© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


CD: Klassik
Historismus
Alexander Abendroth

Seinen 50. Geburtstag kann am 21. Juni Thomas Schmidt-Kowalski feiern, der wohl bedeutendste deutsche Komponist seiner Generation. Erst Mitte Mai fand in seiner Heimatstadt Oldenburg die Uraufführung des jüngsten Werks dieses Verfechters einer konsequent tonalen Neuromantik statt: Die Variationen über das Lied "Heil Dir, o Oldenburg" op. 72 für Streicherensemble. Sie sind auch das Hauptwerk einer CD, die soeben unter demselben Titel bei der Oldenburgischen Landschaft (Gartenstraße 7, 26122 Oldenburg, Telefon 0441 /75 03 1/2) erschienen ist und direkt bezogen werden kann.

Das auf der CD ebenfalls enthaltene Lied, eine Art oldenburgischer Landeshymne, ist an sich schon ein Kuriosum: Es ist eine Komposition der Großherzogin Cäcilie von Oldenburg (1807–1844) auf ein Gedicht von Theodor von Kobbe. Schmidt-Kowalski stellt das Thema zunächst im Pizzikato vor und läßt ihm Variationen in gediegener kontrapunktisch überlegener Satztechnik folgen, denen jedoch keine Spur von Akademismus anhaftet. Der für den Personalstil des Komponisten so typische Adel von Melodik und Harmonik changiert hier mit einer genuin romantischen, augenzwinkernden Ironie, die dem Hörgenuß zugleich einen hohen Unterhaltungswert verleiht.

Das übrige Programm der CD ist klug zusammengestellt und von nicht zu unterschätzendem Repertoirewert. Es stellt Schmidt-Kowalskis Musik exemplarische Kompositionen des Historismus gegenüber, wie er sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Romantik heraus enwickelt hatte. In dem von Jörg Michael Henneberg und Ursula Maria Schute ebenso informativ wie kompetent redigierten Beiheft werden die diversen Querverbindungen zwischen den verschiedenen Stücken wie auch zwischen Kunst, Literatur und Musik jener Epoche im allgemeinen mit der gebotenen Distanz, doch ohne volkspädagogischen Zeigefinger kommentiert.

So mag man etwa die Rosenlieder und den Skaldengesang "Heimatgewalt" von Philipp zu Eulenburg, einem Freund des deutschen Kaisers Wilhelm II. und preußischen Gesandten in Oldenburg, heute belächelnd als Edelkitsch abtun. Nichtsdestoweniger sind sie ein künstlerisches Zeugnis des wilhelminischen Zeitgeistes und waren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Bestandteil des Repertoires bedeutender Liedersänger.

Eine besondere historische Rarität stellt auch der "Sang an Aegir" dar, wurde diese Vertonung eines Gedichts von Wilhelm II. lange dem deutschen Kaiser zugeschrieben und auch unter seinem Namen veröffentlicht; tatsächlich stammt die Musik jedoch von Kuno von Moltke, vermutlich unter Mitwirkung von Philipp zu Eulenburg. Lothar Littmann singt sie – wie auch Johannes Brahms‘ Lied "Feldeinsamkeit" und Schmidt-Kowalskis stimmungsvolle Vertonung des Hermann-Allmers-Gedichts "In den Trümmern der Kosterkirche zu Hude" – mit hohem, lyrischen, in den Randlagen leider nicht optimal focussierten und gestüzten Bariton, doch deutlicher Diktion. Florian Topp ist ihm ein virtuoser Klavierbegleiter.

Die im besten Sinne ausgefallene CD wird ergänzt durch zwei ältere Werke Schmidt-Kowalskis, die "Zauberstücke" op. 59 für Flötenquartett und das "Pentagramm" op. 60, ein Streichquintett in einem Satz. Das Hamburger Kammer-Ensemble interpretiert diese künstlerisch auf einsamer Höhe stehenden Werke der kammermusikalischen Literatur mit professioneller Intonation und Einfühlung.


 
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