© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Pazifizierung
Karl Heinzen

Der G-8-Gipfel von Köln ließ aufs Neue erahnen, um wie viel es im Zweiten Weltkrieg gegangen sein muß. Die wichtigsten kriegführenden Nationen von einst sind auch heute immer noch diejenigen, die sich den Entwurf von Weltordnungen zutrauen. Offenbar spielt es nicht einmal die entscheidende Rolle, wer damals Sieger und wer Verlierer war – aber so ist nun halt Geschichte: Sie will einfach kein Ende finden.

Es hat sich gelohnt, all die Hemmnisse, die einem gemeinsamen Wertefundament der nördlichen Hemisphäre entgegenstanden, zunächst mit Opfern und dann durch geduldiges Zuwarten aus dem Weg zu räumen. Nun endlich ist man – mit einer realistischen Gewichtung der Mitsprachemöglichkeiten – so weit, auch gemeinsame Ansprüche und Erwartungen zu formulieren, an denen sich die Habenichtse der Welt orientieren können. Dies haben sie schließlich bitter nötig: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo auf dem Erdball Militärschläge verübt werden, weil es die Verletzung von irgendwelchen fundamentalen Prinzipien der Völkergemeinschaft zu beklagen gilt. Welche Prinzipien dies sind, läßt sich im voraus oft schwer ermitteln. Der Gipfel von Köln hat hier immerhin zu erkennen gegeben, daß sich wohl niemand bereits in Sicherheit wiegen darf, weil seine Staatsführung zivilisierten Standards halbwegs genügt. Wichtiger ist die Einsicht, daß niemand seine Märkte der Globalisierung verschließen kann. Wer sich nicht aus eigenem Nachdenken zu ihr durchringen möchte, sollte dann wenigstens Sanktionen als eine kollegiale Lernhilfe begreifen, die ihm die ansonsten unausweichliche Lektion des Marktes erspart. Es geht um langfristige Ziele: Die globale Marktgesellschaft ist nur dann zu erreichen, wenn die derzeitige Verteilung des Reichtums auch von den Armen als eine gerechte Ausgangsposition akzeptiert wird. Niemand investiert in Entwicklungsländern, wenn er damit nicht die Hoffnung verbinden darf, wohlhabender zu werden und seine Eigentumsrechte möglichst auch noch in Generationen gewahrt zu sehen. Prosperität ist weltweit nur dann zu haben, wenn die Reichen unangefochten reicher werden dürfen.

Müssen die Armen deshalb alle Hoffnung fahren lassen? Nicht unbedingt. Auch in den Industrieländern lassen sich immer wieder viele Menschen davon überzeugen, daß sie den Erwerb von Bildung in relevante Vermögen ummünzen könnten. Statt den aussichtslosen Versuch zu unternehmen, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzustürzen, arbeiten sie lieber an sich selber. Wenn sie dabei scheitern, trauen sie sich selten, die Schuld bei anderen zu suchen. Die Verwechslung von Wissen und Macht hat uns in Europa viele gesellschaftliche Eruptionen erspart. Nun ist zu hoffen, daß sie auch zur Pazifizierung internationaler Verteilungskämpfe beitragen kann. Die Sozialdemokratie kann hier ihre ganze historische Erfahrung einbringen.


 
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