© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Europa: Für eine eigenständige Sicherheitspolitik
Keine Vasallen!
Andreas Mölzer

Wer das weltpolitische Geschehen rund um den Kosovo-Krieg betrachtet, muß erkennen, daß die dominante, ja sogar allein bestimmende Kraft dabei die USA sind. Wir Europäer, die wir uns so viel auf unsere Integration und unsere Wirtschaftskraft zugute halten, spielen militärisch und damit weltpolitisch nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Ja, wir dürfen nicht einmal im eigenen Haus – und dazu gehört schließlich auch der Balkan – für Ordnung sorgen. Der große transatlantische Partner, der wohl eher eine Art politischer Vormund ist, sagt uns, wo’s langgeht.

Es blieb dem früheren amerikanischen Sicherheitsberater Brzezinski vorbehalten, in seinem jüngsten Buch "Die einzige Weltmacht" klarzustellen, wie die Dinge diesbezüglich wirklich liegen: "Tatsache ist schlicht und einfach, daß Westeuropa und zunehmend Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern. Das ist kein gesunder Zustand, weder für Amerika noch für die europäischen Nationen."

Dies mag nun überspitzt formuliert sein, es trifft dennoch den Kern des Problems. Die Europäer sind bis heute nicht in der Lage, ein gemeinsames sicherheitspolitisches Konzept zu entwickeln und damit zumindest im eigenen geopolitischen Umfeld machtpolitisch mit einer Stimme aufzutreten.

Noch schlimmer aber ist, daß zu dieser militär- und machtpolitischen Vormundschaft ein geistig kultureller US-amerikanischer Kolonialismus kommt. Der "American way of life" hat Europa in einem Ausmaß erfaßt, welches europäische Eigenständigkeit im kulturellen Sinne, insbesondere die Eigenheiten der historisch gewachsenen europäischen Völker zu überlagern droht. Die Alltagskultur von der Musik, die aus den Rundfunkgeräten dudelt, bis zu den Unterhaltungsfilmen im Fernsehen, von der Kleidung bis hin zu den Automobilen, und schließlich ganz zentral die Umgangssprache werden zunehmend von US-amerikanischen Mustern dominiert. Dazu kommt eine Amerikanisierung der Politik, in der Showelemente und der Lobbyismus von Wirtschaftskonzernen in immer höherem Maße in den Vordergrund treten.

So hat sich also im Verhältnis zwischen den USA und Europa alles ins Gegenteil verwandelt: Während früher europäische Sprache und Kultur, europäische Gesittung und Lebensart in die USA exportiert wurden, nimmt nunmehr die Alte Welt diese trivialisiert und nivelliert als amerikanische Lebensart zurück.

Dazu kommt dann die machtpolitische Quasi-Hegemonie, die die USA über Europa ausüben. Brzezinski hat recht, wenn er diesen Zustand als ungesund für beide Seiten bezeichnet, da auf Dauer Amerikas Politik auf Erhaltung einer weltweiten Vormacht und seine Position als Weltpolizist mit einem wirklichen europäischen Selbstbewußtsein unvereinbar sind. Die oft gehörte schöne Worthülse von der "partnership in leadership" in Hinblick auf das amerikanisch-europäische Verhältnis könnte nur Realität werden, wenn die Europäer im neuen Jahrhundert ein neues Selbstbewußtsein und einen neuen geopolitischen Gestaltungswillen gewinnen – auch gegen die USA.

Ein solches neues europäisches Selbstbewußtsein hängt ganz zentral mit einer gemeinsamen europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zusammen. Wenn nunmehr die WEU mit der Europäischen Union verschmolzen wird, ist dies zwar ein richtiger Schritt. Eine Deckungsgleichheit dieser WEU mit den europäischen Nato-Mitgliedern allein aber wäre zu wenig, da die Nato ja dann nach wie vor unter US-Dominanz bliebe. Tatsache ist allerdings, daß die Nato das einzige wirklich existente Militärbündnis im europäischen Bereich ist. Die Lösung wäre also eine Europäisierung der Nato. Die europäischen Nato-Staaten, insbesondere Briten, Deutsche, Italiener und Franzosen müßten für den geopolitischen Bereich des alten Kontinents eine selbständigere Führungsrolle einnehmen und im Bereich der europäischen Interessen und Belange die USA an den Rand drängen. Erst dann wären die US-Amerikaner Partner des neuen Europas und nicht dessen Herren.

 

Andreas Mölzer ist Berater von Jörg Haider in Kärnten und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit"


 
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