© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Europawahl: Der Erfolg der Union war nicht das Ergebnis eigener politischer Arbeit
"Von der Innenpolitik überlagert
Karl-Peter Gerigk

Herr Professor Kepplinger, nicht einmal jeder zweite Deutsche ist zur Europawahl gegangen. Ist das auch eine Konsequenz der schlechten Informationspolitik der Parteien zu Europa und des lauen Europawahlkampfes?

Kepplinger: Ja, mit Sicherheit. Es ist ja eine Trivialität, daß die Wahlbeteiligung von der Intensität des Wahlkampfes und der Intensität der Wahlkampfberichterstattung abhängt. Beides ist bei der Europawahl generell gering und in diesem Fall noch geringer als in früheren Jahren, zumal die Europathematik von innenpolitischen Themen deutlich überlagert wurde.

Welche Aussagekraft hat eine Wahl für ein Parlament, wenn man daran denkt, daß bei der Europawahl nur 45 Prozent der Wähler überhaupt ihre Stimme abgegeben haben?

Kepplinger: Gültig ist sie auf jeden Fall. Wir haben ja auch kein plebiszitäres System. Wir haben ein repräsentatives System, und selbst bei einem plebiszitären System ist natürlich eine Wahl auch mit 40 Prozent Wahlbeteiligung gültig. Nehmen Sie das Beispiel USA, wo die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen auch so um die 50 Prozent beträgt oder die Schweizer Volksabstimmungen, wo die Beteiligung auch kräftig nach unten gegangen ist. An der Gültigkeit kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Trotzdem muß man natürlich die Frage stellen, ob dies nicht die Legitimität der politischen Institution in Zweifel zieht.

Wie würden Sie dies beurteilen?

Kepplinger: Ich glaube, daß die Beteiligten sich durchaus intensiver Gedanken machen müssen, wie sie die Europapolitik als europäische Politik präsentieren können. Die Frage ist: Warum hat Stoiber mit seiner Politik einen solchen Erfolg? Warum war die Wahlbeteiligung in Bayern höher, und warum war der Sieg der CSU so groß? Hier muß man mit aller Nüchternheit sehen, daß nirgends in Deutschland Europapolitik mit einer so starken Betonung von nationalen Aspekten gemacht wird wie in Bayern. Und ein Grund für das Desinteresse an den europäischen Wahlen besteht eben darin, daß es der Politik und den Medien nicht gelungen ist, zu verdeutlichen, daß hier auch deutsche Interessen auf dem Spiel stehen. Es wird im Grunde ein parteipolitisches Spiel präsentiert. Es ist aber trotz allem Integrationsfortschritt auch ein nationales Spiel.

Wenn man die Ergebnisse der Parteien im einzelnen betrachtet, hat die CDU mit 48,7 Prozent beinahe die absolute Mehrheit. Ist das das Ergebnis einer guten Kommunikationspolitik für die Opposition? Zum Beispiel durch die Kampagne zum Staatsbürgerrecht – also durch das Setzen auf nationale Themen? Sollte sie vielleicht Aktionen wie eine Befragung zum Doppelpaß weiterhin durchführen? Ist das ein erfolgversprechender Weg?

Kepplinger: Das glaube ich nicht, weil sich das sehr schnell abnutzt. Bei dem Doppelpaß war diese Entscheidung zweifellos richtig, aber eine Wiederholung wäre deshalb ein Risiko, weil die CDU, oder wer immer es auch macht, an der überraschend guten Beteiligung dieser ersten Aktion gemessen werden würde. Alles was dahinter zurückbleibt, wäre ein Mißerfolg. Also ist das wohl kein erfolgversprechender Weg. Ich glaube auch nicht, daß der überwältigende Erfolg der Union vorwiegend auf die Leistungen der Union zurückgeht.  Weder auf ein politisches Angebot, noch auf ihre Kommunikationssstrategie. Es war fast ausschließlich ein Denkzettel für die SPD.

Die SPD hat 14 Prozent verloren. Bestätigt das vielleicht auch die These, daß der Bürger vor einem Dreivierteljahr eigentlich nur Kohl abgewählt hat?

Kepplinger: Der Bürger hat nicht Kohl abgewählt, der Bürger hat sich gegen die Politik der damals amtierenden Regierung entscheiden. Und im Verlauf des Wahlkampfes wurde in Teilen der Öffentlichkeit Kohl zum Symbol für diese Politik.

Jetzt haben Sie eben gesagt, es wurden im Wahlkampf vorwiegend innenpolitische und nationale Themen besetzt. Ist dabei auch die FDP unter die Räder gekommen, oder worauf führen Sie das erneute Scheitern der Liberalen zurück?

Kepplinger: Das schlechte Ergebnis der FDP ist meines Erachtens darauf zurückzuführen, daß sie an ihrer Spitze einen hat, dem die erforderliche Ausstrahlung fehlt, daß sie es als kleinste Oppositionspartei sehr schwer hat, ihre Linie in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und daß diese sehr abstrakten Themen nicht geeignet sind, um ein Wählerpotential zu mobilisieren.

Wenn Sie sagen, an der Spitze ist jemand ohne Charisma, wen meinen Sie?

Kepplinger: Ich meine Wolfgang Gerhardt. An der Spitze der FDP steht ein Mann, der keine intellektuelle Ausstrahlung hat, und der verglichen mit ehemaligen FDP-Vorsitzenden weniger Durchschlagskraft besitzt.

Die PDS hat nun beinahe sechs Prozent bekommen. Hat sich damit die SED-Nachfolgerin entgegen den Erwartungen auf Dauer als politische Kraft in Deutschland und auf europäischer Ebene etabliert? Müssen wir in den nächsten 10, 15, 20 Jahren mit der PDS rechnen?

Kepplinger: Ich denke ja. Die PDS entwickelt sich national und jetzt auch auf internationaler Ebene zu einer neuen deutschen Linken. Das gibt es ja in allen westeuropäischen Systemen mit Verhältniswahlrecht, das gibt es in Italien, das gibt es in Frankreich. Ich bin überzeugt, daß sich die PDS als linke Alternative zur SPD fest plaziert. Die einzige Möglichkeit, daß dies nicht geschieht, wäre eine Rückkehr der SPD zu ihrem alten marxistischen Kurs. Das ist jedoch nicht absehbar.

Hat der Kurs von Joschka Fischer den Grünen in den letzten Minuten noch etwas genützt?

Kepplinger: Das glaube ich nicht. Die Grünen haben besser als andere ihre Kernwählerschaft mobilisieren können, und sie haben sich damit noch einmal gerettet. Aber ich glaube nicht, daß dieser Kurs von Fischer irgend etwas wesentliches gebracht hat.

Wenn man die Kleinen betrachtet, haben sie relativ schlecht abgeschnitten, wie die rechtskonservativen Parteien, die ja in den neuen Ländern in den letzten Jahren Zulauf hatten. Glauben Sie, daß die CDU ihr hohes Wahlergebnis, so wie in den 70er Jahren, einem konservativeren Kurs zu verdanken hat. Will sie eine rechte Partei neben sich verhindern?

Kepplinger: Das muß das Ziel der Union sein. Ob es gelingt, ist eine andere Frage. Die Union hat in der Vergangenheit nicht mit den Parteien rechts von ihr koaliert. Denken Sie an die NPD. Vor der deutschen Geschichte kann sie sich das auch nicht leisten. Eine Partei rechts von der Union nimmt ihr die Regierungsfähigkeit.

Und die Schwäche des Euro – welche Auswirkung hat diese Ihrer Meinung nach auf das Wahlverhalten?

Kepplinger: Das hatte keinen wesentlichen Einfluß, weil dies an der Masse der Bürger vorbeigeht. Das tangiert die Lebensverhältnisse des normalen Wählers bisher überhaupt nicht.

Es besteht in Europa kein einheitliches pluralistisches Gesellschaftssystem, kein übergreifendes Mediensystem und keine gemeinsame Meinungsbildung, geschweige denn ein einheitliches Wahlrecht – wohl aber gemeinsame Wahlen und ein gemeinsames Parlament. Können Wahlen vor solch einem Hintergrund einen gemeinsamen Willen der Völker in Europa überhaupt zum Ausdruck bringen?

Kepplinger: Den gemeinsamen Willen gibt es sicherlich nicht – aber den gibt es ja in den USA auch nicht. In den zwanziger Jahren, vor der Einführung des Fernsehens, war dies noch offensichtlicher. Es gab Partikularwillen in den verschiedenen Staaten der USA, wie heute in Europa. In dem Maße, in dem der Euro als stimulierende Kraft der Wirtschaftsintegration wirkt, in dem Maße, in dem eine Transparenz von Löhnen, Steuern und Preisen entsteht, in dem Maße wird sich für die Parteien die Frage stellen, ob sie ihre Europapolitik nicht stärker aufeinander abstimmen. Ich denke nicht, daß dies in den nächsten zwei Wahlperioden geht. Es wird aber künftig einen europaweiten Wahlkampf der Parteien geben.

Mit einem einheitlichen Wahlsystem?

Kepplinger: Das muß nicht sein. Die Wahlprogramme und Parteiprogramme müssen abgestimmt werden. Stellen Sie sich vor, es gibt eine wirtschaftsliberale Partei, die europaweit mit einem wirtschaftsliberalen Konzept auftritt. Entscheidender als die Frage nach dem Wahlrecht ist hier, wie die Partei schließlich im Europaparlament vertreten ist.

 

Prof. Dr.Hans Mathias Kepplinger Jahrgang 1943, studierte Politikwissenschaft, Publizistik und Geschichte in Mainz, München und Berlin. Nach seiner Promotion 1970 zum Dr. phil. arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent von Elisabeth Noelle-Neumann am Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg- Universität Mainz. Von 1978 bis 1982 Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ist Hans Mathias Kepplinger seit 1982 Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik in Mainz. Von 1983 bis 1989, von 1992 bis 1994 und wieder seit 1996 ist er geschäftsführender Leiter des Instituts.

Literaturauswahl:

"Der Einfluß der Fernsehnachrichten auf die politische Meinungsbildung", Freiburg 1989; "Ereignismanagement. Wirklichkeit und Massenmedien", Zürich 1992;
"Wie das Fernsehen Wahlen beeinflußt, München 1994;
"Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft", Freiburg 1998


 
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