© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Jochen Kirchhoff: Was die Erde will. Mensch, Kosmos, Tiefenökologie
Stark von Ernst Jünger inspiriert
Volker Kempf

Der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Philosoph Jochen Kirchhoff, der schon über den Idealisten Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, den Lebensphilosophen Friedrich Nietzsche, den Diktator Adolf Hitler und die Deutschen geschrieben hat, hat erneut zur Feder gegriffen. Dabei ging die Inspiration von Ernst Jünger aus, was man angesichts eines Buches zur "Tiefenökologie" nicht unbedingt vermuten würde. Kirchhoff erklärt: "Daß Jünger hilfreich sein soll, zum Verständnis der inneren Logik des unaufhaltsam und so undurchschaut ablaufenden Prozesses der ‘Weltvernutzung’ (wie Heidegger sagt), mag überraschen. Aber es ist so und zwar, weil Jünger mit kühlem, an Gestalten und Formen orientierten Blick auf die Dinge, einem durch und durch physiognomischen Blick ohne jede Sentimentalität, etwas sichtbar macht, was sich der moralischen Wertung entzieht. Und es mag weiter überraschen, daß der Haupttitel des vorliegenden Buches ‘Was die Erde will’ wahrscheinlich (und wohl eher … unbewußt) von Jünger inspiriert ist." Das ausschlaggebende Buch Ernst Jüngers sei dasjenige gewesen, welches unter dem Titel "An der Zeitmauer" in den 50er Jahren erschienen sei und die Tiefenstruktur der Epoche verstehbar gemacht hätte.

Jochen Kirchhoff weiß, daß Ernst Jünger den Begriff "ökologische Krise" selbst nie verwendet hat, weil er ihm zu eng gewesen wäre. Wenn Jünger aber schreibe, daß die Erde "in ihrer tiefen Beseelung erkannt werden" wolle und daß dazu "auf die Heimat der Offenbarung, auf Asien" zurückgegriffen werden müsse, dann sei das tiefenökologische Programm im Sinne Kirchhoffs schon in Ansatz benannt.

Auf einen einfachen Nenner gebracht, vertritt Kirchhoff die These, daß der Mensch sich eine Welt geschaffen hat, die ihn von allem Lebendigen abtrennt, das Technische huldigen läßt und zu einer neurotischen Beziehung zu sich selbst führt. Die ökologische Krise ist damit auch eine Innenwelt-Krise. Obwohl sich ein solcher Gedankengang auch unter Rückgriff auf die philosophische Tradition des Abendlandes durchführen ließe, wie dies etwa Klaus Michael Meyer-Abich in seinem Buch "Praktische Naturphilosophie. Erinnerung an einen vergessenen Traum" (München 1997) vorbildlich und unter Zuhilfenahme eines ganzes Stabes von Mitarbeitern praktiziert hat, vermischt Kirchhoff indische Lehren, amerikanische tiefenökologische Schriften, in kritischer Distanz auch New-Age-Autoren wie Fritjof Capra sowie philosophische Klassiker wie Martin Heidegger miteinander. Dies macht Kirchhoffs Gedankenschritte nicht unbdingt leicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, daß etliche Begrifflichkeiten mit Spiegelstrichen in alternativen Spielformen angegeben werden und zahlreiche Klammereinschübe unnötige Absicherungen nach allen Seiten hin markieren, die nur den Lesefluß beeinträchtigen.

In der Sache ist zu bemängeln – wie der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung einmal bemerkte –, daß wir uns nur aus unserer Tradition heraus weiterentwickeln können. Indische Lehren können hierbei exkursorisch bereichernd sein, nicht mehr und nicht weniger.

Für Kenner der Schriften Ernst Jüngers mag das vorliegende Buch interessant sein, um ihm zu entnehmen, was sich von Jünger inspiriert tiefenökologisch entfalten läßt. Auch für die begeisterte Leserschaft der New-Age-Literatur bietet der Autor reichlich Zündstoff, sich kritisch mit Überlegungen aus dieser Strömung auseinanderzusetzen. Für die meisten potentiellen Leser werden aber andere Bücher, etwa das erwähnte von Meyer-Abich, einen ergiebigeren Zugang zu den Problemen bieten, wie sie Kirchhoff vor Augen hat. Gemeint ist das Problem, mit dem Heranwachsen des Baumes der Erkenntnis sei der Traum von einer gereiften Beziehung des Menschen zu sich selbst und zu der belebten Mitwelt, wenn schon nicht ausgeträumt, so doch unvollendet geblieben. Daran erinnere uns jedenfalls täglich die ökologische Krise.

 

Jochen Kirchhoff: Was die Erde will. Mensch, Kosmos, Tiefenökologie. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1998, 432 Seiten, 48 Mark


 
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