© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Balkan: Im Schatten des Kosovo-Krieges blühen Drogenhandel, Terrorismus und Separatismus
Das großalbanische "Balkan-Medellin"
Michael Wiesberg

Drogen, Waffen und der Koran: Könnte dies die mörderische kriminelle Mischung in den nächsten Jahren sein?" fragte Roberto Ruscica am 15. Oktober 1998 in der in Mailand erscheinenden italienischen Tageszeitung Corriere della Sera. Ruscica thematisiert in seinem Artikel insbesondere die Machenschaften der albanischen Mafia und deren Finanzierung der sogenannten Kosovo-Befreiungsarmee UÇK.

Eine Spezialeinheit der italienischen Polizei unter der Leitung von Mario Mori hätte, so Ruscica, zutage gefördert, daß sich der Mailänder Drogenmarkt in den letzten drei Jahren dramatisch verändert habe. Bis etwa 1996 hätten sich die Drogengeschäfte in Mailand eindeutig in der Hand der Türken befunden. Diese seien skrupellose Drogenhändler gewesen, die alles getan hätten, um die Bosse der italienischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta zufriedenzustellen. 1996 hätten dann die Kosovo-Albaner, die die islamische Religion mit ihren türkischen Glaubensbrüdern teilten, ohne irgendwelches Blutvergießen die dominierende Rolle übernommen. Im Unterschied zu den Türken aber, so stellt Ruscica weiter fest, fielen die Albaner durch ein besonders aggressives Verhalten auf.

Abhörmaßnahmen der italienischen Polizei hätten darüber hinaus ergeben, daß die Albaner den Drogenhandel keineswegs nur aus Gründen der Selbstbereicherung betrieben. Sie sähen im Drogenhandel auch ein Mittel, das Christentum in Europa zu schwächen.

Marko Milivojevic stellt in einem Beitrag mit dem bezeichnenden Titel "Das Balkan-Medellin" für das englische Nachrichtenmagazin Jane's Intelligence Review am 1. Februar 1995 fest, daß der albanisch dominierte Teil West-Mazedoniens einen nicht unerheblichen Beitrag zum schrumpfenden Bruttosozialprodukt des Landes beitrage. Dieser Umstand habe die feindlichen Gefühle der Mazedonier gegenüber den ethnischen Albanern erheblich gesteigert, weil unter den Mazedoniern die Meinung vorherrsche, daß ein großer Teil des Reichtums der Albaner in Mazedonien aus albanischen Rauschgift- oder Waffengeschäften stamme. Obwohl der Umfang der kriminellen Geschäfte der Albaner umstritten sei, befördert laut Milivojevic die steigende ökonomische Bedeutung der Albaner die Umwandlung des südlichen Balkans in einen Hort der Kriminalität.

Liefen früher die Transportwege für Heroin aus der Türkei oder dem Kaukasus durch das ehemalige Jugoslawien, habe heute der Weg über das Schwarze Meer, Bulgarien, Mazedonien, Albanien und schließlich Italien diese Funktion eingenommen.

Als Liefergebiete kämen heute nach Angaben des Periodikums Defense & Foreign Affairs Strategic Policy vom 31. August 1994 Afghanistan, Kasachstan und Turkmenistan hinzu. In dem Beitrag wird weiter vermerkt, daß in und um die Stadt Shkoder in Albanien paramilitärische Einheiten der albanischen Drogenmafia präsent seien. Diese Einheiten seien besser bewaffnet als die albanische Armee.

Die albanische Regierung nimmt nach Milivojevic den Drogenhandel aufgrund weitgesteckter geostrategischer Ziele hin. Der Drogenhandel und die Unterstützung der UÇK durch die albanische Diaspora insbesondere in Westeuropa und den USA werden als Mittel gesehen, ein Groß-Albanien zu schaffen. Dieses Groß-Albanien diene als Ersatz für den kaum in Gang gekommenen ökonomischen und politischen Aufbau Albaniens. Viele Albaner sähen deshalb in einem Groß-Albanien den Schlüssel zu einer besseren Zukunft. Aufschlußreich ist auch folgender Hinweis Milivojevics: US-Regierungsbeamte wüßten sowohl von dem Waffen- und Heroinhandel der albanischen Mafia, mit dem die UÇK zum Teil finanziert wird. Sie ignorierten diese Fakten aber, weil das Heroin auf den westeuropäischen und nicht auf den US-Markt geliefert werde.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam bereits Yigal Chazan in einem Artikel für den Christian Science Monitor vom 20. Oktober 1994, in dem er feststellte, daß die Drogenzufuhr aus der Türkei und dem Kaukasus seit neuestem über den südlichen Balkan, genau über Bulgarien, Mazedonien und Albanien verlaufe. Die Drogen würden dann nach Italien, dem Tor zu den von den Albanern kontrollierten Heroinmärkten in der Schweiz und in Deutschland, verschifft. Diese Angaben verdanken sich Erkenntnissen des Observatoire Geopolitique des Drogues (OGD) in Paris, das den weltweiten Drogenhandel intensiv beobachtet.

Das Kosovo – Sitz eines mächtigen Drogenkartells

Chazan weist darauf hin, daß die UN-Blockade Serbiens im Norden und das griechische Embargo im Süden gegen Mazedonien während des Bosnienkrieges ein Geschenk für die albanische Drogenmafia gewesen sei. Diese habe den sich darauf intensivierenden LKW-Verkehr vom Schwarzen Meer zur Adriatinischen Küste für ihre Zwecke ausgenutzt.

Diese Entwicklung habe, so der bereits angesprochene Milivojevic, die albanische Mafia im hohen Maße gestärkt, die nun etwa 70 Prozent des deutschen und des schweizerischen Heroinmarktes kontrolliere. Diese Erkenntnisse sind freilich nicht neu. In einem Artikel vom 14. November 1993 verwies William Drodziak in der Washington Post auf Pierre Duc, den Chef einer Drogenfahndungskommission in der Schweiz. Dieser stellte damals bereits fest, daß die ethnischen Albaner aus der jugoslawischen Provinz Kosovo 70 Prozent des Schweizer Drogenmarktes kontrollierten. Nahezu 2.000 Albaner hätten zum damaligen Zeitpunkt wegen Drogenvergehen im Gefängnis gesessen. Duc wird von Drodziak wie folgt zitiert: Die Situation sei aus der Kontrolle geraten.

Chazan weist weiter darauf hin, daß die Polizei in Westeuropa die Befürchtung hege, daß die ohnehin schon mächtige albanische Mafia weiter gestärkt werde. Deren Tentakel, so Chazan, erstreckten sich derweil von Europa bis hin zur amerikanischen Ostküste. Mehr und mehr arbeitet die albanische Mafia bei ihren Geschäften mit der sizilianischen Mafia zusammen. Darüber hinaus profitiert sie nach den Ausführungen von Chazan von der großen Zahl von emigrierten Kosovo-Albanern, die inzwischen in den Staaten Westeuropas lebten. Diese seien einmal ein idealer Schutz und zum anderen eine nützliche Einkommensquelle für albanische Verbrecher.

Darauf verweist auch Vladimir Alexe in einem Bericht für Romania Liberia. Er spricht den engen Kontakt zwischen der albanischen, insbesondere der kosovo-albanischen Mafia mit den Albanern in Europa und den USA an. Der Kosovo sei, so Alexe, der Sitz eines der mächtigsten Drogenkartelle der Welt. Alexe meint konkret das Camilla-Drogenkartell, das den Drogenhandel im westlichen Europa kontrolliert.

Ein großer Teil der Gewinne dieses Kartells gehe, so Alexe, direkt in die Finanzierung der Untergrundarmee UÇK. Einige Kosovo-Albaner arbeiteten darüber hinaus mit türkischen Kurden zusammen. Alexe beantwortet die Frage, wohin die Millionen von D-Mark, die die Albaner mit Drogenhandel verdienten, flössen, mit dem Hinweis auf die UÇK. Aber auch die kurdische Arbeiterpartei PKK scheint von dem albanischen Drogengeld zu partizipieren.

Aufgrund ihrer Großfamilien, so Marko Milivojevic, die miteinander in Allianzen verbunden sind, dominierten die Kosovo-Albaner die albanische Mafia auf dem südlichen Balkan. Anders als die Kosovo-Albaner sei die albanische Mafia darüber hinaus im nördlichen Albanien und im westlichen Mazedonien aktiv. Das "Balkan-Medellin" ist aus der Sicht Milivojevics durch folgende geographische Stützpunkt miteinander verbunden: Veliki Trnovac und Blastica in Serbien, Vratnica in Mazedonien sowie Gostivar in Albanien. Stark repräsentiert sei die albanische Mafia darüber hinaus in Pristina, der Provinzhauptstadt des Kosovo, in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens, in Shkoder, der zweitgrößten Stadt Albaniens sowie Durres, dem bedeutendsten albanischen Hafen, der gleichzeitig die direkte Seeverbindung nach Italien darstellt.

Korruption, Armut und eine schlecht ausgerüstete Polizei begünstigten den Aufstieg der albanischen Mafia auf dem südlichen Balkan. Diese Verhältnisse ermöglichten auch das Wiederaufflammen archaischer Rechtsvorstellungen wie der Blutrache, über die Owen Bowcott für die englische Zeitung The Guardian am 30. September 1998 berichtete. Laut Bowcott erlebt die Blutrache im nördlichen Albanien derzeit eine Wiedergeburt. Der im 15. Jahrhundert eingeführte "kanun" (etwa: "code"), der die Blutrache zum Zwecke der Wiederherstellung der Familienehre einschränkte, werde heute nicht mehr respektiert. Doch damit nicht genug: Ein "Komitee für die Blutrache" versuche die Regierung zu nötigen, die Regeln der Blutrache zu legalisieren.

Albanische Mafia könnte bald Staaten kontrollieren

Anthony M. DeStefano merkte bereits im Wall Street Journal vom 9. September 1985 an, daß es in Jugoslawien seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als 800 Todesopfer aufgrund von Blutrachedelikten gegeben habe, die allesamt durch Albaner verübt worden seien. Einige Fälle von Blutrache habe es sogar in New York gegeben.

In Mazedonien ist der Drogenhandel bereits völlig aus der Kontrolle geraten. Die mazedonische Polizei sah sich deshalb kürzlich gezwungen, die Amtshilfe der italienischen Polizei in Anspruch zu nehmen. Wenn die Entwicklung so weitergehe, resümiert zum Beispiel Milivojevic, dann könnte der albanische Rauschgifthandel zu kolumbianischen Verhältnissen auf dem südlichen Balkan führen. Die albanische Mafia könnte mächtig genug werden, um einen oder sogar mehrere Staaten in der Region zu kontrollieren. Von Albaniens Staatspräsidenten Sali Berisha wird bereits gemutmaßt, daß er auf die eine oder andere Weise von den Rauschgiftgeschäften profitiere. Ähnliches wird im Hinblick auf die ethnisch-albanischen Parteien NDP (Nationaldemokratische Partei) oder PDP (Demokratische Wohlfahrtspartei) in Mazedonien gemutmaßt.

Im laufenden Kosovokrieg dient der Drogenhandel – wie bereits angesprochen – auch der Finanzierung des Krieges der UÇK. Alexe zitiert in seinem Beitrag eine Untersuchung der Europäischen Union über die Verteilungsnetze des Drogenschmuggels aus dem Jahre 1994, in deren Mittelpunkt die albanischen Drogenschmuggler aus dem Kosovo und Mazedonien stehen, die geschmuggelte Waffen mit Heroin oder D-Mark bezahlten. Die Waffen würden an die separatistischen Terroristen der UÇK weitergeleitet, die für eine Unabhängigkeit des Kosovo von Jugoslawiens kämpften. Der Bericht der EU stellt fest, daß die Drogenmärkte in Deutschland, der Schweiz, Italien und Griechenland insbesondere von drei Zentren aus beliefert werden: Pristina (Kosovo), Skopje (Mazedonien) und Shkoder (Albanien).

Kosovo und Mazedonien spielen eine Schlüsselrolle

Vorrangig in Deutschland, so berichtete Barry James bereits in The International Herald Tribune vom 6. Juni 1994, konkurrierten die Albaner mit türkischen Drogenhändlern, wobei die Albaner mehr und mehr Vorteile für sich verbuchen könnten. Zum einen seien sie der Polizei weniger bekannt und zum anderen kooperierten sie mit der georgischen und der aserbeidschanischen Mafia, die den Türken mißtrauten.

Alexe merkt in seinem Beitrag an, daß der albanische Terrorismus und Separatismus eine geostrategische und politische Dimension verdecke, derer sich nur wenige bewußt seien. In der Wahrnehmung der führenden Weltmächte nehme der Balkan eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die Stabilität oder Instabilität Europas ein. Kosovo und Mazedonien spielten eine Schlüsselrolle für die Stabilität auf dem Balkan.

In diesem Zusammenhang kommt Alexe darauf zu sprechen, daß die Terroraktivitäten der UÇK viel länger zurückreichten, als gemeinhin angenommen werde. Die ersten Terrorakte fanden bereits 1991 statt. Opfer waren entweder gesetzestreue Zivilisten oder Kosovo-Albaner, die die Aktionen der UÇK nicht unterstützen wollten. Ziel der UÇK sei nicht nur die Unabhängigkeit des Kosovo von Jugoslawien, sondern das, was in den westlichen Medien insbesondere dem jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic vorgeworfen wird: die ethnische Säuberung des Kosovo.

Die Bedeutung des Kosovo liegt aus der Sicht von Alexe in folgender Gleichung: Die Provinz sei der Schlüssel für die Stabilität auf dem Balkan, und der Balkan wiederum sei der Schlüssel für die Stabilität in ganz Europa. Der Besitz dieser Schlüssel oder der Einfluß aus denselben sei deshalb ein lohnendes geostrategisches Ziel. Zur Zeit sieht es ganz danach aus, als sollten sich die Amerikaner dieser Schlüssel bemächtigen – unter tatkräftiger Mithilfe der europäischen Nato-Partner.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen