© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Kolumne
Heimholung
von Klaus Hornung

Nach dem Ende der Nato-"Militäraktionen" gegen Serbien um das Kosovo hat die Selbstbelobigung des sogenannten "westlichen Zivilisationsmodells" Konjunktur. Doch die Fehler, die begangen wurden, sollten nicht unter den Tisch gekehrt werden. Die Aktion gegen Milosevic kam um Jahre zu spät und ist deshalb in vieler Hinsicht auch teuer geworden. Die Zahlen von -zig Milliarden Dollar für "Krieg", Hilfe und Wiederaufbau sprechen für sich. Und schlimmer noch sind die langfristigen immateriellen, kulturellen und geistigen Schäden, die angerichtet wurden. Von ihnen handelte soeben die bulgarische Publizistin Tanja Chavdarova in der verdienstvollen Reihe von Argumentationsbeiträgen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ("Unbehagen im Kaufhaus des Westens – Kolonialismus der Werte", FAZ, 17. Juni).

Die bulgarische Stimme gibt zu bedenken, ob im Zuge des Kosovo-Krieges "aus der Verbreitung von Werten unmerklich die Durchsetzung einer Machtposition geworden ist". Nach der Überzeugung der Autorin streben die großen Demokratien des Westens am Ende des 20. Jahrhundert nach autoritärem Verhalten im Weltmaßstab und "verstoßen damit gegen ihre eigenen Prinzipien, für die sie immer geschätzt wurden". Angesichts dessen habe nicht nur die Serben, sondern die Mehrheit der slawisch-orthodoxen Länder "Wut und Enttäuschung" erfaßt, hatten sie doch nach dem Ende des Realsozialismus eben erst begonnen, ihren geistigen Horizont den Werten der westlichen Welt zu öffnen.

Frau Chavdarova warnt davor, diese Werte und kulturellen Wandel in der Region mit Militärmacht durchsetzen zu wollen. Das könne langfristig nur zur Quelle neuen Unheils werden.

Solche Mahnungen dürften derzeit bei uns weithin unpopulär sein. Die nachdenklichen Zeitgenossen sollten jedoch auf solche Stimmen hören, handelt es sich doch um grundlegende Fragen nicht nur für "Südost-Europa", sondern für den Kontinent insgesamt. Leopold von Ranke hat den kulturellen Reichtum Europas aus seiner Trias von Romanen, Germanen und Slawen, Katholiken, Protestanten und Orthodoxie abgeleitet. Das sollte auch für die künftige europäische Politik Maßstab sein.

Es geht um nichts Geringeres als um die Heimholung auch der orthodox geprägten Länder und ihrer Spiritualität nach Europa. Und dahinter steht die große Zukunftsperspektive und Zukunftsalternative: Homogenisierter Globalismus oder die Pluralität der Kulturen und Identitäten, die sich nicht über einen Kamm scheren lassen dürfen.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
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