© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/99 02. Juli 1999 |
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Dieter Kunzelmann Gesuchter Revoluzzer Thorsten Thaler "Die Kategorie geschmacklos existiert für mich als Aktionspolitologe, Revoluzzer und Anarchist nicht. Das ist eine bürgerliche Kategorie." Geschmack hin oder her, mit einer ganz anderen "bürgerlichen" Kategorie der von Freiheit und Unfreiheit wird sich Dieter Kunzelmann demnächst zwangsweise beschäftigen müssen. Der mit Haftbefehl gesuchte Politprovokateur will sich eigenen Angaben zufolge spätestens zu seinem 60. Geburtstag am 14. Juli der Justiz stellen. Und selbst wenn der Ankündigung keine Taten folgen, dürfte es angesichts des neu erwachten Geltungsbedürfnisses von Kunzelmann nur eine Frage der Zeit sein, bis die Polizei auf seine Spur kommt. Nach einer fingierten Todesanzeige ("Nicht nur über sein Leben, auch über seinen Tod hat er frei bestimmt") hatte sich Kunzelmann im April 1998 ins Ausland abgesetzt. Erst Ende Mai dieses Jahres meldete er sich mit einem Interview im Stern wieder unter den Lebenden zurück. Anfang Juni tauchte er überraschend in einer Talkshow auf, kurz darauf gab er Rundfunk- und Zeitungsinterviews. Schwergetan mit bürgerlichen Kategorien hat sich Dieter Kunzelmann zeit seines Lebens. Schon früh entfloh er der Enge des Elternhauses in Bamberg, wo er als Sprößling eines Sparkassendirektors geboren wurde. In Paris gammelte er orientierunglos vor sich hin, bevor er nach Deutschland zurückkehrte und in München Mitglied der "Situationistischen Internationale" wurde, einer Gruppe junger (Möchtegern-)Künstler, die an die gesellschaftskritische Tradition der Dadaisten anknüpfen wollten. Anfang der sechziger Jahre rief Kunzelmann dann die "Subversive Aktion" ins Leben, eine anarchistische Spaßguerilla, die auch vor militanten Formen nicht zurückschreckte. Irgendwann tauchte Kunzelmann in Berlin auf, wurde Mitbegründer der "Kommune I" und schlitterte mehr zufällig an einer Terroristenkarriere vorbei. Im Herbst1969 gehörte er zwar zur ersten deutschen Gruppe, die in einem jordanischen Palästinenserlager im Umgang mit Sprengstoff und Waffen geschult wurde. Doch schon 1970 wurde er verhaftet und saß wegen diverser Brandanschläge fünf Jahre im Gefängnis. Später engagierte er sich in der Alternativen Liste, für die er von 1983 bis 1985 dem Abgeordnetenhaus angehörte und dort sinnigerweise Mitglied im Ausschuß für Inneres, Sicherheit und Ordnung war. Danach wurde es still um Kunzelmann bis zu jenen Eierwürfen auf den Regierenden Bürgermeister Diepgen, für die er verurteilt wurde. Auf einem Plakat der "Subversiven Aktion" war einst zu lesen: "Mit dieser Welt gibt es keine Verständigung: Wir gehören ihr nur in dem Maße an, wie wir uns gegen sie auflehnen. Alle sind unfrei unter dem Schein, frei zu sein. Freiheitsberaubung wird als organisiertes Vergnügen geliefert." Dieter Kunzelmann wird bald ausreichend Gelegenheit haben, sich unfrei zu vergnügen. |