© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Hennig Scherf
Kühler Koalitionär
von Alexander Schmidt

Auch der weiterhin amtierende und von den Wählern jetzt bestätigte Bürgermeister der Stadt Bremen kann dem verlockenden Geruch der Macht nicht widerstehen und kommt nicht von ihr los. Sein Bestreben, nun die "große Koalition" beizubehalten, obwohl eine der Bundesregierung genehme rot-grüne Zusammenarbeit in der Bürgerschaft rechnerisch möglich wäre, kennzeichnet Machtinstinkt und Wendung des Norddeutschen.

Immerhin war der Name Henning Scherf schon 1995 mit im Spiel, als konservative SPD-Mitglieder aus Protest gegen die Linie der Partei die Wählervereinigung "Arbeit für Bremen" neu gründeten. Und auch schon vorher war der charismatische Zwei-Meter-Mann als linker "Bürgerschreck" bekannt, denn für den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan wünschte er den Krebstod herbei, und in seinem Engagement gegen den Nato-Doppelbeschluß und die Stationierung von Pershing-II-Raketen im Nachkriegsdeutschland fand er nicht die ungeteilte Zustimmung seiner Genossen. So waren die Jahre vor der Macht deutlich bestimmt von sozialdemokratischem Fundamentalismus.

Von anderen wurde er aus diesen Gründen als der "Vorzeigesozi" – dem Kampf der Arbeiterklasse verpflichtet – gesehen, der aus einem traditionell evangelischen Elternhaus einen linken Protestantismus vertrat. Noch in der Frage des "Großen Lauschangriffes" hatte Scherf angedroht, gegen die eigene Fraktion zu stimmen, um die Gesetzesänderung abzuwenden.

Es kann schließlich auch ein Stück dem Charme Scherfs zugeschrieben werden, daß er 1995 zum neuen Bürgermeister gewählt wurde. Affären wie die"Medienrazzia" im darauffolgenden Jahr oder die Schwarzgeldaffäre und Vorwürfe der Untreue in den vorausgegangenen Jahren prallten an ihm ab.

Seit dem er den Platz im Bürgermeistersessel einnahm, ist nicht viel vom Revoluzzer in ihm geblieben. Statt dessen privatisierte er in der großen Koalition, die vorher von ihm abgelehnt wurde, Stadtwerke und Müllabfuhr, baute öffentliche Leistungen ab und setzte die Lehrerstunden herauf.

Sein Erfolg: Das Wirtschaftswachstum Bremens liegt an der Spitze der deutschen Bundesländer. Nun wird ihm von links vorgeworfen, er nehme eine "technokratische Charaktermaske" an. Das störte Scherf bisher wenig, im Wahlkampf noch weniger. Offensiv bat er die Wähler darum, ihm eine rot-grüne Koalition für Bremen zu ersparen. Stattdessen wolle er mit Hartmut Perschau in Bremen weiterregieren. Erfolgreich, bei der Bürgerschaftswahl in Bremen wurde die Doppelspitze bestätigt, und so bleibt für den kontaktfreudigen Scherf auch weiterhin etwas Zeit, den Dienstwagen stehen zu lassen, um mit dem Fahrad durch Bremens Fußgängerzonen zu radeln.


 
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