© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Kosovo-Konflikt: Interview mit dem Völkerrechtler und Rußland-Experten Wolfgang Seiffert
"Russen spielen wieder eine Rolle
Dieter Stein

Herr Professor Seiffert, war der Krieg um das Kosovo für den Westen ein Erfolg?

Seiffert: Es ist wohl eher ein Pyrrhussieg. Wir stellen nach der Beendigung der Bombardierungen fest, daß das eigentliche Ziel nicht erreicht worden ist. Die Albaner sind erst in stärkerem Maße nach dem Beginn der Bombardierungen vertrieben worden, und jetzt kommen diese zurück in ein zerstörtes Land. Ein Selbstbestimmungsrecht für die Kosovaren ist in keinem Vertrag enthalten. Man sichert den Kosovaren zwar eine Autonomie zu, jedoch nur im Rahmen des Bundesstaates Jugoslawien. Es ist das, was in der Verfassung von Jugoslawien bis 1989 schon gestanden hat. Als Gegenbewegung zu der Rückkehr der Albaner beginnt jetzt die Flucht der Serben aus dem Kosovo. Das kann man kaum als Sieg ansehen.

Zuerst hat die Nato Rußland nicht über den Angriff informiert. Bei den Friedensverhandlungen dann mußte man es nach und nach mit ins Boot holen. Wie beurteilen Sie Rußlands jetzige Rolle, auch vor dem Hintergrund, daß es im Kosovo keinen eigenen Sektor bekommt?

Seiffert: Daß Rußland nun als einzige Macht in drei Zonen vertreten ist, kann auch als Erfolg für die Politik Jelzins gewertet werden. Wenn man Pristina mit dem Flughafen dazunimmt, sind es sogar vier Zonen. Es ist zwar kein eigener Sektor. Trotzdem erlaubt es den Russen, im Kosovo ein Wörtchen mitzureden und auf die Dinge Einfluß zu nehmen. Sie können unmittelbar feststellen, was im Kosovo vor sich geht.

Die Russen sind sicherlich keinen faulen Kompromiß eingegangen. Aber die Medien vermitteln und die westlichen Politiker machen sich offensichtlich ein falsches Bild. Was heißt denn der Begriff, man will die Russen "einbinden"? Die Russen sind Teil der Friedenstruppen, die von der UNO mandatiert sind, auch wenn Nato-Truppen einmarschiert sind und die Sektoren unter sich aufgeteilt haben. Man muß wissen, daß zwischen General Michael Jackson und den serbischen Vertretern ein ganz ordentlicher Vertrag geschlossen wurde. Die Nato als Vetragspartner kommt überhaupt nicht vor, sondern nur eben Jackson als Vertreter der internationalen Friedenstruppen "KFOR", glaubt man der Tageszeitung Die Welt vom 11. Juni. Die Russen haben nicht anerkannt, daß die Nato völkerrechtsgemäße Aktionen durchgeführt hat, sondern eben erreicht, daß ein UNO-Mandat verabschiedet wurde. Hier haben sich die Russen durchgesetzt. Aber sie haben auch Zugeständnisse gemacht, die unverständlich sind. Man muß nur an die Probleme Rußlands im Kaukasus denken. Hier nehmen sie hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechtes ähnliche Positionen ein wie der Westen. Das heißt für das Kosovo, daß es im jugoslawischen Staatsverband bleiben solle.

Wenn man unterstellt, daß der Krieg gegen Jugoslawien auch das Ziel hatte, Rußland zurückzudrängen, ist dies dann nicht vollkommen mißlungen?

Seiffert: Ja – alleine das Husarenstück mit dem Flughafen in Pristina muß den Amerikanern aufstoßen. Die Aktion ist jedoch nach meiner Meinung von russischer Seite gar nicht mit so weitreichenden Ziele verbunden gewesen. Boris Jelzin wird an irgendeiner Stelle zu dieser Aktion "Ja" gesagt haben. Aber ich denke, mehr ist nicht dahinter.

Hat sich die Regierung in Moskau durch die Beendigung des Luftkrieges und durch die aufgewertete Rolle ihrer Armee im Kosovo stabilisiert?

Seiffert: Man spricht in der russischen Presse ganz unverblümt von der "Familie", die die Herrschaft im Moment ausübt: Jelzin, seine Tochter und Beresovski – sie sind ganz ohne Zweifel jetzt an die Macht zurückgekehrt. Ein gutes Beispiel ist, daß Beresovski zu Beginn der Krise trotz Haftbefehls zurückkam und Stephaschin, jetzt Ministerpräsident, den Haftbefehl nicht ausführte.

In der Regierung selbst gibt es viel Widersprüchliches. Sardonow, der mit dem Internationalen Währungsfonds verhandelt, sagte in einem Interview in der Welt am 18. Juni, daß sie alles akzeptieren werden, was der IWF vorschlägt. Wenn die Duma das nicht beschließt, muß Stephaschin eben zurücktreten. Von deutscher Seite bräuchte man keine Hilfe.

Dies ist aber eine vollkommene Unterwerfung unter den IWF, was eine große Dummheit ist. Jelzin denkt, daß die Duma dem allen zustimmen wird, sagt aber auch, daß Rußland auf die IWF-Kredite eigentlich nicht angewiesen ist. Das sind konträre Positionen. Der IWF will ein Bündel von Gesetzen für Rußland, um es aus dem kontinentaleuropäischen Rechtskreis herauszuführen. Das wäre das Schlimmste, was Rußland passieren könnte, denn zur Zeit besitzt es ein Zivilgesetzbuch das dem deutschen entspricht, ein GmbH-Recht, das dem deutschen entspricht – und insgesamt eine Rechtsordnung, die der kontinentaleuropäischen ähnlich ist.

Welche Rolle wird denn Rußland in Bezug auf Milosevic spielen?

Seiffert: Das ist nicht ganz deutlich geworden. Jelzin hat ja auf dem Gipfel in Köln nur noch alles abgesegnet. Aber vorher hat Stephaschin dafür gekämpft, daß man unabhängig davon, wer in Belgrad gerade an der Regierung ist, Aufbauhilfe leistet. Schröder hat klar gemacht, daß man humanitäre Hilfe leisten will, aber eben nicht mehr. Es ist schwierig zu entscheiden, was rein humanitäre Hilfe ist und was dem wirtschaftlichen Aufbau dient, denkt man an den Wiederaufbau von Elektrizitäts- und Wasserwerken.

Ist dieser Aufbau nicht auch ein Riesengeschäft für den Westen?

Seiffert: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Es gab schon deutsche Baufirmen, die sich um Aufträge beworben haben. Aber sie bekamen von der deutschen Regierung keine Unterstützung. Nun sind die Amerikaner, Engländer und Franzosen schneller da.

Wird Rußland zur Wahrung seiner Interessen auf dem Balkan auf andere Staaten der Region einen größeren Einfluß ausüben – in Bulgarien oder Rumänien?

Seiffert: Das eigentliche Ziel der USA für diesen Raum ist es, daß Staaten wie Rumänien und Bulgarien in Richtung Nato marschieren. Sie wollen auf dem Balkan für lange Zeit Fuß fassen. Für die Russen ist der eigentliche Erfolg, daß es gelungen ist, die Frage wieder zurück auf die Ebene der UNO zu holen. Die USA wollten die Weltordnung ja so haben, daß man die UNO gar nicht mehr braucht. Aber sie haben sie zur Beendigung des Konfliktes gebraucht. Sie haben Rußland gebraucht, und sie haben China gebraucht. Dies war zum Teil eigenes Verschulden, durch die Bombardierung der Botschaft. Damit ist die UNO noch nicht wieder stabilisiert. Auch in dem Strategiepapier der Nato zu ihrem 50jährigen Bestehen steht nicht nur die Erweiterung des Aktionsraumes drin, sondern da steht auch drin, daß für die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit eben der Sicherheitsrat zuständig sei. Zudem sei das Eingreifen im Kosovo kein Präzedenzfall. Die Nato hat sich damit die Möglichkeit der Legitimierung ihres Eingreifen durch die Schaffung eines Gewohnheitsvölkerrechtes selbst genommen. Insofern spielen die Russen jetzt als Veto-Macht in Sicherheitsrat wieder eine Rolle. In der UNO-Resolution steht drin, daß die Truppen erst einmal für ein Jahr stationiert werden. Das bedeutet, daß jedes Jahr neu über die Stationierung entschieden werden muß. Da die Russen und Chinesen eine andere Auffassung haben als die USA, Großbritannien und Frankreich, wird es so immer wieder zu Diskussionen kommen.

Wie bewerten Sie die deutsche Rolle in diesem Konflikt?

Seiffert: Vor allem vor dem Hintergrund der innenpolitischen Situation, nämlich daß man dem Druck hier wohl nicht mehr lange hätte standhalten können. Der Krieg hat nur drei Monate gedauert. Aber länger hätte man ihn ohne Bruch der Koalition auch nicht durchhalten können. Aus dem Interesse an der eigenen Machterhaltung heraus hat die Bundesregierung diplomatische Schritte eingeleitet und den Amerikanern den Rang abgelaufen.

War dies ein deutscher Verhandlungserfolg?

Seiffert: Die USA haben sich ziemlich zurückgehalten und den Deutschen das Feld überlassen. Sie waren vielleicht auch ein wenig froh. Doch die Deutschen waren immer ängstlich bemüht, die fünf Punkte der Nato durchzusetzen, was ja nur teilweise gelungen ist. Schwieriger wird sein, was jetzt kommt. Wie die Medien der verschiedenen Seiten zu manipulieren versuchen, zeigt doch schon, daß Serben und Albaner wohl nicht friedlich dort zusammenleben werden. Soll es nun ein multikulturelles Kosovo werden, ein albanisches, ein serbisches oder ein geteiltes? Realistisch ist wohl nur ein geteiltes. Damit sind wir von dem eigentlichen Ziel wieder weiter weg. Das bedeutet, daß der serbische Teil des Kosovos zu Serbien gehören wird und der albanisch besiedelte ein eigenständiges Gebilde wird. Vielleicht gibt es noch eine Übergangszeit. In diese Richtung werden wohl auch die UÇK-Kämpfer drängen.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert, 1926 in Breslau geboren, studierte nach Kriegsdienst bei der Marine und sowjetischer Gefangenschaft an der Ost-Berliner Humboldt-Universität Jura mit anschließender Promotion und Habilitation. Von 1967 bis 1978 leitete er das Institut für ausländisches Recht und war zeitweise Vizepräsident der Gesellschaft für Völkerrecht der DDR. Nach seiner Aussiedlung aus der DDR 1978 lehrte Seiffert an der Universität Kiel, wo er bis 1994 Direktor des Instituts für osteuropäsiches Recht war. Seitdem lehrt und arbeitet Seiffert vorwiegend in Moskau. Er ist Generalsekretär des Zentrums für deutsches Recht im Institut für Staat und Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften und Schiedsrichter am Internationalen Kommerziellen Schiedsgericht der Kammer für Industrie und Handel in Moskau.


 
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