© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


Kriminalität: Sicherheitsexperten schlagen Alarm
Polizei im Notstand
Georg Bensch

In Deutschland schlagen Sicherheitsexperten Alarm: Die Polizei ist derart überlastet, daß bei einem Drittel aller 6,5 Millionen Straftaten im Jahr nicht mehr zügig ermittelt werden kann. Fehlendes Personal, ungenügende Bezahlung, miserabele Arbeitsbedingungen und immer öfter mangelnde Rückendeckung durch die politisch Verantwortlichen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert eine Aufstockung der Polizeikräfte um 30.000 Beamte.

Angesichts der steigenden Kriminalität in Deutschland und der desolaten Situation der deutschen Polizei ist schnelles Handeln angesagt. Schon heute haben Mafia-Organisationen aus 12 Ländern Deutschland als Betätigungsfeld erschlossen. Insbesondere Großstädte sind zunehmend von organisierter Kriminalität bedroht. Aber auch die Beschaffungskriminalität der bundesweit rund 190.000 Drogenabhängigen bekommt die Polizei in Deutschland immer weniger in den Griff. Gewaltdelikte wie schwere Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung, Mord und Totschlag sind in deutschen Metropolen bitteres Alltagsgeschehen und können von der Polizei wegen Personalmangel immer weniger verfolgt werden. Schließlich wird dieses noch durch eine erschreckende Zunahme der von Minderjährigen verübten Straftaten komplettiert.

Die deutsche Polizei ist aber auch bei politischen Veranstaltungen und Demonstrationen zunehmend gefordert und Angriffen deutscher und ausländischer Gewalttäter ausgesetzt. Bei politischen Straßenaufmärschen werden die polizeilichen Einsatzkräfte von kriminellen Chaoten aller Couleur provoziert und angegriffen. Eine energische Gegenwehr ist kaum möglich, da die polizeilichen Einsatzbefehle in der Regel von einer zu liberalen Gesetzgebung diktiert werden, die von vornherein ein hartes Vorgehen der Polizei verhindert. Viele Polizisten agieren daher bei ihren Einsätzen übervorsichtig, sind von vornherein unmotiviert und fürchten Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt. Eine Herausforderung für die militanten Gegner der Polizei, die immer öfter auf deutsche Ordnungshüter einschlagen, weil sie kaum auf harte Gegenwehr stoßen. Die jüngsten Kurdenkrawalle in deutschen Großstädten haben mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß die deutsche Polizei immer weniger mit der militanten Szene fertig wird.

Der Personalmangel hat in den Polizeidienststellen Konsequenzen: Polizeiwachen werden geschlossen, die Wartezeiten bei Hilferufen verlängern sich, für die Einrichtung von Sonderkommissionen fehlen Beamte, und aufwendige Ermittlungen gegen Kriminelle können nur noch sporadisch durchgeführt werden. Doch ungeachtet der prekären Situation der Polizei bauen die Innenminister der Länder – außer Bayern – das Personal bei der Polizei fortlaufend ab. Obwohl in Berlin das Verbrechen eskaliert, mußten in den letzten Jahren fast 3.000 Stellen abgebaut werden. Und trotz hinzukommender Hauptstadterfahrungen sehen die Sparbeschlüsse des Berliner Senats für 1999 die Streichung weiterer 599 Stellen vor. "Wir schieben eine immer größere Bugwelle von Personalproblemen vor uns her, die schon bald gefährliche Sicherheitslücken einreißen lassen könnten", kritisiert der Berliner GdP-Chef Eberhard Schönberg. Im Volk mehren sich die Stimmen, die eine verstärkte Polizeipräsenz fordern. 74 Prozent aller Bürger fühlen sich durch kriminelle Gewalt bedroht.


 
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