© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Europa: Der CDU-Abgeordnete Christoph Konrad über eine gemeinsame Sicherheitspolitik
"Wir brauchen eigene Streitkräfte"
Karl-Peter Gerigk

Herr Dr. Konrad, Sie sind Mitglied im Ausschuß für Sicherheit und Abrüstung des Europäischen Parlaments. Wenn man an die militärischen Konflikte in Europa in den letzten Jahren denkt, müssen Sie da nicht eine eigenständige militärische Handlungsfähigkeit Europas befürworten, wie sie auf dem EU-Gipfel in Köln in Angriff genommen wurde?

Konrad: Ich glaube, daß der Kosovo-Konflikt sehr deutlich macht, daß wir in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ein großes Defizit haben. Dieser Konflikt besteht schon seit zehn Jahren. Ich habe seit 1994, seitdem ich im Europa-Parlament bin und in diesem Ausschuß arbeite, erlebt, daß die GASP noch keine gemeinsame Politik ist. Es existieren noch immer die nationalen Außenpolitiken nebeneinander. Man muß nur in bezug auf Bosnien und Kroatien an die französische und britische Haltung in der Vergangenheit denken. Es zeigt die Notwendigkeit der besseren Abstimmung gerade in der Sicherheitspolitik. Nur darf dies nicht als eine Gegenbewegung zu den atlantischen Bindungen gesehen werden.

Brauchen wir die USA noch in Europa, wenn wir die Europäische Verteidigungsunion ausbauen?

Konrad: Ich bin dafür, daß die WEU ausgebaut wird, da wir die Möglichkeit einkalkulieren müssen, daß in der Außenpolitik nicht auf den militärischen Zwang verzichtet werden kann, wie die Lage in Ex-Jugoslawien zeigt. Dies gilt auch für friedenserhaltende Maßnahmen und weitergehend für friedensschaffende Maßnahmen im Rahmen von UN-Mandaten. Darum brauchen wir eine starke WEU als militärische Komponente – allerdings unter dem Dach der Nato. Ich bin nicht der Überzeugung, daß wir noch einmal in der Lage sind, ein eigenes Satellitensystem aufbauen zu können. Dies ist eher unrealistisch.

Weil es zu teuer ist?

Konrad: Das ist sicherlich eine Kostenfrage, eine Kapazitätsfrage und auch eine Frage des gemeinsamen Wollens. Wir sehen hier in der Europäischen Union auch einen sehr differenzierten Blick auf diese Frage. Hier kann nicht nur die deutsche und französische Sichtweise ausschlaggebend sein. Ja, ich denke, die USA müssen eine europäische Macht bleiben. Aber wichtig ist auch, daß die Nato ein Verteidigungsbündnis ist. Sie ist keine Organisation, die weltweit agieren sollte. Wir müssen hier zu Überlegungen kommen, wie die Nato anders konzipiert werden kann. Die WEU sollte eine Komponente der europäischen Außenpolitik sein, sie sollte sich allerdings auch darauf beschränken. Ich halte ein weltweites Engagement der Europäer durch die WEU nicht für gut. Wir müssen in unserem Bereich als Europäische Union Außen- und Sicherheitspolitik für und in Europa gestalten.

Die WEU ist zur Zeit noch ein Papiertiger, und die Frage des Einsatzes der Soldaten ist eine nationale. Denken Sie, man kann dies zu einer europäischen Frage machen, etwa durch die Schaffung einer freiwilligen europäischen Einsatztruppe?

Konrad: Ich denke, daß die Frage des Militäreinsatzes immer auch eine nationale ist und bleiben wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir auf der europäischen Ebene in Brüssel oder Straßburg für alle verbindlich militärische Maßnahmen beschließen könnten. Ich glaube, daß dies letztlich nur auf freiwilliger Basis geschehen kann. Aber wir sehen ja an der Nato, daß Staaten gemeinsam handeln können. Insofern "ja" zur WEU – aber auch einen Ausbau von Strukturen, wie sie mit dem Euro-Korps begonnen wurden. Das Euro-Korps gehört zu den der WEU unterstehenden Einsatzstreitkräften und kann als solches im Rahmen der WEU oder der Nato tätig werden und für humanitäre Missionen, Evakuierungsmaßnahmen sowie Aufgaben der Wiederherstellung und Erhaltung des Friedens im Auftrag der Vereinten Nationen oder der OSZE eingesetzt werden.Wenn man sich zum Beispiel die deutsch-französischen Brigade in Mühlheim unter dem Dach des Euro-Korps ansieht, merkt man, daß dies ja auch ganz praktisch möglich ist. Dies wäre sicherlich ein großer Gewinn für die Europäische Union.

Wäre es nicht auch industriepolitisch sinnvoll, von den USA militärisch unabhängig zu werden, wenn man an die Verquickung ziviler Produktion und Staatsaufwendungen für die Forschung und Entwicklung von Militärgütern denkt?

Konrad: Ich denke hierbei an meine französischen Freunde im Europäischen Parlament, die gerade mit Blick auf die Industriepolitik in dieser Frage sehr engagiert sind. Überall da, wo wir ein Plus mit sinnvollen europäischen Projekten organisieren können, sollten wir das tun. Denn dann ist es auch auf europäische Belange zugeschnitten, ob es sich um Panzerfahrzeuge, Helikopter oder Jets handelt. Ich denke, wir haben hierfür mittlerweile schon den richtigen Blick. Aber wir sollten dies nicht als ein Muß oder als Antagonismus zu den USA sehen. Wenn wir zum Beispiel ein Transportflugzeug brauchen, warum sollte dies nicht auch ein amerikanisches Modell oder eine russische Antonov sein können? Wir müssen da flexibel bleiben und den Markt mitentscheiden lassen.

Rußland – können Sie sich vorstellen, dieses Land, daß ja zum großen Teil asiatisch ist, näher an Europa heranzuführen?

Konrad: Ich halte einen Beitritt Rußlands in die EU, auch in Teilbereichen, nicht für denkbar. Das Land ist einfach zu groß, als daß es in eine Organisation wie die EU hineinpaßt. Aber sicherlich muß Rußland in eine europäische Friedensordnung miteinbezogen werden. Es ist notwendig, hier Strukturen zu schaffen und auszubauen, wie dies mit dem atlantischen Partnerschaftsrat, dem Europarat oder der OSZE begonnen wurde. Da gehören die Russen natürlich mit hinein.

Wie wollen Sie und die Christdemokraten die Wähler am Sonntag zu den Urnen bringen und sie überzeugen, Ihnen die Stimme zu geben?

Konrad: Diese Europawahl ist die wichtigste, die wir jemals hatten. Wir müssen den Menschen sagen, daß wir nicht den Nationalstaat in Kopie auf europäischer Ebene installieren können und wollen. Wir wollen nur Politikbereiche dort unterbringen, wo sie besser zu bewerkstelligen sind. Das ist zum einen die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch die Umweltpolitik kann hier effektiv angesiedelt werden. Das gleiche gilt für die Innere Sicherheit in bezug auf die internationale und organisierte Kriminalität. Ich kann mir gut vorstellen, daß in Zukunft auch Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit auf europäischer Ebene federführend geregelt werden. Aber ich bin gegen eine Harmonisierung der europäischen Beschäftigungspolitik von Stockholm bis Palermo, gegen eine einheitliche Sozialpolitik, auch gegen eine Harmonisierung der Steuerpolitik. Ich bin für Wettbewerb in Europa, und dies ist ein Gegenmodell zur sozialdemokratischen Sichtweise, die Konkurrenz aus der Gesellschaft herauszunehmen. Mein Konzept ist da anders. Wettbewerb für den Standort, damit Europa im Vergleich zu Japan und den USA leistungsfähig bleibt.

 

Dr. Christoph Konrad, 1957 in Bochum geboren, ist für die CDU seit 1994 Abgeordneter des Europäischen Parlaments und dort Mitglied im Ausschuß für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik sowie im Unterausschuß Sicherheit und Abrüstung. Nach Abitur und Bundeswehr absolvierte er eine Ausbildung zum Speditionskaufmann; später studierte er Politikwissenschaft, Jura und Geschichte in Bonn. 1990 promovierte er zum Dr. phil bei Karl Dietrich Bracher. Konrad ist stellvertretender Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des CDU-Bezirksvorstandes im Ruhrgebiet.


 
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