© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Kosovo: Das Balkan-Abenteuer endet im Fiasko und kommt Europa teuer zu stehen
Pyrrhussieg der Nato
Michael Wiesberg

Ganz gleich, wie und wann der Krieg der Nato gegen Jugoslawien zu Ende gehen wird: er wird mit einem Pyrrhussieg enden. Das wissen auch die jugoslawischen Militärs, die gegenüber der Nato darauf drängen, daß zumindest Polizeikontingente im Kosovo verbleiben. Die Nato besteht aber auf einer vollständigen Räumung und stößt auf diese Weise das Tor für die Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) ganz weit auf. Die Folgen sind absehbar: Auf die Bedrängung der Kosovo-Albaner durch die Serben wird die Bedrängung der Nicht-Albaner und derjenigen Albaner, die sich gegenüber Belgrad loyal verhalten haben, folgen. Zudem muß mit Auseinandersetzungen zwischen rivialisierenden Gruppen innerhalb der UÇK sowie mit Racheakten einmal zwischen den Albanern selber und gegen die serbische Minorität im Kosovo gerechnet werden.

Die Nato hat versprochen, daß alle Kosovo-Albaner, die vertrieben worden sind, in sichere Verhältnisse zurückkehren werden können. Von sicheren Verhältnissen für Nicht-Albaner oder albanischen Gegnern der UÇK war bisher seitens der Nato aber nicht die Rede. Da aber serbische Polizeikontingente nicht mehr im Kosovo geduldet werden und die Nato-Einheiten nicht als aktiv handelnde Polizei gegenüber der UÇK eingesetzt werden sollen, ergibt sich die Frage, wie die Ordnung im Kosovo hergestellt werden soll. Welch aberwitzige Vorstellungen in diesem Zusammenhang auf Seiten der "westlichen Staatengemeinschaft" herrschen, zeigt eine Einlassung der amerikanischen Außenministerin Albright. Sie will allen Ernstes UÇK-Guerillas für eine neue Polizeitruppe im Kosovo einsetzen.

Die Konsequenz dieses Planes wird ein erneuter Exodus sein. Diesmal wird die serbische Minorität im Kosovo ihre Heimat verlassen, womit die islamischen Fanatiker innerhalb der UÇK ihr Ziel erreicht hätten: ein "gesäubertes Kosovo", geschaffen unter den Augen einer wie auch immer gearteten "Internationalen Friedenstruppe". Daß im Gefolge der Serben auch die anderen ethnischen Minoritäten wie Zigeuner, Türken u.a. folgen werden, ist dann nur noch eine Frage der Zeit.

Die UÇK hat signalisiert, daß sie überhaupt nicht daran denkt, sich entwaffnen zu lassen. Auch dies ist die Nato bereit hinzunehmen. US-Verteidigungsminister William Cohen hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die UÇK zwar "entmilitarisiert", nicht aber "entwaffnet" werden solle. Cohen spricht von einer Organisation, die seit 1991 einen traurigen Rekord von Morden aufgestellt hat und die die USA selber bis weit in das Jahr 1998 hinein als "terroristische Organisation" geführt hat.

Führende Nato-Kreise sind sich der Gefahren, die ein vollständiger Abzug der Serben aus dem Kosovo mit sich bringen werden, durchaus bewußt. So berichtete Jerry Seper, in einem Artikel in der Washington Times vom 4. Juni unter Verwendung von nachrichtendienstlichem Material der Nato, daß der Nato bekannt sei, daß die UÇK ihren Krieg mit dem Geld der Heroin-Mafia finanziere. Wenn die Mikrophone abgeschaltet seien, so Seper, sei bei einigen Nato-Offiziellen durchaus Unsicherheit darüber zu verspüren, ob die Nato im Kampf um "multikulturelle Toleranz" wirklich der richtigen Partei den Rücken stärke.

Ähnlich sehen es Philip Smucker und Tim Butcher in einem Artikel für die englische Zeitung The Telegraph vom 6. Juni: Nato-Planer hätten Angst vor einem systematischen Rückzug aller serbischen Einheiten, weil sie Racheakte der UÇK an der serbischen Minorität fürchteten. Die Kommadostruktur der UÇK sei schwach und zerstritten, so daß Übergriffe nicht auszuschließen seien. Ob mit oder ohne Milosevic, die Konflikte in Jugoslawien werden anhalten.

Von einem Sieg kann überhaupt keine Rede sein. Schon gar nicht für die Steuerzahler der beteiligten europäischen Nato-Staaten. Denn die Regierung Clinton hat bereits klar gemacht, daß die Europäer – und hier insbesondere die Deutschen – die Hauptlast für den Wiederaufbau des südlichen Balkans zu tragen haben werden. Die Kosten, die bisher für den Wiederaufbau hochgerechnet worden sind, liegen zwischen 50 und 60 Milliarden Mark. Dazu kommen die Kosten für die sogenannte "Friedenstruppe", die auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus im Kosovo als "Puffer" benötigt wird. Ein schöner Sieg, den sich da das "mächtigste Militärbündnis der Welt" auf seine Fahnen heftet.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen