© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Literatur: Zum 60.Todestag von Joseph Roth
Am Verlust verzweifelt
Werner Olles

Joseph Roth wurde am 2. September 1894 in Schwabendorf bei Brody in Ostgalizien geboren. Seine Familie entstammte einem westlich und österreichisch orientierten Ostjudentum. Der Vater, der später im Wahnsinn enden sollte, war Getreideeinkäufer und Holzhändler und setzte sich noch vor der Geburt seines Sohnes nach kurzer Ehe auf einer Geschäftsreise ab. Ein paar Semester studierte Roth Germanistik an der Wiener Universität. Während der Wirren des Ersten Weltkrieges geriet er in russische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Ende des Krieges begann er in Wien als Journalist zu arbeiten, publizierte in den Feuilletons Wiener und Prager Zeitungen und wurde 1923 Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung.

Roths erste Werke als freier Schriftsteller erschienen bereits 1924: der Roman "Hotel Savoy" und "Die Rebellion". Wie auch in seinen folgenden Erzählungen und Essays "Der blinde Spiegel" (1925), "Juden auf Wanderschaft" (1926), "Die Flucht ohne Ende" (1927), "Zipper und sein Vater" (1928) und "Rechts und Links" (1929) spiegelt sich hier das Schicksal jener österreichischen Generation, die durch den Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie seelisch und geistig tief getroffen wurde und in der entgötterten Nachfolgewelt als Außenseiter, Verfolgte und Entwurzelte nicht mehr heimisch werden konnte.

Roths Erstlingswerke wollen jedoch in erster Linie als Ergebnisse genauer Beobachtungen und weniger als Dichtungen gewertet sein. Die immer wiederkehrenden Motive setzen sich mit der Empörung eines durch Herzenseinfalt gekennzeichnenden Kriegsopfers im hoffnungslosen Kampf mit der bürokratischen Staatsmaschinerie auseinander, mit der Entwurzelung der zur dauernden Heimatlosigkeit und Verlorenheit verdammten ehemaligen Soldaten, mit der Feindschaft und dem gegenseitigen Unverständnis zwischen der alten, sich ins Zeitalter der Sekurität zurücksehnenden und der jungen, völlig ungesicherten Generation und der Kritik an der zunehmenden Sinnlosigkeit von politischen Willensbildungen.

1930 bahnt sich eine Wende zum Religiösen in Roths dichterischem Schaffen an. In "Hiob", dem "Roman eines einfachen Mannes" hadert der ostjüdische Lehrer Mendel Singer ob seiner zahlreichen Heimsuchungen mit Gott, vermag aber letztlich doch den Sinn der ihm auferlegten schweren Prüfungen zu erkennen. Nach "Panoptikum" (1930) erscheint 1932 sein wohl bedeutendstes Werk: "Radetzkymarsch". Es ist eine wehmütige und liebevolle Erinnerung an den Glanz und Untergang der Habsburger Monarchie. Dennoch spart die Geschichte einer Kaiser Franz Joseph in drei Generationen dienenden Offiziers- und Beamtenfamilie nicht mit harter Kritik am Gewesenen, zeichnet jedoch zugleich ein umfassendes und objektives Bild des alten Österreich zwischen 1859 und 1914.

Roth verließ Deutschland bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Vorwiegend lebte er jetzt in Paris, wo er schon bald zum Mittelpunkt dortiger Emigrantenzirkel und zum polemischen Wortführer eines gegen Hitler gerichteten habsburgischen Legitimismus wurde. Auch in der Emigration schreibt er weiter Essays und Romane. 1934 erscheinen "Der Antichrist" und "Tarabas. Ein Gast auf dieser Erde", 1936 "Die Hundert Tage" und "Beichte eines Mörders", 1937 "Das falsche Gewicht".

In "Die Kapuzinergruft" (1938), der Fortsetzung von "Radetzkymarsch" macht der Dichter den Leser mit dem Lebensweg eines anderen Zweiges der Familie Trotta bis in die Zeit des "Anschlusses" bekannt.

Roths letztes Werk zu seinen Lebzeiten ist "Die Legende vom heiligen Trinker", ein von gottgefälliger und demütiger Bemühung um christlich-katholische Sinngebung erfülltes Buch, das man wohl auch als sein eigentliches Testament bezeichnen darf, obwohl die Erzählung "Der Leviathan" erst 1940, ein Jahr nach seinem Tod erschien. Der frühe – letztlich durch exzessiven Alkoholmißbrauch provozierte – Tod des Dichters in einem Armenhospital in Paris am 27. Mai 1939 im Alter von nur 44 Jahren war wohl in jeder Hinsicht eine gewollte Konsequenz seiner tiefen Verzweiflung über die Ausweglosigkeit der damaligen Situation und den Untergang einer Welt von sichtbar irdischer Schönheit.

Leid und Leiden der Untergehenden und Verzichtenden und die Trauer um das ewig entgleitende Glück begleiteten Joseph Roths Werk von Anbeginn an. Dennoch liegt gerade über seinen späten Schriften der versöhnliche Glanz einer Weisheit des geschliffenen Wortes. Von der Problematik seiner Zeit bestimmt, war Roth – weitgehend eingeformt in die eigene Welt – als Persönlichkeit und Dichter Zeuge und Zeugnis einer untergegangenen Epoche, die auf das Denken und die Haltung der Menschen eine tiefe Wirkung ausübte.

Der Inbegriff einer göttlich gewollten politischen Ordnung blieb für den Dichter bis zuletzt der habsburgische Legitimismus. Österreich verstand er nicht nur als Vaterland, sondern gleichsam als Religion und Weltanschauung. Seine Trauer über den Verlust der Donaumonarchie und sein Schrecken vor der drohenden Vermassung, der das triviale Bürgertum nichts entgegenzusetzen hatte, wurde in seiner ewigen Sehnsucht nach einer inneren Mitte deutlich, und heilte ihn letztlich von jenen linken Ideologien, mit denen er bis zu seinem Pariser Exil noch kokettiert hatte.

Leben und Werk des Dichters Joseph Roth legen jedoch auch Zeugnis ab vom Glanz und Elend der europäischen Kulturgeschichte und von einer unwiderruflich verschwundenen Welt, über die er in seinem Vorwort zum "Radetzkymarsch" schrieb: "Die Völker vergehn, die Reiche verwehn, (...) Aus dem Vergehenden, dem Verwehenden das Merkwürdige und zugleich das Mensch-Bezeichnende festzuhalten, ist die Pflicht des Schriftstellers."


 
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