© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Oper: Vor fünfzig Jahren starb in Wien die Sopranistin Maria Cebotari
"Höchste Form des Talents"
Doris Neujahr

Es gibt Ausnahmesänger, die Opernliebhabern die Überzeugung vermitteln, einer bestimmten Rolle der Opernliteratur die höchste, letztgültige, klassische Ausprägung gegeben zu haben, an der sie alle weiteren Hörerlebnisse messen. Zu diesen Künstlerpersönlichkeiten gehört die Sopranistin Maria Cebotari. Ihre Schlußszene der Salome aus dem gleichnamigen Bühnenwerk von Richard Strauß ist in einer legendären historischen Aufnahme aus den vierziger Jahren mit den Großen Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin erhalten. Kindliche Unschuld und in Ekstase und Hysterie umschlagende Lebensgier, Liebesverlangen und perverse Triebbefriedigung, eine unendliche Einsamkeit, in der existentielle Tragik beschlossen ist: das ganze Tableau menschlicher Psychologie wird mit soviel Expressivität und Intensität ausgedrückt, wie sie bezwingender kaum denkbar sind. Die einen halten diese Aufnahme "dank ihres gleichsam raffinierten Fanatismus" für "wohl unübertroffen" (J. Steane), andere – wie Jürgen Kesten – meinen, daß sie nur noch von der Bulgarin LjubaWelitsch bei ihrem Met-Debüt im Februar 1949 überboten wurde.

Maria Cebotari wurde am 10. Februar 1910 in Kischinjow, im zu Rußland gehörenden Bessararabien, geboren. Sie wuchs zweisprachig auf, mit der russischen und der rumänischen Sprache. Französisch und italienisch sprach sie ebenfalls. Deutsch lernte sie erst nach ihrem Umzug in Deutschland. Als Kind sang sie im Kirchenchor, wobei Musikfreunden ihre außergewöhnliche Begabung auffiel; sie ermöglichten ihr den Besuch des Konservatoriums.

Ein Gastspiel des Moskauer Künstlertheaters 1926 in Kischinjow mit Tolstois "Lebendem Leichnam" stellte sich als ein Wink des Schicksals heraus. Der Regisseur und Hauptdarsteller Alexander Wiruboff wollte seine Inszenierung mit russischen Liedern umrahmen und engagierte dazu die junge Cebotari. Wiruboff erkannte die Talente des Mädchens sofort. Der Charmeur umwarb und beeindruckte sie; die noch Minderjährige ging, gegen den Willen ihrer Eltern, mit ihm auf ein Gastspiel nach Paris. Kurz darauf heirateten sie.

Zusammen mit ihm kam Maria Cebotari Ende der zwanziger Jahre nach Deutschland. 1930 sang sie Fritz Busch vor, dem Leiter der Dresdner Semper-oper, der sie sofort für drei Jahr an seinem Haus engagierte. Ihr Auftritt als Mimi in Puccinis "La Boheme" am 15. April 1931 unter Buschs Dirigat war der Durchbruch. Bruno Walther engagierte sie für die Salzburger Festspiele, wo sie einen Titelpart in Glucks "Orpheus und Eurydike" übernahm. Für Gastrollen wurde sie nach Berlin, an die Städtische Oper, verpflichtet und arbeitete mit den Dirigenten Furtwängler und Toscanini zusammen. Richard Strauß war von ihr so begeistert, daß er ihr für die Rolle der Aminta in seiner neuen Oper "Die Schweigsame Frau" (1935) und als Interpretin seiner Orchesterlieder bestand.

Als ihr Engagement in der sächsischen Hauptstadt abgelaufen war, kam sie an die Berliner Staatsoper Unter den Linden. Gerade erst 24jährig, wurde sie zur Kammersängerin ernannt. Ein Höhepunkt war ihr Auftritt am 29. November 1935 als Mimi, an der Seite des weltberühmten italienischen Tenors Benjamino Gigli. Umjubelt wurde sie als Daphne, Konstanze, Susanna, als Gräfin, Cherubin, Butterfly, Carmen und Tatjana in Tschaikowskis "Eugen Onegin". Legendär aber wurde sie vor allem in den großen Opernrollen von Mozart und Strauß. Ihre Bühnenpräsenz wurde genauso gerühmt wie ihr Liebreiz, ihr "leuchtender, ungemein beweglicher hoher Sopran, bei dem kostbares Timbre die Lyrik adelte und einwandfreie Technik und absolutes Stilgefühl das Schwebend-Anmutige mit jener Instinktsicherheit der Natur traf, die höchste Form des Talents darstellt".

Die große Musik- und Operntradition in Deutschland, der Ehrgeiz der Künstler, das Prestigestreben und eifersüchtige Machtkämpfe innerhalb der NS-Führung führten dazu, daß die Opernkultur auch nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten auf einem hohen Niveau blieb. Zwar trat Wilhelm Furtwängler 1934 als Direktor der Staatsoper zurück, aber mit Clemens Krauss kam ein hochbegabter Nachfolger. Hitler, Goebbels und Göring wußten, wie wichtig die Cebotari für den Ruf Berlins als Kulturmetropole war und gaben sich als ihre Bewunderer zu erkennen: "Sensationeller Erfolg als Salome unter Krauss an der Berliner Staatsoper. Ungewöhnlich begabte und instinktsichere Darstellerin", hieß es in einer Notiz des Propagandaministeriums.

Zwischen 1936 und 1942 drehte Maria Cebotari acht Filme, sechs davon in italienischer Sprache, die als historische Dokumente interessant bleiben. Bei Dreharbeiten lernte sie den Schauspieler Gustav Diessl kennen, den sie 1938 heiratete. Die Ehe mit Wiruboff war in die Brüche gegangen. Berlin wurde ihr nun auch privat zur zweiten Heimat.

Der Zweite Weltkrieg tangierte sie vorerst wenig. Berlin blieb zunächst von schweren Kriegseinwirkungen verschont, das Ehepaar war voll mit seinen künstlerischen Aufgaben beschäftigt. Die Cebotari fuhr zu Gastspielen und Filmaufnahmen nach Italien. Einmal wurde das Opernensemble von Mussolini empfangen, die Cebotari erhielt das zweifelhafte Privileg, beim Essen zwischen Propagandaminister Goebbels und seinem italienischen Kollegen Pavolini zu sitzen. Noch im Sommer 1944 reiste sie zu einem Gastspiel ins Ausland: In Zürich trat sie in Richard Strauß’ Oper "Capriccio" auf.

Ende 1942 wurde ihr Wohnhaus von Bomben getroffen, das ausgebrochene Feuer konnte aber gelöscht werden. Immer häufiger mußten sie nun den Luftschutzkeller aufsuchen. Als Maria Cebotari 1943 die telefonische Nachricht von der erneuten Zerstörung der von Knobelsdorff erbauten Lindenoper erreichte, brach sie in Tränen aus.

Ihr Mann spielte den Major Schill im Durchhaltefilm "Kolberg", das Ehepaar nahm am 30. Januar 1945 im Ufa-Kino in der Berliner Tauentzienstraße teil. Kurz darauf verließ Maria Cebotari Berlin. Der Zug war völlig überfüllt, doch man erkannte sie, rief: "die Cebotari", und hob die zierliche Person durch ein Fenster herein. Im Grand Hotel von Kitzbühl wartete sie das Kriegsende ab.

Im Oktober 1945 wurde ihr zweiter Sohn Fritz geboren. Sie ging nach Salzburg, später nach Wien, trat in Österreich und der Schweiz auf, bald in Paris, London, Rom, schließlich auch wieder in Deutschland, wo man sie erneut umjubelte. Sie arbeitete mit allen Kräften, die Verantwortung für die Familie lastete vollständig auf ihr. Gustav Diessl war krank und starb am 20. März 1947 an einem Schlaganfall.

Sie selbst fühlte sich immer abgespannter, die Schmerzen, an denen sie seit Beginn der 40er Jahre litt, wurden stärker. Zunächst wurde eine Gallenentzündung angenommen. Am 31. März 1949 trat sie letztmalig auf die Bühne der Wiener Staatsoper; sie sang die Laura im "Bettelstudenten", vier Tage später fand die Operation statt. Die Sängerin war unheilbar an Leberkrebs erkrankt. Man ließ sie im Unklaren und versetzte sie mit starken Betäubungsmitteln in einen Dämmerzustand. Vor fünfzig Jahren, am 9. Juni 1949, starb sie.

Die Diskussionen über Künstler, deren kometenhafte Karriere in die Zeit des "Dritten Reiches" fiel, wollen nicht enden. Cebotaris Biograph Antonio Mingotti beschreibt die Sängerin in der Sprache der Nachkriegszeit als unpolitisch, ihre Kunst lebend und als Künstlerin unbestechlich und allerhöchsten Ansprüchen verpflichtet. "Spätere Zeiten werden glücklich sein, wenn sie in einer Rückschau auf die Unmenschlichkeit dieser Zeit, das Elend und die Not, eine Stimme vernehmen können, die soviel Trost und Freude in trüben Tagen brachte und den Glauben an das Schöne und Edle erhielt, während das Häßliche und Falsche herrschte: die Stimme Maria Cebotaris".


 
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