas vor der Fassade."

Zahlen und Fakten sprechen für das Vorhaben. Durch die Ansiedlung der Manufaktur sind der Stadt nicht nur ungefähr 800 Arbeitsplätze sicher, sondern auch in der Bauphase arbeiten vornehmlich sächsische Firmen an der Errichtung des Gebäudes. Entsprechend der Prognosen belaufen sich die zusätzlichen Steuereinnahmen der Landeshauptstadt auf 30 bis 40 Millionen Mark im Jahr. Zudem hoffen Investoren und Stadtväter auf die Vermehrung des Touristenstroms. Bereits ab Mitte kommenden Jahres laden Gaststätten, Geschäfte, Kunstausstellungen und das Konferenzzentrum zum Verweilen und Arbeiten ein. Die Abriß- und Rodungsarbeiten auf dem Terrain begannen bereits. Zur Zeit bauen Handwerker eine Wasserleitung. Die Grundsteinlegung für die "Gläserne Manufaktur" ist für Juni geplant.


 
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