© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Fünf-Prozent-Klausel: Begründungsnotstand in Nordrhein-Westfalen
Die Hausaufgaben nicht gemacht
Volker Kempf

Die kommunale Fünf-Prozent-Sperrklausel steht in Nordrhein-Westfalen nach der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster, die Mitte Juni stattfand, kurz vor dem Aus. Die Urteilsverkündung ist für den 6. Juli angesetzt. Geklagt hatte die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP); die PDS schloß sich an.

Verfassungsgerichtspräsident Bertrams ließ bereits durchblicken, daß die Chancen zum Beibehalt der Hürde "nicht sehr günstig" seien. Nun herrscht in den Regierungs- und Verwaltungsetagen hektisches Treiben, noch rechtzeitig zum angesetzten Kommunalwahltermin, nämlich dem 12. September 1999, entsprechende Regelungen vorzubereiten. Sogar die Verschiebung des Wahltermins droht, was am 16. Juni in den Tageszeitungen des bevölkerungsreichsten Bundeslandes groß aufgemacht wurde. Grund für das Durcheinander ist das "Mißmanagement des Landtags", kommentierte die Rheinische Post Montag dieser Woche. Erste personelle Konsequenzen wurden schon gezogen. Der zuständige Rechtsanwalt des Landtags wurde seines Mandats enthoben. Um Zeit zu gewinnen und die eigene Position zu retten, versucht der Landtag jetzt, einen neuen Verhandlungstermin zu erwirken. Dem wird gewöhnlich aber nur entsprochen, wenn eine der streitenden Parteien am ursprünglich angesetzten Verhandlungstermin verhindert war.

Schon 1994 hatte die ÖDP gegen die kommunale Sperrklausel in Nordrhein-Westfalen geklagt – Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und andere Länder haben keine Hürde. Für die Kommunalwahl des gleichen Jahres hatte dies aber keine Folgen. Dafür aber wurde dem Landtag auferlegt, die Erforderlichkeit der Fünf-Prozent-Klausel bis 1998 zu überprüfen. Der Landtag hat sich zwar für die Beibehaltung der Klausel ausgesprochen, ansonsten aber keine ausreichenden Unterlagen in der Sache eingereicht, ließ Bertrams anklingen. Mit anderen Worten haben Landtag und Verwaltung ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Dies erklärt die rasche Entscheidung über den Mandatsentzug des in der Sache für den Landtag zuständigen Rechtsanwalts. Damit bleibt aber offen, was geschieht, wenn das Urteil am 6. Juli erwartungsgemäß ausfällt.

Die Abschaffung der Hürde hätte weitreichende Folgen, würde sie, wie in anderen Bundesländern auch, vor allem den in Nordhein-Westfalen kurz gehaltenen freien Wählergruppen zur Blüte verhelfen. Daß dies die "Platzhirsche" der großen etablierten Parteien nicht gerne sehen, liegt auf der Hand. Entsprechend haben sich Düsseldorfer Kommunalpolitiker geäußert. Im Regionalteil der Rheinischen Post für die Landeshauptstadt Düsseldorf warnt Bürgermeister Joachim Erwin von der CDU vor Kommunisten und Rechtsradikalen im Rat. Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Bernd Mülhaupt ist die Vorstellung unerträglich, "mit Radikalen, vor allem aus der rechten Szene, im Rat sitzen zu müssen", berichtete die Zeitung am 16. Juni. Daß Demokratie aber heißt, sich mit Andersdenken zu konfrontieren, scheint den betreffenden Ratsmitgliedern noch nicht aufgegangen zu sein. Statt dessen wird versucht, unliebsame Konkurrenten unter Hinweis auf allseits Geächtete aus dem linken und besonders dem rechten Lager mittels Sperrklausel von der politischen Bühne fernzuhalten. Daß beispielsweise unter den 16.555 Mandatsträgern in Niedersachsens Gemeindeparlamenten gerade 14 von den Republikanern, zwei von der PDS und nur einer von der DKP gestellt werden, wird verschwiegen.

Der Verfassungsgerichtshof in Münster hat teilweise schon jetzt dafür gesorgt, daß die Kirche im Dorf bleibt. Gefahr für die politische Handlungsfähigkeit geht weniger durch Ratsvertreter kleinerer Gruppierungen aus, als vielmehr durch Hochmut und Mißmanagement, die etablierte politische Kräfte selbst zu verantworten haben.


 
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