© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Pankraz,
Apelles und die Liebe zu des Teufels Großmutter

Im Kopf von Pankraz drehte sich so manches nach der Lektüre des neuen Buches von Vera Zingsem, "Lilith, Adams erste Frau" (erschienen im Verlag Klöpfer & Meyer). Immerhin scheint nun endgültig geklärt: Die erste Frau des ersten Mannes, den es überhaupt gab, war niemand anders als des Teufels Großmutter. Und deshalb sehnen sich auch alle übrigen Männer, als Adams Nachfahren, insgeheim nach des Teufels Großmutter. Das ist der letzte Grund für ihre Untreue gegenüber Eva, dem angetrauten Eheweib. Eva war die zweite Wahl, nachdem sich Lilith davongemacht hatte, und sie muß sich ununterbrochen an Lilith messen lassen.

Wer war Lilith? Nach alten kabbalistischen Überlieferungen handelt es sich um eine originale Schöpfung Gottes, und zwar um seine erste Schöpfung überhaupt. Deshalb war Lilith von überirdischer, wahrhaft göttlicher Schönheit – und trotzdem abgrundtief böse, ja, das Prinzip der Bosheit an sich. Gott mußte sie wohl oder übel von sich selber unterscheidbar machen, und da er selbst das absolut Gute war, mußte Lilith böse sein.

Jedoch war Lilith so schön, daß sich Gott – immer nach dem Buch von Vera Zingsem, das alte Geschichten aus der Kabbala nacherzählt – sofort in sie verliebte und sie heiratete. Aus dieser Verbindung, aus dieser ganz und gar ursprünglichen Verbindung von gut und böse, entsproß Adam, der erste Mensch, der mithin eigentlich gar keinen extra Sündenfall brauchte, um das Böse in sich zu tragen. Es war ihm gewissermaßen als Erbteil in die Wiege gelegt.

Aber Lilith bekam noch einen zweiten Sohn, das war Samiel, derselbe, der im "Freischütz" von Carl Maria von Weber vom bösen Jäger Kaspar angerufen wird. Und da es in diesen frühen Zeiten noch keine anderen Frauen neben Lilith gab und da sie so unendlich schön war, richtete sich das Begehren sowohl von Adam als auch von Samiel auf Lilith. Adam bekam als erster das Ja-Wort, daher der ewige Haß Samiels auf Adam, obwohl dieser später von Lilith, Samiels wegen, verlassen wurde.

Erst da hatte Gott ein Einsehen und erschuf dem Adam ein eigenes Weib: Eva. Aus Adams Rippe erschuf er sie; Lilith aber wandte sich Samiel zu und zeugte mit ihm in blutschänderischer Weise Satan, den eigentlichen Teufel. So wurde sie zu des Teufels Mutter und Großmutter zugleich. Außerdem impfte sie auch noch der begriffsstutzigen Eva das Böse ein, indem sie sich als Schlange vom Baum des Paradieses an sie heranmachte und ihr den Apfel der Erkenntnis andrehte.

Am interessantesten in all diesen heiklen Situationen ist zweifellos das Verhältnis von Lilith und Eva zum Manne Adam. Nicht Eva war, wie in der Bibel berichtet wird, die erste, die "eigentliche" Frau Adams, sondern Lilith, obwohl die ja auch Adams Mutter war. Nur Adam und Lilith haben sich in sexueller Begierde einander genähert und sich frei vermählt, während Eva im Grunde von vornherein ein Teil Adams war, seine Rippe.

Adam macht sich immer wieder klar: Eva ist die wirklich Meine, sie ist Fleisch von meinem Fleisch und deshalb berechenbar, es läßt sich gut und gemütlich mit ihr leben. Aber der Stachel bleibt. Die "eigentliche" Sexualität, das wiklich freie Begehren richtet sich auf Lilith, des Teufels Großmutter. Adam weiß es, und Eva weiß es ebenfalls (und versucht deshalb nur allzu oft, sich in ihrer Aufmachung und in ihren Gesten der Lilith anzugleichen).

Die Kabbala, die diese Geschichte erzählt, ist ein hochmittelalterliches Corpus und teilt als solches voll die Sexfeindlichkeit der Epoche, nicht anders als das hochmittelalterliche Christentum. Es findet eine horrende, erbarmungslose Verketzerung der freien Liebe statt.

Der Mann, so wird gelehrt, ist von Gott mit Eva zusammengetan, hat mit ihr Kinder und lebt einzig mit ihr und ihren Kindern in der Gnade des Herrn. Doch seine frei schweifenden sexuellen Träume gelten Lilith, der Großmutter des Teufels. Er muß sein Begehren kaschieren, er muß den Pflichtsex mit Eva zum Minnesang, zur hohen Minne, sublimieren, aber der sexuelle Antrieb als solcher ist böse. Darüber kann er sich gar nicht früh genug Klarheit verschaffen, darüber kann er sich gar nicht früh genug beim Pastor, bzw. beim Rabbi Unterweisung abholen.

Die wenigen Lobpreiser der schweifenden Sexualität, die es in der Spätantike und im Mittelalter gab, wurden gnadenlos niedergebügelt. So Basilides, der daran erinnerte, daß doch Gott selbst aller Evidenz nach ein großer Sexprotz sei, "Gott Samenausstreuer", "Logos spermatikos". So der rätselhafte Apelles, von dem niemand weiß, woher er kam und der nun freilich die Sexualität frontal gegen den Schöpfergott in Stellung brachte.

Sex, Freude an der Sinnlichkeit, an der Leiblichkeit, meinte Apelles, seien nicht von Natur aus schlecht, der Schöpfer habe sie lediglich absichtlich vergiftet, als Dreck und Sünde hingestellt. Jesus Christus mußte kommen, um diesen "Fehler", dieses "Jahwe-Verbrechen", wieder gutzumachen. In seinem Zeichen werde es endlich möglich, die Liebe um ihrer selbst willen zu preisen und die Ehe als deren "Frucht", nicht als deren Aufhebung zu interpretieren.

Solche Lehren wurden, wie gesagt, niedergebügelt, verketzert, sekretiert, und natürlich sind wir spontan geneigt, unsere Sympathie und damit unsere Überzeugung dem Sekretierten zuzuwenden. Aber man sollte, findet Pankraz, auch der Kabbala und den Lilith-Erzählungen genau zuhören und sie ernst nehmen.

Mag sein, es geht nicht immer gleich darum, des Teufels Großmutter zu heiraten. Aber daß dem frei schweifenden Trieb etwas Zerstörerisches, zutiefst Assoziales innewohnt, das diszipliniert werden muß, steht ja auch in manchen neuzeitlichen Psychologiebüchern. Auch ist beileibe nicht jeder Spermatikos ein Logos.


 
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