© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Ukraine: Bündnisgrüne und SPD sind gegen die Fertigstellung zweier Atommeiler
Von den G-7-Staaten aufgezwungen
Gerhard Quast

Die Finanzierung zweier Atomkraftwerke in der Ukraine hat der rot-grünen Bundesregierung neuen Streit beschert. Diesmal allerdings nicht innerhalb der Koalition, sondern zwischen den Fraktionen der SPD und der Bündnisgrünen einerseits und Bundeskanzler Gerhard Schröder andererseits. Letzterer beharrt darauf, die einmal gemachte Kreditzusage für die im Bau befindlichen ukrainischen Atomkraftwerke Chmelnizki-2 und Rowno-4 (K2/R4) einhalten zu wollen, obwohl die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag einen Ausstieg aus der Atomtechnologie vereinbart hat.

Das Bonner Kanzleramt argumentiert, Deutschland dürfe nicht aus dem Kreis der Kreditgeber ausscheren und werde deshalb die 1995 erfolgten Kreditabsprachen zwischen den sieben größten Industrienationen (G-7), der Europäischen Union (EU) und der Ukraine weiterhin einhalten. Hintergrund dieser Übereinkunft war das Bemühen der westlichen Staaten, das aus vier RBMK-Reaktoren bestehende Atomkraftwerk Tschernobyl vollständig abzuschalten. Block 4 des AKW war am 26. April 1986 explodiert, Block 2 wurde 1991 nach einem Großfeuer geschlossen, Block 1 ging vor drei Jahren vom Netz. Noch immer in Betrieb ist Block 3.

Festgelegt wurde die vollständige Stillegung Tschernobyls in dem am 20. Dezember 1995 unterzeichneten "Memorandum of Understanding". Darin ist vorgesehen, daß in Kooperation mit internationalen Finanzinstitutionen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) die Fertigstellung von K2/R4 vorbereitet werden soll. Hierfür gab die EBWE zwischen 1995 und 1998 drei Wirtschaftlichkeitsanalysen in Auftrag. Während die der Atomindustrie wohlgesonnene deutsche Consulting-Firma Lahmeyer die Fertigstellung der Reaktoren als wirtschaftlichste Variante empfahl, sprach sich eine internationale Expertenkommission unter Vorsitz von Professor John Surrey (Sussex University) gegen den Weiterbau aus. Beide Gutachten wurden wegen angeblicher methodischer Mängel für nichtig erklärt. Eine dritte Studie der US-amerikanischen Firma Stone & Webster sprach sich wiederum für die Finanzierung von K2/R4 aus. Dieses Gutachten nahm die EBWE zur Grundlage für eine Entscheidung zum Weiterbau der Reaktoren.

Als Alternativen zum Weiterbau von K2/R4 wurden bereits damals mehrere Varianten ins Spiel gebracht: Statt der Fertigstellung der beiden Atomkraftwerke könnte ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) gleicher Kapazität wie die beiden Reaktoren errichtet werden. Eine solche umweltfreundliche 2.000-Megawatt-Anlage könnte in drei Blöcken mit jeweils zwei Gas- und einer Dampfturbine gebaut werden. Der Vorteil wäre, daß das GuD-Kraftwerk innerhalb von nur zwei Jahren gebaut werden könnte – für die AKWs sind drei Jahre veranschlagt – und das GuD im Unterschied zu diesen statt 1,725 Milliarden US-Dollar nur 725 Millionen Dollar kosten würde.

Als zweite erfolgversprechende Variante wurde ein 600-MW-Kraftwerk mit zwei Gas- und einer Dampfturbine (Kosten: 300 Millionen Dollar) ins Spiel gebracht. In Ergänzung dazu könnte ein großangelegtes Energiesparprogramm aufgelegt werden. Der Vorteil dieses Finanzierungspakets (Kosten: eine Milliarde Dollar; Bauzeit: weniger als zwei Jahre) wäre, daß die Ukraine aus den eingesparten Energiekosten die Rückzahlung des Kredites bestreiten könnte.

Beide Alternativen haben zudem den Vorteil, daß die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine von Rußland sich verringern würde. Darauf hat Greenpeace ausdrücklich hingewiesen. Denn selbst bei einer westlichen Finanzierung der beiden Reaktoren kämen die Kernbrennstoffe, ein Großteil der Anlagentechnik und selbst ein Teil der für den Bau erforderlichen Spezialisten aus Rußland. Im Vergleich dazu hätte der zusätzliche Erdgasimport aus Rußland einen geringeren Effekt auf die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine von Rußland. Der entscheidende Vorteil der GuD-Kraftwerke liegt aber auf anderem Gebiet: Im Bereich der GuD-Kraftwerkstechnik gehören deutsche Firmen wie die Siemens AG weltweit zu den führenden Unternehmen, und auch bei den Technologien zum Energiesparen wären für die G-7-Staaten Aufträge größeren Umfangs zu erwarten.

Daß der Bau von GuD-Kraftwerken auch für die Ukraine eine denkbare Alternative war, macht ein Brief des ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma an den britischen Premierminister Tony Blair deutlich. Zwar drängt Kutschma darin auf die Fertigstellung von K2/R4, erinnert in dem Schreiben vom 18. Mai 1998 aber gleichzeitig daran, daß die Ukraine ursprünglich anstelle der Atomkraftwerke ein GuD-Kraftwerk bauen wollte. Auf den Weiterbau von K2/R4 hätte damals der Westen gedrängt, allen voran Frankreich und Deutschland.

Ungeachtet der Tatsache, daß es für die Energieerzeugung in der Ukraine kostengünstigere und umweltverträglichere Alternativen gibt und Deutschland um rund 400 Millionen Mark entlastet würde, unterstreicht Kanzleramtsminister Bodo Hombach, Bonn werde an der gemachten Kreditzusage in Höhe von 810 Millionen Mark festhalten. Die Ukraine sei nach seinen Erkenntnissen nicht an einem Gaswerk interessiert, wie es von Kritikern immer wieder ins Spiel gebracht werde.

Dieser leichtfertige Umgang mit Steuermitteln hat auch den Bund der Steuerzahler (BdSt) auf den Plan gerufen. Er appelliert an die Bundesregierung, von den geplanten Finanzhilfen abzusehen, da eine Fertigstellung der Reaktoren ökonomisch unsinnig sei. Deshalb müsse die Regierung beim G7/8-Gipfel am 18. Juni in Köln das insgesamt über drei Milliarden Mark teure Projekt zu Fall bringen. Gleichzeitig erinnert der BdSt daran, daß sich sowohl Bundesumweltminister Jürgen Trittin als auch die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen gegen die Finanzierung ausgesprochen hätten. Nur Bundeskanzler Schröder halte wider besseren Wissens an dem Weiterbau der Reaktoren fest.

Die Grünen kündigten unterdessen eine härtere Gangart an. Notfalls wolle Vorstandssprecherin Antje Radcke die rot-grüne Bundestagsmehrheit gegen den Kanzler aufbringen und gemeinsam mit der SPD-Fraktion einen Parlamentsbeschluß herbeiführen, der ihn auffordert, sich auf dem Weltwirtschaftsgipfel gegen die Kreditvergabe einzusetzen. Wenn die Bundesregierung jetzt Kredite für neue Atommeiler gebe, werde man "absolut unglaubwürdig". Im übrigen habe die Ukraine weder Mittel noch Personen für einen sicheren Betrieb der AKWs "Tschernobyl spricht für sich."


 
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