© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Reparationen: Die Salven des Ersten Weltkrieges sind noch vernehmbar
Offene Rechnungen von 1921
Werner H. Krause

Gegenwärtig sieht sich Deutschland ständig mit neuen finanziellen Forderungen konfrontiert, die mit Geschehnissen des 54 Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkrieges begründet werden. Viele Printmedien beschränken sich in ihrer Berichterstattung hierüber auf kurze Informationen, fast selbstverständlich mutet es offenbar an, daß Deutschland der Zahlmeister vom Dienst ist.

Weitgehend unbekannt oder zumindest in Vergessenheit geraten sein dürfte, daß die Bundesrepublik auch noch heute Zahlungen leistet, die auf Reparationsforderungen des Ersten Weltkrieges beruhen und sich an die Adresse der Weimarer Republik richteten.

Es bedarf schon eines kleinen historischen Exkurses, um zu verstehen, was jedoch nicht gleichzeitig begreifen heißt, warum Deutschland nach nunmehr 81 Jahren, die seit Ende des Ersten Weltkrieges vergangen sind, noch immer zur Ader gelassen wird.

Im sogenannten Versailler Friedensvertrag vom 28. Juni 1919 waren seinerzeit Gesamthöhe und Dauer der Reparationsleistungen nicht festgelegt worden. Der entsprechende Passus hierzu lautete, daß dies zu einem späteren Zeitpunkt durch eine zu bildende Reparationskommission zu geschehen habe.

1921 kam es zu dem sogenannten Londoner Ultimatum, mit welchem die Ententemächte Deutschland zur Anerkennung von Reparationsschulden in einer Gesamthöhe von 138 Milliarden Goldmark zwangen. Sie sollten in Jahressätzen zu jeweils zwei Milliarden Goldmark getilgt werden, wobei neben den Geld- auch Sachleistungen wie beispielsweise Kohlelieferungen nach Frankreich vorgesehen waren.

Forderungen in Höhe von 138 Milliarden Goldmark

Die wirtschaftlichen Lasten der Reparationsforderungen stellten für die Weimarer Republik eine Bürde dar, der sie sich in keinster Weise gewachsen zeigte und die deshalb den Prozeß ihres Niederganges beschleunigte. Als beispielsweise die Kohlelieferungen an Frankreich geringfügig unterschritten wurden, führte dies am 10. Januar 1923 zur französischen Besetzung des Ruhrgebietes. Da man jedoch bekanntlich einem nackten Mann nicht in die Taschen greifen kann, suchten die Alliierten nach einem Ausweg, der allerdings in erster Linie der Sicherung ihrer Interessen dienen sollte und weit weniger mit Einsicht in die schwere deutsche Wirtschaftssituation zu tun hatte.

Niemand war auf Seiten der Siegermächte gewillt, sich einzugestehen, daß die Deutschen angesichts der überzogenen Reparationskosten einem Abgrund entgegentaumelten. Am 16. August 1924 wurde auf Veranlassung der USA das sogenannte Dawes-Abkommen abgeschlossen, was nunmehr für 1924/25 eine Senkung der Reparationsraten auf eine Milliarde Goldmark jährlich bestimmte. Die Gesamthöhe der Reparationen wurde indessen nicht gesenkt.

Bis zum Jahre 1929 kam die Weimarer Republik ihren Zahlungsverpflichtungen im wesentlichen nach, sah sich jedoch genötigt, die Hilfe ausländischer Kapitalgeber in Anspruch zu nehmen, was wiederum zu einer jährlichen Zinsbelastung in Höhe von 1,5 Milliarden Reichsmark führte. Deutschland war in einen Teufelskreis geraten, aus dem es keinen Ausweg mehr fand.

Nachdem der Dawes-Plan nicht mehr funktionierte, wurde er durch den Young-Plan abgelöst. Danach wurden nun die Zahlungen der deutschen Reparationsleistungen auf 59 Jahresraten zu je zwei Milliarden Reichsmark festgesetzt. Das Krisenjahr 1930/31, die Kündigung von Auslandskrediten, ein starker Gold- und Devisenabfluß erschütterten das Gefüge der deutschen Wirtschaft derart, daß Deutschland sich nicht mehr imstande sah, überhaupt noch Reparationsleistungen zu tätigen.

Im Juni 1931 lockerte das sogenannte Hoover-Moratorium die Hand an der Kehle des "Verröchelnden". Die Reparationszahlungen wurden zunächst für ein Jahr ausgesetzt. In dem am 9. Juli 1931 in Lausanne geschlossenen Abkommen wurde nunmehr nur noch auf eine Restschuld in Höhe von drei Milliarden Reichsmark bestanden, die von Deutschland jedoch nicht mehr beglichen wurde.

Was die gesamte Reparationsforderung von 138 Milliarden Goldmark anging, erfüllte sie Deutschland nach alliierten Berechnungen mit 21,8 Milliarden Mark, während in deutschen Berechnungen von 67,7 Milliarden Mark ausgegangen wird, was mit der unterschiedlichen Bewertung von Sachlieferungen zu tun hat.

Zahlungsaufschub erlosch nach Wiedervereinigung

Doch Deutschland ist noch immer nicht aus dem Schneider. Um den Reparationszahlungen des Ersten Weltkrieges nachkommen zu können, hatte sich damals das Deutsch Reich zur Aufnahme verschiedener Anleihen, so beispielsweise von dem schwedischen Zündholzkönig Ivar Kreuger (1930) veranlaßt gesehen. Hiermit schwappt die unendliche Geschichte in die Neuzeit über. Vom 28. Februar bis zum 8. August 1952 fand in London eine Konferenz statt, deren Gegenstand die Regelung der deutschen Vorkriegsschulden war. Diese Regelung, so ließ auf Anfragen beim Bundesfinanzministerium der zuständige Referent Hammerschlag wissen, "war rechtlich und ökonomisch eng verknüpft mit dem Abkommen der drei Westalliierten über die Nachkriegswirtschaftshilfe an Westdeutschland".

Rund 22 Gläubigerstaaten waren bei der Londoner Konferenz vertreten. Es kam zu einem Abkommen über die deutschen Vorkriegsschulden (Bundesgesetzblatt 1953 II S. 331). Bis zum Jahre 1980, so war weiter aus dem Bundesfinanzministerium zu erfahren, entsprach die Bundesregierung Deutschland wie folgt dem Londoner Schuldenabkommen: Es wurden 990 Millionen DM an die Inhaber von Bonds der ehemaligen Young-Anleihe gezahlt. Für die Besitzer von Bonds aus der Dawes-Anleihe entrichtete die Bundesregierung 341 Millionen Mark und für solche der Kreuger-Anleihe 200 Millionen Mark.

Offen sind nach dem heutigen Stand noch die Zinsrückstände aus den Jahren 1945 bis 1952 und zwar in Höhe von 40,2 Millionen Mark (Dawes-Anleihe) 175,8 MillionenMark (Young-Anleihe) sowie 23,4 Millionen Mark (Kreuger-Anleihe).

Immer noch zahlen wir für Zins und Tilgung

Da jeder Politthriller zum Schluß noch mit einem Knalleffekt die Nerven zum Vibrieren bringt, bildet auch dieser keine Ausnahme. Im Londoner Schuldenabkommen wurde die Entscheidung über die Zinsrückstände mit Rücksicht auf die Gebietsverluste Deutschlands bis zur Wiedervereinigung zurückgestellt. Mit dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 traten prompt die Voraussetzungen des Artikels 25 Buchstabe a über die "Bedienung" der Zinsrückstände aus den vorgenannten Anleihen in Kraft.

Zur Begleichung der Zinsrückstände wurden sogenannte Fundierungsschuldsscheine mit einer Laufzeit von 20 Jahren ausgegeben. 1997 leistete die Bundesrepublik Deutschland hierauf eine Zinszahlung von 6,9 Millionen Mark sowie eine Tilgung von 3,3 Millionen Mark. Die Salven des Ersten Weltkriegs sind noch immer am Rhein zu vernehmen.


 
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