© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Zwangsumtausch
Karl Heinzen

Die Wiedervereinigung hat sich ökonomisch nur im Fußball bezahlt gemacht: Diejenigen Profis mit deutsch anmutendem Namen, die sich in den Eliteformationen noch behaupten können, stammen zumeist aus den neuen Bundesländern. Sie sorgen auch bei den westlichen Traditionsmarken für jenes Quentchen Lokalkolorit, das die Fans brauchen, um ihr Herz und relevante Teile ihres frei verfügbaren Einkommens verschwenden zu können. Damit ist die Aktivseite der Einheitsbilanz auch schon erschöpfend dargestellt. Alles, was heute im neuen Osten zum Bruttosozialprodukt des ganzen Deutschland beiträgt, ist nach dem Ende der DDR entstanden. Man hätte diese Investitionen aber genauso gut in der alten Bundesrepublik vornehmen können – wahrscheinlich sogar mit größerer Effizienz, weniger Korruption und vor allem mehr Dankbarkeit der Menschen, die von ihnen profitieren.

Die Industrien imBeitrittsgebiet sind von vornherein so konzipiert worden, daß sie unter größtmöglichem Ausschluß der Ortsansässigen funktionieren können. Daher wird man nun leider auch nicht mehr nachprüfen können, ob dieses Mißtrauen in den Arbeitswillen und die Fähigkeiten der Neufünflanddeutschen wirklich berechtigt war: Wer nicht arbeitslos, ABM-gestützt oder pensioniert ist, sich in Ausbildung befindet oder umschult, ist in den allermeisten Fällen in Gewerben tätig, die der durch die Transferzahlungen aus dem Westen möglich gewordene Nachfrage das entsprechende Angebot bereitstellen. Man kann schwer sagen, daß diese Menschen wirklich auf eigenen Beinen stehen und ihr Auskommen ihrer eigenen Leistung zu verdanken haben.

Die Förderung der neuen Bundesländer erreicht nicht einmal jenes philosophische Niveau, das die Entwicklungshilfe schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert hat – sie ist weniger als Hilfe zur Selbsthilfe. Der Unmut darüber ist verständlich, und es ist erfreulich, daß er insbesondere im Regierungslager formuliert wird: Man unterstellt Sozialdemokraten nicht so einfach, daß ihre unsozialen Gedanken von Herzen kommen. Besonders weit prescht dabei der Bundestagsabgeordnete Matthias Schubert vor. Schon als Landrat im brandenburgischen Fürstenwalde baute er aus ABM-Mitteln eine Umweltpolizei auf, die sich über die Bußgelder schließlich fast selbst finanzierte. Seine Devise: Die Menschen der ehemaligen DDR müssen sich auf ihre Stärken besinnen und von ihnen zu leben lernen. Dabei dürfen auch die deutsch-deutsche Währungsunion und der Abbau der Demarkationslinie kein Tabu sein: Es wäre eine Perspektive, die leichtfertig verspielten Quellen des Zwangsumtausches und des Begrüßungsgeldes für den Osten neu zu erschließen. In Ermangelung anderer Reiseversuchungen könnten endlich der Fremdenverkehr in der eigenen Region angestoßen werden. Das Warten der Menschen auf neue Planvorgaben wäre nicht umsonst gewesen.


 
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