© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Zeitschriftenkritik: "Der blaue Reiter"
Philosophische Fragen
Werner Norden

Acht Ausgaben von Der blaue Reiter –Journal für Philosophie sind bislang erschienen. "Was ist Philosophie", "Wahrheit Wirklichkeit", "Ethik", "Grenzpunkt Mensch", "Zeit", "Eros des Denkens", "Mythos Staat" und "Sinn – Unsinn" lauteten die jeweiligen Themenschwerpunkte, was allein schon beweist, daß man nicht nur über philosophische Fragestellungen nachdenkt, sondern sich auch mit Kunst und Poesie, der Unterhaltung und nicht zuletzt der Politik auseinandersetzen will. Dies geschieht auf recht anspruchsvolle Weise, wobei die Redaktion ihren Lesern allzu komplizierte Fachausdrücke erklärt.

Einer der interessantesten Beiträge in der Ausgabe zum Thema "Mythos Staat" stammt von dem israelischen Militärhistoriker Martin van Creveld: "Das Schicksal des Staates". Er sieht die "seit dem Westfälischen Frieden von 1648 wichtigste und charakteristischste Institution überhaupt" kurz vor ihrem Ende. Die Umwälzungen könnten sehr ereignisreich sein "und an vielen Orten blutig". Van Crefeld läßt bewußt offen, was die Zukunft bringen wird, wenn Organisationen wie die Vereinten Nationen, multinationale Medienkonzerne oder mit der Organisierten Kriminalität verbundene Terrororganisationen sich vollends der Kontrolle des Staates entzogen haben werden. Ob die Zukunft jedoch schlimmer wird als die Vergangenheit, bezweifelt der Autor, denn die "bislang größten Leistungen des Staates (waren) Hiroshima und Auschwitz", die nur die mächtigste Organisationsform und ein Musterbeispiel an bürokratischer Lenkung vollbringen konnten.

Ärgerlich ist Theo Rasehorns Portrait "Carl Schmitt – Philosoph oder Pirat?" Was er über den "einflußreichsten Staatsrechtslehrer dieses Jahrhunderts" (Ellen Kennedy) schreibt, ist von einer fast schon atemberaubenden Bosheit geprägt. Was Rasehorn z.B. zu Schmitts Theorie der "Völkerrechtlichen Großraumordnung" mitteilt, ist zudem schlichtweg falsch, denn diese war keineswegs deckungsgleich mit den äquivoken NS-Begriffen, wie die harsche Kritik von NS-Autoren wie Werner Best und Reinhard Höhn bewies. Und Schmitts sogenannter "Antisemitismus" stand nun einmal nicht in der Tradition der NS-Rassenlehre, sondern berief sich auf den christlichen Antijudaismus von Paulus und Augustinus. Auch unter der Leserschaft der Zeitschrift haben Rasehorns Invektiven zum Glück gehörige Proteste hervorgerufen.

Die jüngste Ausgabe des Blauen Reiter ist dem Thema "Sinn – Unsinn" gewidmet. Letztlich kommt man hier zu der Überzeugung, daß inzwischen ein Übermaß an Sinn herrscht, und daß der Sinn als Grundlage – frei nach Albert Camus – nichts taugt. Andererseits erfahre der Mensch erst Sinn durch den Feind, der den Spielraum eröffnet. Diese Existenzfrage bleibe niemandem erspart, auch wenn nur wenige zu diesem Eingeständnis bereit sind.

 

"Der blaue Reiter" erscheint zweimal jährlich. Omega Verlag Siegfried Reusch, Bönnigheimer Str. 34, 70435 Stuttgart. Jahresabo 39,80 DM, Einzelpreis DM 24,80


 
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